"Demonstration Disc" von Jason Grier

"Ich sehe mich nicht als Künstler - ich bin ein Arbeiter!"

Jason Grier
Der Konzeptmusiker Jason Grier © Tonje Thilesen
Von Hartwig Vens · 30.10.2017
Am Anfang seiner Karriere hat Jason Grier Synthie-Pop Marke Human League gemacht. Aber von Album zu Album wurde seine Musik abstrakter, konzeptioneller, selbstbeobachtender. Sein neues Album "Demonstration Disc" ist ein weiterer Höhepunkt erreicht: automatische Musik aus einer Sound-Bibliothek.
Track 2 von Jason Griers neuem Album "Demonstration Disc" fängt mit lautem Geprassel an - und bleibt auch so:
"Wenn man in Berlin wohnt, weißt man, dass das jedes Jahr Silvester passiert. Es steht für Feiern, aber es gibt auch etwas seltsam gewalttätiges daran. Es klingt wie – in Auführungsstrichen: ein Kriegsgebiet."

Der Albumtitel stimmt im Wortsinn

Verschiedene Samples der Feuerwerk-Aufnahmen schichten und überlagern sich. Der Noise der Böller, Heuler und Raketen eskaliert – zwei Minuten lang. Der Name des Albums, "Demonstration Disc", stimmt im Wortsinne. Die zehn unbetitelten Stücke führen die Arbeit mit einer Sound-Bibliothek vor. Vier Jahre lang hat Jason Grier Klänge aufgenommen, geschnitten, editiert und so eine Sammlung von 1800 Samples aufgebaut. Geräusche, Stimmen, Töne – auch solche von klassischen Instrumenten. Um mit diesem Wust zu arbeiten hat Jason Grier eine Software namens Seurat Midi entwickelt. Zufallsbasiert oder gesteuert werden die Partikel der Library kombiniert.
"Es handelt bewusst von seinen eigenen Materialien, es spricht von der Materialität der Klänge selbst. Es gibt nicht viel auf dem Album, das man Songstrukturen oder musikalische Strukturen nennen würde. Es ist ein abstraktes strukturelles, prozessbasiertes Werk, in dem die Zeichen, dass hier gearbeitet wurde, demonstrativ sichtbar sind."

Infragestellen des Künstlers und seiner Produktionszyklen

"Demonstration Disc" ist Präsentation einer techno-ästhetischen Operation und deren Resultat gleichermaßen. Jason Griers Musik war früher durchaus melodiös. Doch von Album zu Album ist sie abstrakter geworden - bis zu diesem radikalen Punkt. Grier greift in sein Bücherregal und zeigt mir "Geistige und körperliche Arbeit" Hauptwerk des marxistischen Philosophen Alfred Sohn-Rethel. Beinharte Theorie aus den 70ern, durch die sich Grier auf deutsch geackert hat. Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch unser Gespräch.
"Ich versuche, mir des Arbeitsaspekts meiner Kunst ständig bewusst zu sein. Ich sehe mich nicht als Künstler, der sein Werk als authentischen Ausdruck schafft. - Nein, ich bin ein Arbeiter. Ich arbeite, so wie jeder andere arbeiten muss, um ein Resultat zu erzeugen. Und wie jeder andere verwende ich Maschinen bei dieser Arbeit und die haben verschiedene Grade von Autonomie."
Die Maschinen hätten endlos weiterarbeiten können und Grier hat den Punkt der Fertigstellung des Albums absichtlich hinausgezögert. Auch das ist Bestandteil seiner Infragestellung des Künstlers und seiner Produktionszyklen. Dann aber hat er den Schlusspunkt doch gefunden. Im letzten Stück hört - oder vielmehr: erahnt man - Stimmengewirr von der Straße. Fragmentarische, kaum erkennbare Spuren aus einem Videos der Proteste gegen Donald Trump nach dessen Wahl zum Präsidenten. Die Internet-Verbindung war kaum vorhanden. Auch dieses Klangfragment fand Eingang in die Sound-Sound-Sammlung und in dieses fremd- und großartige Album.
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