Den Geräuschen des Wassers auf der Spur

13.04.2012
Die Tonkünstler Katharina Bihler und Stefan Scheib erschaffen seit 15 Jahren Mischungen aus Feature, Hörspiel und Klangkunst. In ihrem neuen Stück "Auris interna" begeben sie sich auf die Suche nach einem Geräusch, das einzig an der Weser zu hören sein soll: dem "Rastern".
"Man hat in der Weser, Elbe und in anderen großen Flüssen, gegen ihre Mündung zu, bei ruhigem Wasser und heiterem Himmel, ein Geräusch wahrgenommen."

"So erzählt Kant einmal seinen Gästen beim Mittagessen."

Und zwar habe Kant, so heißt es in "Auris interna", dem neuen Hörspiel des Liquid Penguin Ensembles, diese Information von einem Bekannten erhalten, der sie nun wiederum dem Hannöverschen Magazin von 1763 entnommen habe. Dort sei die Rede von einem gewissen "Rastern":

"Die Weser rastert, so heißt es bei denen, so am Ausflusse des Stromes wohnen, wenn derselbe bei stillem Wetter ein wunderbares Getöne, Brausen und Schölen von sich hören lässt. Dass man sich von diesem Tone einen Begriff machen möge, so ist er nicht anders anzuhören, als ob ein starker Sturm durch eine Menge Bäume wehet, dabei das Rauschen des Wassers sich mithören lässt."

Man finde die Spur des Rasterns, heißt es später im Hörspiel, auch in Kants Vorlesungen zur physischen Geografie. Und tatsächlich, schlägt man dort nach, begegnet einem dieses sonderbare Geräusch. Es handelt es sich also, anders als man meinen könnte, nicht um eine skurrile Erfindung klangverliebter Tonkünstler. Was aber ist das Rastern nun genau? Dieser Frage gehen Katharina Bihler und Stefan Scheib in "Auris interna" nach. Sie fahren an Weser und Elbe und halten ihre Mikrofon ganz nah an die Wasseroberfläche, und manches Mal auch wohl noch ein klein wenig tiefer.

"Unser Archivbestand an Geräuschen aus dem flüssigen Klangkreis ist inzwischen auf knapp 700 Proben angewachsen. Er umfasst alle Formen von Regen-, Meer- und Flusswasseräußerungen, kullernde Bäche, brodelnde Suppen, kalte und warme Flüssigkeiten, während sie geschluckt werden oder während in ihnen gebadet wird."

Der Aufenthalt des Saarbrücker Hörspielduos in den norddeutschen Niederungen sorgt zwar dafür, dass seinem Klangarchiv noch die eine oder andere Probe hinzugefügt werden konnte, dem Rastern selbst aber kommen die beiden dabei nicht näher. Also wird die Herrensohrer Tischgesellschaft einberufen, eine Gruppe von, wie es heißt, "schallinteressierten Saarbrücker Bürgern". Sie gehen dem Phänomen nun auf ihre Weise nach.

"Vom Ertasten besonderer Geräusche an gewöhnlichen Orten" heißt "Auris interna" im Untertitel, und genau das geschieht hier: Man klopft das Wort Rastern auf seine Bedeutung hin ab, versucht also seine Konsonanten und Vokale rückzuübersetzen, ganz so, als hätten alle Wörter einen lautmalerischen Ursprung. Eine wissenschaftlich zwar zweifelhafte, fürs Hörspiel allerdings äußerst fruchtbare These. Zumindest kommt sie Bihler und Scheib sehr entgegen. Schon in "Gras wachsen hören", ihrem ersten Hörbuch, gingen sie den geringsten und verborgendsten Geräuschen nach. Und auch in "Auris interna" geht es um nichts anderes als das genaue Hinhören, geht es um die Würdigung unbeachteter Klangfarben. Dazu gehört auch die subtile Musik des Geschirrs.

Einer Handlung folgt "Auris interna" nicht, ja im Grunde hat man es hier nicht mit einem Hörspiel, sondern mit einem Feature zu tun. Bihler und Scheib sind Klangforscher, auf der Jagd nach den akustischen Phänomenen des Alltags. Ob sie nun die historische Worthülse des Rasterns abklopfen, den vielfältigen Geräuschen nachgehen, die eine Tischgesellschaft beim Reden und Essen produziert, sich von litauischen Schallwörter berichten lassen oder mit dem Arzt Cothenius den Weg des Schalls in das innere des Ohrs nachverfolgen: Immer fühlt man sich bei ihnen wie in einer Schule des Hörens.

Ein kleines, feines, leises Hörbuch, das gegen Ende dann aber doch den Wunsch aufkommen lässt, das Duo mögen es beim nächsten Mal zuweilen auch ganz unsubtil krachen lassen.

Besprochen von Tobias Lehmkuhl

Liquid Penguin Ensemble: Auris interna. Vom Ertasten besonderer Geräusche an gewöhnlichen Orten.
SR 2 Edition, Saarbrücken 2011
1 CD, 60 Minuten, 13 Euro