Den Außenseitern eine Stimme geben

Von Judith Kochendörfer · 18.10.2010
Zwei Jahre lang hat der junge Dokumentarfilmer und Kameramann Gregor Theus Patienten mit schweren Depressionen an der Berliner Charité mit der Kamera begleitet. "Schattenzeit" heißt seine Langzeitdoku, die gerade in den deutschen Kinos angelaufen ist.
"Ich weiß auch nicht, warum ich mir immer so die Schwächeren in der Gesellschaft suche, um darüber Filme zu machen. Vielleicht liegt's daran, dass ich ein sehr glücklicher Mensch bin und mich das immer beschäftigt, wenn ich sehe, dass viele einfach mit dem Leben kämpfen müssen."

In den Filmen von Gregor Theus stehen die Menschen am Rande der Gesellschaft im Mittelpunkt: Alte, Kranke, Transvestiten, Bordellbesucher oder Graffiti-Sprayer. Wenn man es so will, war es der Hip Hop, der den 30-Jährigen zum Film gebracht hat.

Damals, in den frühen 90er-Jahren, geht Gregor Theus in Heidelberg zur Schule und saugt alles in sich auf, was die gerade dort entstehende Hip-Hop-Kultur zu bieten hat: Die Beats, den Rap, die Straßenkunst. Er sprüht Graffitis als Auftragsarbeiten, er malt Comics, daraus entstehen Filme, Gregor Theus wird Kameramann und dreht erste kurze Dokumentationen. Doch hinter der Kamera zu stehen reicht ihm nicht, er will selber Geschichten erzählen. Mit 23 beginnt Gregor Theus ein Regiestudium in Köln.

"Mir ging's immer ein bisschen in meinen Filmen auch darum, den Außenseitern der Gesellschaft eine Stimme zu geben, oder den Menschen, die einfach zu schwach sind, sich selbst zu äußern. So dass ich als Filmemacher meine Aufgabe auch darin sehe, so Themen, vor denen sich die Gesellschaft verschließt oder bewusst nicht hinguckt, das so ein bisschen aufzudecken und der breiten Masse zugänglich zu machen."

Street Art mag Gregor Theus immer noch, sein Comic-T-Shirt hat ein chinesischer Graffitikünstler gestaltet. Ein Souvenir von einer Reise, die er vor Jahren mit seinen zwei Brüdern unternommen hat. Dazu trägt er Baggyhosen und Basecap, die dunklen Haare fallen ins Gesicht, sein Blick, seine Haltung sind offen, er lacht gern, ist locker, ein Kumpeltyp. Umso ernster das Thema seiner ersten langen Dokumentation, "Schattenzeit", Abschlussfilm des Regiestudiums. Über zwei Jahre hat er schwer depressive Patienten an der Berliner Charité mit der Kamera begleitet.

"Depression ist nun mal ein schlimmes Tabu, auch seit dem Enke-Fall immer noch. Weil ganz viele darüber auch nichts wissen. Das Tragische ist ja auch, dass jeder Mensch an Depressionen erkranken kann, das ist ja auch was, was viele nicht wissen. In Wirklichkeit kann's halt jeden treffen, wie man ja bei Enke gesehen hat, also auch sehr erfolgreiche Menschen, die gut im Leben stehen und alles haben."

Filmausschnitt:
"Also die Suizidgedanken als solche, die kommen nicht einfach von heute auf morgen. Das fängt an mit nem Gefühl der Leere irgendwo. Die Frage nach dem Warum. Also einfach nur, man stellt sich die Frage, warum lebst du überhaupt noch?"

"Das war eine Akutpsychiatrie, wo ich gedreht habe, da kommen die schwersten Fälle hin, die sich entweder grad versucht haben, umzubringen, oder das die ganze Zeit wollen. Und weil ich auch nicht wollte, dass die Genesung eingeschränkt wird durch mein Filmprojekt, hab ich da den Raum gegeben und gesagt hab, okay, jetzt kann ich mal zwei Wochen nicht drehen, weil's den Leuten so schlecht geht. So kam das zustande, dass ich zwei Jahre lang gedreht hab."

Insgesamt, mit Vor- und Nachbereitung, hat Gregor Theus vier Jahre an dem Film gearbeitet. Finanziell überlebt er in der Zeit durch andere Jobs als Kameramann für Werbefilme oder Musikvideos. Alles, was er irgendwie übrig hat, steckt er in "Schattenzeit". Freunde helfen ihm mit Restmaterial von anderen Filmproduktionen aus. Die psychische Belastung übersteht Gregor Theus durch eigene emotionale Stärke.

"Es war vielleicht gut, dass ich am Anfang da bisschen naiv rangegangen bin, ich hab mir das natürlich vorher angeguckt, aber mir war nicht klar, wie es bei der Drehzeit wird. Und nachdem ich dann angefangen hab zu drehen und gleich nach den ersten drei Wochen mir eine der Protagonistinnen gleich wieder abgesprungen ist, dadurch kam es bei mir auch dazu, dass ich mir Gedanken über alles gemacht hab, sowohl über den Film, als auch über die Eindrücke, dass ich die auch erst mal verarbeiten musste."

Filmausschnitt:
"Ich war jetzt nicht zehn Tage krank, sondern fast ein Jahr. Und jetzt bis vor sechs Wochen, seitdem ist so eine lange gute Phase. Und ich glaube, wenn ich entlassen werde, such ich mir auch einen Therapeuten. Man hat auch das Gefühl, ich möchte eigentlich leben, aber ich kann das irgendwie nicht, das ist so eine Qual. Irgendwie ist das so ein ständiger Kampf."

"Wenn man fast zwei Jahre lang in einer Psychiatrie ist, wo einfach schwer kranke Menschen sind, dann – ja – überträgt sich das nicht auf einen, aber man merkt schon, dass man abends anders nach Hause kommt als wenn man jetzt einen Beitrag über den Zoo oder Kinder oder irgendwelche Stars dreht."

Irgendwann einmal will Gregor Theus auch Spielfilme drehen. Auch mal was Lustiges, klar. Aber sollte er als Filmemacher bekannt werden, der nur menschliche Extreme und gesellschaftliche Außenseiter präsentiert, dann hat er da auch nichts gegen.

"Nö, ich denke, ich werd auch in Zukunft auf jeden Fall sehr harte Filme zu harten Themen machen. Weil ich find, es kann halt nicht nur sein, dass es Filmemacher gibt, die nur schöne Filme machen. Man muss auch seine Rolle wahrnehmen und die Möglichkeit, dass man Themen ansprechen kann, wo viele nicht drüber berichten wollen, weil's an die Substanz geht oder viele Leute Angst davor haben. Was ich auch verstehen kann."

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