Depressionen als Film-Thema

Von Christian Geuenich · 25.11.2009
In dieser Woche kommt mit "Helen" das internationale Spielfilmdebüt der Regisseurin Sandra Nettelbeck in die Kinos. Darin geht es um den schwierigen Umgang mit Depressionen. Nettelbeck beschäftigte sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema.
Filmausschnitt "Helen":
David: "Was ist so furchtbar, dass du es mir nicht sagen kannst?""
Helen: ""Es tut mir leid."
David: "Was tut dir leid?"

Im Zentrum von Sandra Nettelbecks berührendem wie beklemmenden Film steht die Musik-Professorin Helen, die mit ihrem liebevollen Mann und ihrer 13-jährigen Tochter aus erster Ehe ein scheinbar perfektes Leben führt, bis eines Tages, wie aus dem Nichts, ihre schwere Depression wiederkehrt. Anfangs versucht Helen - gespielt von Hollywoodstar Ashley Judd - ihre Krankheit geheim zu halten.

Filmausschnitt "Helen":
David: "Helen, ich habe immer alles über dich gewusst. In guten wie in schlechten Zeiten, weißt du noch? Bitte, Schatz, rede mit mir. Was ist ..."

Helen: "Hör auf, bitte! Bitte, hör jetzt auf, mich zu verhören!"

Die 43-jährige Drehbuchautorin und Regisseurin hat sich mehr als 10 Jahre mit dem Thema Depression beschäftigt. 1998 hat Sandra Nettelbeck im "New Yorker" einen Artikel des Schriftstellers Andrew Solomon gelesen, der seinen harten Weg durch die Depressionen beschrieb. Drei Jahre zuvor hatte die schmale Regisseurin mit den dunkelblonden, lose nach hinten gesteckten Haaren eine Freundin durch Selbstmord verloren. Ihr hat sie nun mit "Helen" ihr internationales Spielfilmdebüt gewidmet.

"Hinterher denkt man immer, es muss etwas gegeben haben, was ich hätte tun müssen oder sollen, und das lässt einen auch nicht los. Man möchte so gerne diejenige gewesen sein, die jemanden retten kann oder die dazu in der Lage ist."

Sandra Nettelbeck zeigt offen und sensibel, wie depressive Menschen leiden, aber auch, wie hilflos die nächsten Mitmenschen der Krankheit gegenüberstehen. Weil sie ihre Familie nicht länger belasten möchte, zieht sich Helen zurück, kommt bei einer Studentin und Leidensgenossin unter.

"Zunächst einmal kann man am besten helfen, indem man aushält, dass man nicht helfen kann, weil das ist wirklich schwer, gerade wenn man jemanden so liebt, das zu ertragen, dass man so wenig tun kann. Dann ist das Allerwichtigste, dass man dem anderen hilft, sich Hilfe zu suchen, weil man selber diese Hilfe nicht leisten kann, aber es gibt Hilfe, und man braucht Hilfe, und man braucht diese Hilfe von Ärzten, weil man sonst untergeht."

Eindringlich spricht Sandra Nettelbeck über ihre Arbeit, man merkt ihr schnell ihre Leidenschaft an - auch wenn sie so wie heute starke Kopfschmerzen hat. Blass ist sie, hat bläuliche Ringe unter den Augen.

Geboren wurde Sandra Nettelbeck 1966 in Hamburg. Dort ist mit ihrer älteren Schwester aufgewachsen. Sie ist die Tochter des Schriftstellers, Journalisten und Filmkritikers Uwe Nettelbeck und der ehemaligen "Tagesschau"-Sprecherin Petra Krause. Mit elf Jahren geht Sandra Nettelbeck in ein Internat im Odenwald, macht dort später ihr Abitur.

"Ich bin mit einer ganz großen Liebe zum Kino aufgewachsen, und das haben meine Eltern, also nicht nur mein Vater, sondern auch meine Mutter, die haben uns das schon mitgegeben."

Trotzdem studiert Sandra Nettelbeck nach dem Abitur zunächst zwei Semester Jura in Hamburg, findet das aber "unglaublich langweilig", wie sie schmunzelnd erzählt.

"Und dann habe ich gedacht, ich muss erst mal noch ein bisschen Pause machen und ein bisschen was erleben, und dann kann ich ja weiter Jura studieren. Und deswegen bin ich dann nach Amerika gefahren und war so ein paar Monate allein unterwegs und landete dann in San Francisco. Und da hat es sich so gefügt, dass mir jemand von der Filmhochschule erzählte und ich mich in die Stadt verliebt hatte und da auch nicht mehr wegwollte."

An der State University wird sie direkt angenommen, bekommt eine Ausbildung in Kamera, Licht, Schnitt, Ton, Musik, Drehbuch und natürlich Regie. Mit 26 Jahren kehrt sie nach Deutschland zurück, arbeitet als Redakteurin für verschiedene Fernsehmagazine, schreibt Drehbücher und führt Regie bei zwei Fernsehfilmen.

"Ich liebe das Schreiben über alles, weil solange man noch am Schreibtisch sitzt, kann man sich alles ausdenken, und alles ist möglich und niemand kann einen aufhalten, das ist schon toll. Da geht alles, da kann man auch von jedem Schauspieler oder jeder Schauspielerin träumen und allen möglichen Menschen was auf den Leib schreiben. Und ich finde halt die Verbindung zwischen Bild und Sprache und Musik natürlich auch, die ist für mich eine Ausdrucksform wie keine andere."

Mit 35 Jahren gelingt ihr mit ihrem Kinodebüt "Bella Martha" der Durchbruch. In der romantischen Komödie erzählt Nettelbeck die Geschichte einer leidenschaftlichen Meister-Köchin, die sich in einen exzentrischen, italienischen Aushilfskoch verliebt und für ihre Nichte zur Ersatzmutter wird. In den USA spielte der Film über vier Millionen Dollar ein. Kann die Regisseurin denn selbst überhaupt kochen?

"Doch, ich koche für mein Leben gerne."

Sie habe gerade ihre "asiatische Phase", sagt sie lächelnd. Ihre Eltern haben beide außerordentlich gut gekocht und ihr sehr viel beigebracht. Lange Jahre war sie nur "Küchen-Assistentin" der Eltern, wie sie es nennt.

"Absolut, das ist alles total plump abgeschrieben bei meinen Eltern. Mein Vater war ein hervorragender Koch, und ganz viele Geschichten aus "Martha" sind von ihm. Also das Gänseleberrezept ist von ihm, und dass Wachteln nicht zäh, sondern trocken werden, hat er mir gesagt. Deswegen habe ich es auch gleich ins Drehbuch reingeschrieben, und das Zitronenkuchenrezept ist von meiner Mutter."

Nach dem riesigen Erfolg von "Bella Martha" drehte Sandra Nettelbeck mit "Sergeant Pepper" einen Kinderfilm über die Freundschaft zwischen einem sechsjährigen Jungen und einem sprechenden Hund. Eigene Kinder hat die 43-Jährige, die in Berlin und Köln lebt, nicht.

"Nein, ich habe zwei ganz tolle Nichten, die ich mir ausleihe, wann immer ich kann."

Auch wenn oder vielleicht gerade weil Sandra Nettelbeck keine eigene Familie gegründet hat, kreisen ihre Filme immer wieder um dieses Thema. Der Begriff "Familie" bedeutet für sie weitaus mehr als nur Vater-Mutter-Kind.

"Was mich in allen Filmen beschäftigt, inklusive ‚Sergeant Pepper’, ist ‚was bedeutet Familie oder was kann Familie für uns tun, wer gehört zur Familie?’ Und ‚was kann die Liebe für uns tun und was tun wir für die Liebe?’, das kommt in allen Filmen, die ich bisher gemacht habe, vor. Und ich meine jetzt nicht Familie in dem traditionellen Sinne, sondern die Familie, die wir uns auch suchen oder die wir versuchen, zu schützen oder entstehen zu lassen in unserem Leben."