Demontage einer Legende

26.09.2007
Manfred von Richthofen wurde als Pilot im Ersten Weltkrieg zur Legende. Dem Jagdflieger haftete der Ruf als "Ritter der Lüfte" an. Der Historiker Joachim Castan räumt mit dem Mythos vom "Roten Baron" auf. Castan zeigt Richthofen als gefühlskalten Krieger, der ausschließlich seinem Jagdinstinkt folgt.
Die Legende, die schon zu Lebzeiten um Manfred von Richthofen gestrickt wurde, besagt, dass der fliegende Freiherr nach Möglichkeit das Leben seiner Gegner schonte, sie zur Landung zwang, um danach in perfektem Englisch mit ihnen Konversation zu treiben und zum gemütlichen Teetrinken einzuladen. Dass der Kult um den Jagdflieger bis heute anhält, hat auch damit zu tun, dass er sich auf einen Mythos beruft, der eigentlich aus dem Mittelalter stammt und in den industrialisierten Kriegen der Neuzeit nichts zu suchen hat: "Ritterlichkeit", Fairness dem Feind gegenüber, dem gleichwertigen Gegner, den es zu besiegen, nicht aber zu vernichten gilt. Die Luftkämpfe des Ersten Weltkrieges bekamen so den Charakter von Ritterspielen zugeschrieben, die mit dem anonymen Abschlachten auf den Schlachtfeldern am Boden nichts gemein hatten.

Es ist das Verdienst des Historikers Joachim Castan, diesen Mythos im Kern zu widerlegen und als geschickte Kriegspropaganda zu entlarven. Die Regel war, bereits angeschossenen Fliegern den Todesstoß zu geben, die eigene Abschussliste war alles, was zählte. Verschont wurde ein Gegner nur, wenn das eigene Maschinengewehr versagte. Auf 80 Abschüsse brachte es von Richthofen, bis er selbst am 21. April 1918, knapp 26-jährig, den "Heldentod" fand.

Castan belegt glaubhaft, dass der Vernichtungskrieg in der Luft fortgesetzt wurde, auf allen Seiten. Dass aber die Lüge vom Ritter der Lüfte bis heute geglaubt wird, hat auch damit zu tun, dass gerade die Engländer sie am Leben erhalten haben. Denn das Märchen vom gerechten Krieg, in dem es fair zugeht, ist offenbar ebenfalls für alle Seiten nützlich.

Castans Annäherung an Richthofen ist dort besonders überzeugend, wo er versucht, dessen Psyche zu analysieren. Wie viele seiner Generation wurde Richthofen schon mit elf Jahren in eine Kadettenanstalt geschickt, um zum preußischen Offizier ausgebildet zu werden. Bei dem eigentlich sensiblen Kind muss der Schliff besonders effektiv gewesen sein: Als junger Offizier, nach Beginn des Weltkrieges, beschreiben selbst seine Kameraden ihn als gefühlskalt und unnahbar; allein sein Jagdtrieb lässt Spuren von Emotionalität erkennen. Ab einem gewissen Zeitpunkt schießt er im Kriegsalltag Menschen mit der gleichen Leidenschaft ab, wie im Heimaturlaub Wildschweine und anderes Wild in den Wäldern rund um den Sitz seiner Familie. Der Blutrausch entwickelt sich zunächst an der Ostfront, wo Bomber und Flieger allein gegen Soldaten am Boden eingesetzt werden und wahre Massaker anrichten. Der "Kick" beim Fliegen und Töten, wird, glaubt man dem Autor, zur Droge: Der Rote Baron hat keine Freunde, keine Frauen. Eine Liebesgeschichte mit einer Krankenschwester ist ihm demnach im Nachhinein angedichtet worden, um zu vertuschen, dass der Kriegsheld in Wirklichkeit eine echte menschliche Beziehung nicht zu pflegen vermochte. Darüber hinaus legt der Autor die Vermutung nahe, dass Manfred von Richthofen nach einer Kopfverletzung im Jahr 1917 nahezu unzurechnungsfähig wurde, aber trotz diagnostizierter Flugunfähigkeit immer wieder in seine Maschine stieg. Krankhaft sein Ziel fixierend, konnte der Pilot nicht mehr vom einmal ins Visier genommenen Gegner lassen, wurde unvorsichtig und am Ende von australischen Soldaten am Boden abgeschossen.

Manfred von Richthofen ist eine der ersten medial aufgebauten Heldenfiguren. Die deutsche Kriegspropaganda feilt an seinem Image als gut aussehender ritterlicher Jung-Siegfried, um die hungernden Menschen an der Heimatfront zu motivieren. Ab einem gewissen Zeitpunkt sollte der Held dann eigentlich aus der Schusslinie genommen werden, denn es gab Kriegssituationen, in denen man die durchschnittliche Lebenserwartung eines Jagdfliegers an der Front in Stunden zählte. Nach seinem Tod im Jahr 1918 ist er noch besser zu instrumentalisieren. Die Nazis betreiben einen geradezu unwirklichen Kult um ihn, dies auch, weil Hermann Göring nach Richthofens Tod dessen Nachfolger wird.

Die Sprache des Autors Joachim Castan wirkt bisweilen etwas behäbig und ungelenk; dennoch muss man dieses Buch uneingeschränkt empfehlen, weil es schonungslos aufräumt mit der Vorstellung, dass in einem modernen Krieg irgendeine Art von Schönheit, Gerechtigkeit oder Wahrhaftigkeit Platz haben könnte, und dies mit Quellen und einer überzeugenden Argumentation untermauert. Leider dient Manfred von Richthofen bis heute als Vorbild für junge Soldaten, etwa bei der Bundeswehr. In Wirklichkeit war er psychisch krank, ein großes Kind, erst zum Töten dressiert, dann instrumentalisiert, um anderen die Tötungshemmung zu nehmen.

Rezensiert von Andreas Baum

Joachim Castan: Der Rote Baron. Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007
359 Seiten, 24,50 Euro