Demos für Deniz Yücel

Ist der Autokorso eine Protestform mit Zukunft?

Ein Autokorso-Teilnehmer hält eine Fahne "Free" am 25.02.2017 in Flörsheim (Hessen) aus dem Seitenfenster. Der in der Türkei inhaftierte "Welt"»-Journalist Deniz Yücel stammt aus Flörsheim. Yücel werden Terrorpropaganda, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Datenmissbrauch vorgeworfen. Mit einem Autokorso haben Angehörige, Freunde und Kollegen für dessen Freilassung demonstriert.
Ein Teilnehmer beim Autokorso für den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel im hessischen Flörsheim zeigt eine Fahne mit der Aufschrift "Free". © picture alliance / dpa / Andreas Arnold
Dieter Rucht im Gespräch mit Timo Grampes · 28.02.2017
Die Freilassung von Deniz Yücel: Dafür demonstrieren mit Autokorsos in zehn Städten die Unterstützer des "Welt"-Journalisten, der in der Türkei in inhaftiert ist. Wie wirksam diese Protestform ist, erklärt der Soziologe Dieter Rucht.
Der Türkei-Korrespondent der "Welt", Deniz Yücel, ist in der Türkei in Untersuchungshaft. Angeblich hat er Propaganda für eine terroristische Vereinigung verbreitet und die Bevölkerung aufgewiegelt. Bis zu fünf Jahre kann dieser Gefängnisaufenthalt theoretisch dauern.
Die Empörung in Deutschland über das Vorgehen der türkischen Justiz ist groß. Politiker und Prominente kritisieren Yücels Inhaftierung scharf. Heute sollen unter anderem Autos durch zehn Städte rollen, um die Freilassung des Journalisten zu fordern: Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt und Leipzig sind darunter, "Korso komplett! Korso mit scharf!" lautet das Motto der Demos.
Ein Schild "# Free Deniz" ist am 25.02.2017 in Flörsheim (Hessen) an einem Kinderwagen befestigt. Der in der Türkei inhaftierte «Welt»-Journalist Deniz Yücel stammt aus Flörsheim. 
Yücel werden Terrorpropaganda, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Datenmissbrauch vorgeworfen.© dpa/ Andreas Arnold

Bei politischen Anlässen selten

Die Protestform des Autokorsos wirke auf den ersten Blick etwas rückwärtsgewandt, sagte der Soziologe Dieter Rucht:
"Es ist gelegentlich für Proteste verwendet worden. Zum Beispiel als eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Berliner Avus eingeführt wurde. Damals waren Tausende unterwegs. Aber danach gab es kaum mehr derartige Proteste."
Von den ungefähr 5000 politischen Versammlungen und Aufzügen, die jährlich stattfinden, sei bisher gerade einmal alle ein bis zwei Jahre ein derartiger Protest vorgekommen. Autokorsos werden üblicherweise eher zu freudigen Anlässen veranstaltet, als in politischen Zusammenhängen, und sind in mediterranen Ländern besonders beliebt: etwa bei einer Hochzeitsfeier oder einem gewonnenen Fußballspiel, so der Soziologe:
"Da zeigt man sich, da wird die ganze Verwandtschaft aufgestellt. Da werden bunte Fahnen oder Bänder an die Autos geheftet. Und man erzeugt auch noch zusätzlich einen Höllenlärm."

Große Wirkung mit wenig Aufwand

Eine derartige Inszenierung sei auf jeden Fall aufsehenerregend, bewertete Rucht die Wirkung solcher Aktionen. Weil die Autos mehr Platz benötigen als ein einzelner Mensch, könne man die große Aufmerksamkeit eines Autokorsos auch mit vergleichsweise wenigen Teilnehmern erreichen:
"Das heißt mit 40 Autos können sie erstmal sehr viel Fläche beanspruchen. Sie können auch den Verkehr behindern. Sie können, vor allen Dingen wenn sie kilometerweise durch die Stadt fahren, viel Zuschauer erreichen. Das geht mit so einem kleinen regionalen Fußmarsch oder einer kurzen Blockade schlechter. Man hat eigentlich mit wenig Aufwand eine größere Wirkung. Und das ist vielleicht auch der Grund, warum jetzt diese Autokorsos stattfinden."
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