Den eigenen Kosmos erfinden

27.04.2009
Andrea Breth zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten im deutschen Theaterbetrieb. Mit ihren spektakulären Inszenierungen hat sie für Furore gesorgt. Und trotz aller Erfolge bekennt sie im Gespräch mit Irene Bazinger, sich für eine "professionelle Dilettantin” zu halten.
Aus mehreren Gründen ist Andrea Breth eine außergewöhnliche Persönlichkeit im deutschen Theaterbetrieb. Erstens (und vor allem) war sie eine der ersten Frauen, die sich als Regisseurinnen durchsetzten im Theater der späten 70er und frühen 80er. Kaum vorstellbar heute, da es eine zwar immer noch sehr übersichtliche, aber allemal sehr nennenswerte Zahl von Frauen auf Intendanten-Posten gibt; und jüngere Frauen zumal, die aus den Akademien und anderen Ausbildungen in den Regie-Beruf strömen, in Hülle und Fülle – aber Andrea Breth ist in dieser Hinsicht Pionierin gewesen und (ach das ist wichtig) immer ohne direkte männliche Protektion ausgekommen. Wenn sich überhaupt jemand als "Förderer” von Andrea Breth empfinden konnte, dann war es der unermüdliche Talente-Entdecker Kurt Hübner, Intendant der legendären "Bremer Zeit" seit den 60er-Jahren – Hübner holte Breth nach Bremen und lud sie später, zu Beginn der 80er-Jahre, auch ein nach Berlin; er hatte das Talent der 1952 geborenen und in Darmstadt aufgewachsenen Breth bei ersten Regie-Assistenzen in Heidelberg und Freiburg schätzen gelernt.

Der zweite und (neben immer wieder bemerkenswerten Inszenierungen der Stücke von Tschechow und Schnitzler, Lessing und Schiller) extrem außergewöhnliche Grund für Andrea Breths herausragende Bedeutung für inzwischen eine ganze Theater-Generation ist ihr radikal offener Mut zum Scheitern – es gibt nämlich eine nennenswerte Liste von absehbar spektakulären Inszenierungen, die sie (aus unterschiedlichen Gründen) nicht fertig gestellt hat; nicht fertig stellen konnte. So offensiv wie niemand sonst im aktuellen Theaterbetrieb (und auf kuriose Weise ein wenig verwandt mit dem aktuellen Theater-Popstar Christoph Schlingensief, der lauthals gegen die eigene lebensbedrohende Krankheit anarbeitet!) spricht Andrea Breth über die eigenen Defizite und Defekte; und einer der wirklich schönen Texte im Breth-Buch, ihre Dankesrede nach der Verleihung des Berliner Theaterpreises 2006, in der sie emphatisch, nachgerade verspielt und weit über Peter Stein hinausreichend vom "Kosmos” in Friedrich Schillers "Wallenstein”-Trilogie berichtet, handelt im Grunde mal wieder auch vom Nicht-Gelingen – als sie den Preis zuerkannt bekam, konnte die "Don Carlos”-Inszenierung von ihr, die die Jury des Theatertreffens zeitgleich nach Berlin eingeladen hatte, ebendort nicht gezeigt werden: aus technischen Gründen, weil es in Berlin tatsächlich keine Bühne gibt, die den (Aus-)Massen des Burgtheaters in Wien entspricht. Und auch das mit Verve an der Burg betriebene "Wallenstein”-Projekt (von dem sie bei der Preisverleihung wie von einem Briefwechsel mit Schiller erzählte) kam dann gar nicht zustande; sie konnte es (wieder mal) nicht fertig stellen – denn wieder schlug Breths Krankheit zu: Die Regisseurin wird von manisch-depressiven Schüben geplagt. Und muss sich gelegentlich für geraume Zeit zurückziehen. Das Burgtheater übrigens ließ darauf hin einen ganz anderen "Wallenstein” erstellen – von Thomas Langhoff.

Ach und überhaupt dieses verflixte Berlin – Andrea Breth war ja ein "shooting star”, und eine Frau eben obendrein, als sie 1980 mit Hübner an die Freie Volksbühne kam. Aber prompt empfindet sie die eigene Arbeit an Lessings "Emilia Galotti” als derart grundsätzlich gescheitert, dass sie den ganzen Krempel hinschmeißt und aussteigt. Auch der gestrenge Vater (Breth erzählt viel von der Familie!) gibt ihr einen schlimmen Satz mit auf den Weg – bis jetzt, bis zu Lessing, habe sie ja machen können im Leben, was sie wollte; jetzt aber solle sie aber mal mit etwas anfangen, was sie auch könne. In der Folge des Ausstiegs stehen kleine, oft in Zusammenhängen sozialer Gruppen entstandene Projekte in Zürich. Und nur langsam kehrt die Regisseurin zurück in den "Betrieb”.

In Bochum hat sie ihre beste Zeit – an der Seite, aber zugleich eben auch in direkter, kämpferischer Konkurrenz mit dem künstlerisch ähnlich, doch auf ganz andere Weise fundamental selbstbewussten Intendanten Frank-Patrick Steckel. Die beiden scheiden im Unfrieden voneinander, Breth landet an der "Schaubühne” der Nach-Stein-Zeit – und gelangt auch hier bald wieder an die eigenen psychischen Grenzen. Auch hier kommen Produktionen nicht zustande, andere dagegen werden umjubelt – aber für den Management-Job der Intendantin ist Andrea Breth grundsätzlich eher nicht gemacht. Nun ist sie schon mehr als zehn Jahre an der Burg in Wien zu Hause.

Von all dem berichtet die Regisseurin im Gespräch mit der Berliner Journalistin Irene Bazinger; gerahmt von einer klugen Breth-Würdigung durch den Theaterwissenschaftler Klaus Voelker, der von der hohen Kunst der Regie erzählt, die im Ergebnis einer virtuos und filigran gearbeiteten Inszenierung zu verschwinden scheint; von einem sympathieprallen Grußwort von Daniel Barenboim (mit dem Breth Opern erarbeitet hat); von Breths eigener Theaterpreis- und Schiller-Rede sowie einem eher zu überblätternden Anfall lyrischer Breth-Verehrung. Die Gespräche zwischen Bazinger und Breth fügen sich in den gegenwärtigen Buch-Boom von Gesprächsporträts – denen es leider fast immer an Distanz mangelt und in denen die Gesprächspartner (und in diesem Fall –innen) viel zu oft vor allem miteinander einverstanden sind. Andrea Breth streitet ja an sich oft und gern, wenn es um ihren Weg im Theater geht – mit der Interviewerin streitet sie allerdings zu selten; im Grunde nur einmal wirklich: als es um ihre Homosexualität gehen soll. Da wehrt sie sich Kräften und macht schlicht dicht. Gut so. Eine Frau, der auf der Bühne so viele Geheimnisse und unlösbare Rätsel gelingen, hätte auch das Recht auf das eigene Geheimnis.

Bazinger setzt auch sonst ziemlich auf eher niedrigem Fachbuch-Niveau an, und mit viel Geduld erzählt und erklärt Breth tatsächlich, wie Theater Schritt für Schritt entsteht, vom Konzept bis zur Premiere; die Regisseurin nähert sich dann eher solistisch dem eigenen Profil. Noch immer empfindet sich die theaterspezifisch nur durch "learning by doing” ausgebildete Theater- und Opern-Frau Andrea Breth als "professionelle Dilettantin”, der es nur in direktestem Kontakt mit den Bühnen-Profis, den wirklichen Königen und Königinnen des Theaters, gelingen kann, die eigene, ganz private Vorstellung vom lebendigen "Kosmos” einer Aufführung zu entwickeln. Wobei sie dem liebenswerten Ur-Instinkt des Theatermachens anhängt, dass genau dies möglich ist: die ganz und gar eigenen Welt aus einem Theatertext zu entwickeln, unabhängig von Aktualitäten oder gar Moden, aufs allerfeinste Detail versessen und in sich abgeschlossen. Was nichts daran ändert, dass sie, die so oft zurück geworfen wird von der Krankheit und darum immer wieder Hilfe braucht, ihrerseits hilft und gibt, wo sie kann. Auch ihr Berliner Theaterpreis ging ja an hilfreiche Berliner Mönche.

Rezensiert von Michael Laages

Andrea Breth: Frei für den Moment. Gespräche mit Irene Bazinger
Rotbuch-Verlag, Berlin 2009
208 Seiten, 19,90 Euro