Denkmal für polnische Opfer der NS-Zeit

"Auf dem Felde der Ethik finde ich die Sache bedenklich"

Hausruinen in der polnischen Hauptstadt Warschau im Jahre 1945. Im Vordergrund die umgestürzte Säule des Denkmals von König Sigismund III.
Das Ausmaß der Zerstörung von Warschau und andere NS-Verbrechen in Polen soll ein Denkmal in Berlin wieder stärker in Erinnerung rufen. © dpa-Bildfunk / Prasa
Jens Jessen im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 15.11.2017
Die Verbrechen der NS-Zeit lassen sich mit Mahnmalen nicht abtragen, sagt der "Zeit"-Journalist Jens Jessen. Er ist deshalb skeptisch angesichts des Vorschlags für ein neues Denkmal in Berlin, das der polnischen Opfer der deutschen Besatzung gedenken soll.
In knapp zwei Jahren, zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939, sollte in Berlin ein neues Denkmal zum Gedenken an die deutsche Besatzung Polens (1939-1945) eingeweiht werden. Das fordern mehrere deutsche Politiker und Historiker. Kaum eine polnische Familie sei damals nicht betroffen gewesen, heißt es in dem Aufruf, der am Mittwoch an den Bundestag weitergeleitet wurde. Initiatoren sind unter anderem die ehemaligen Bundestagspräsidenten Rita Süßmuth (CDU) und Wolfgang Thierse (SPD).
Jens Jessen
Der Zeit-Redakteur Jens Jessen © picture-alliance/ dpa / Steffen Kugler

Politischer Nutzen

"Dafür spricht ein politischer Nutzen, weil die Polen darunter leiden, zum Teil wahrscheinlich zu Recht, dass im allgemeinen deutschen Bewusstsein der ungeheure Schaden und der Blutzoll, den die deutsche Kriegsführung dort angerichtet hat, den Leuten nicht genügend bewusst ist", sagte unser Studiogast, der "Zeit"-Redakteur Jens Jessen, im Deutschlandfunk Kultur. Gerade angesichts der aktuellen Spannungen zwischen Warschau und Berlin könnte das Denkmal in dieser Hinsicht hilfreich sein.

Vor Illusionen hüten

Gegen das Denkmal sprächen allerdings Fragen der prinzipiellen Moral. "Auf dem Felde der Ethik finde ich die Sache bedenklich." Man sollte sich vor der Illusion hüten, dass man die ungeheuerlichen Verbrechen der NS-Zeit Opfergruppe für Opfergruppe mit Mahnmalen abdienen könne. "Das ist einfach nicht möglich", sagte Jessen. Es sei besser, dies anzuerkennen, statt zu glauben, man könne die Sache Schrittchen für Schrittchen in den Griff bekommen. Jessen sagte, ihm wäre wohler, wenn klar wäre, dass die Denkmäler nicht alles abdecken, sondern auch als Chiffre für andere Verbrechen und Schrecknisse stehen.

Jens Jessen ist Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" im Feuilleton, das er von 2000 bis 2014 auch leitete. Zuvor war er Feuilletonchef bei der "Berliner Zeitung" und Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Begonnen hatte der Autor und Publizist seine Laufbahn von 1984 bis 1988 als Verlagslektor in Stuttgart und Zürich. 2012 erschien im Carl Hanser Verlag Jessens Roman "Im falschen Bett".

Das ganze Interview mit dem Zeit-Redakteur Jens Jessen hören Sie hier: Audio Player

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