Dennis Gastmann: "Atlas der unentdeckten Länder"

Jenseits medialer Großereignisse

Kinder spielen auf einem Spielplatz in einer Plattenbausiedlung in Ribniza, Transnistrien.
Kinder spielen auf einem Spielplatz in einer Plattenbausiedlung in Ribniza, Transnistrien. © dpa / Robert B. Fishman
Von Marko Martin · 14.05.2016
Dennis Gastmanns "Atlas der unentdeckten Länder" führt mit Wortwitz und Situationskomik in jene Gegenden, die Westeuropäer als "Peripherie" bezeichnen. Man trifft Polizeispitzel in Taschkent, übergewichtige Tahitianer, genervte Palästinenser - es liest sich als sei man dabei gewesen.
Lange nichts gehört von den Gambier-Inseln. Auch die Neuigkeiten aus Usbekistan sind eher spärlich, ganz zu schweigen von Nachrichten aus dem Emirat R´as al-Chaimah. Längst nämlich haben wir uns eine Wirklichkeitswahrnehmung angewöhnt, die marketenderhaft den jeweiligen Krisen- oder Kriegsgebieten folgt und andere Teile der Welt ins Vergessen absinken lässt. Was übrigens verständlich ist: Wer kann sich schon jederzeit für alles interessieren?
Auch Dennis Gastmann, 1978 geborener ehemaliger TV-Journalist und inzwischen Reisebuch-Bestseller-Autor, scheint sich hauptsächlich für Regionen und Geschichten zu interessieren, die situationskomischen Mehrwert ergeben. Überforderte Polizeispitzel in Taschkent, übergewichtige Tahitianer "mit Oberarmen von der Größe meiner Schenkel", genervte Palästinenser in der Westbank, nicht zu vergessen die orthodoxen Mönche vom Berg Athos, changierend zwischen Frömmigkeit und Abzock-Mentalität.
Freilich reiht sich in seinen Geschichten nicht allein Gag an Pointe – der durchaus Empathie fähige und kaum je verschnöselte Autor ist ein Könner jenes subjektiven (Reise-)Journalismus, der von der Impression mühelos in die Reflexion switcht und dabei nichts ungesagt lässt. "Als wäre man dabei gewesen" oder "Das hab´ ich auch erlebt": So ließe sich der positive Leseeindruck dieses Buches resümieren, das bei aller Koketterie wohltuend selbstironisch bleibt und weder Helge Timmerbergschen Ego-Trips folgt noch einer dräuend kulturalistischen Weltererklärung á la Peter Scholl-Latour.

"Unentdeckt" sind die Länder höchstens für Mitteleuropäer

Freilich führt der Titel ein wenig in die Irre: "Unentdeckt" sind diese Länder höchstens für die meisten Mitteleuropäer – und diese ganz gewiss nicht der Mittelpunkt der Welt. Auch die Vokabel "Atlas" könnte Assoziationen zu Christoph Ransmayrs literarischem Meisterwerk "Atlas eines ängstlichen Mannes" provozieren, das freilich keinen allzeit gutgelaunten Traveller des Twitter-Zeitalters zeigt, sondern einen skrupulösen Welt- und Selbstentdecker, dessen Reisen nach Außen und nach Innen gehen.
Derlei sollte man von Dennis Gastmanns Buch zu Recht nicht erwarten, wenngleich es keineswegs nur an der Oberfläche surft und oft überraschend unkonventionelle Gedankenverbindungen herstellt: Der tyrannische Kapitän Bligh, Auslöser der berühmten "Meuterei auf der Bounty", ist dem die Insel Pitcairn bereisenden Autor etwa die Frühform eines "überforderten CEO: Einer von denen, die so lange nach oben gelobt werden, bis sie hilflos mit den Armen rudernd von ihrer hohen Position in den Abgrund blicken."
Sätze wie diese gibt es viele in diesem Buch und – wetten? – sollte irgendwann der Name des seltsamen Staatsgebildes "Transnistrien" einen vorderen Rang in den politischen Nachrichten erklimmen, als Leser des Igel gleich gewitzten Dennis Gastmann könnten Sie beim abendlichen Smalltalk sogleich triumphieren: "Ick bün allhier."

Dennis Gastmann: Atlas der unentdeckten Länder
Rowohlt, Berlin 2016
272 Seiten, 19,95 Euro

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