Dem Zeitgeist immer ein paar Schritte voraus

28.03.2011
Marshall McLuhan war der erste intellektuelle Popstar, seine Medientheorien Gesprächsstoff auf Cocktail-Partys. Wie es dazu kam und wer dieser Mann war, kann man jetzt in der pünktlich zum 100. Geburtstag McLuhans auf Deutsch erschienen Biographie von Douglas Coupland nachlesen.
"Der Politiker wird nur allzu gern abdanken, wenn er damit sein Image retten kann, denn sein Image wird sehr viel mächtiger sein, als er es je könnte.” Nein, diese Sentenz entstammt nicht einem aktuellen Kommentar zu Guttenbergs Rücktritt, sondern sie stammt vom kanadischen Medientheoretiker Marshall McLuhan (1911-1980). Der war berühmt für seine pointierten, oft ans Kryptische grenzenden Statements. Zwei davon, die Rede vom "globalen Dorf” und die Aussage "Das Medium ist die Botschaft”, haben sich tief ins popkulturelle Gegenwartsgedächtnis eingeschrieben und sind heute das erste (und oft einzige), das mit dem Begründer der modernen Medienwissenschaft verbunden wird.

In den Sechzigern stieg McLuhan im Alter von über 50 Jahren vom verschrobenen Literaturprofessor für Renaissance-Rhetorik zum ersten intellektuellen Popstar auf, dessen Theorie-Fragmente Gesprächsstoff auf Cocktail-Partys waren und der hochdotiert vor Marketingfachleuten sprach. Wie es dazu kam und wer dieser Mann war, das kann man jetzt in der pünktlich zum hundertsten Geburtstag McLuhans auf Deutsch erschienen Biographie von Douglas Coupland nachlesen.

Coupland, seit seinem Debüt-Erfolg "Generation X" vor 20 Jahren selbst als feinsinniger Zeitgeistdiagnostiker bekannt, gelingt ein einfühlsames Psychogramm. McLuhan, der als exzentrisch und schwierig im sozialen Umgang galt, der geschliffen reden, aber nur schlecht zuhören konnte und der mit 26 zum Katholizismus konvertierte, war in seinem Herzen ein Konservativer. Die elektronischen Massenmedien waren ihm im Grunde verhasst. Dennoch wurde er als ihr Guru gefeiert und hat wesentlich zum Verständnis unserer vollständig medialisierten Wirklichkeit beigetragen.

Liebevoll zeichnet Coupland die Wechselfälle von McLuhans privatem wie öffentlichen Lebensweg nach und skizziert anschaulich das intellektuelle und gesellschaftliche Klima, in dem er seine Theorien von den Medien als den "magischen Kanälen” entwickelte, die unser Bewusstsein umprogrammieren und uns nach dem "Ende der Gutenberg-Galaxis” wieder zurück zur oralen Stammesgesellschaft führen.

Spielerisch webt Coupland Fundstücke aus dem Netz, McLuhan-Aphorismen, typographische Experimente und Anagramme in den Text seiner Biographie ein. Und schmiegt sich so mimetisch an die eklektische Arbeitsweise seines kanadischen Landsmanns an. Mal charakterisiert er McLuhan als "Informationslaubbläser”, dann wieder sieht er in ihm den rastlosen Visionär, immer auf der Suche nach neuen Ideen und Erkenntnissen.

McLuhan war dem Zeitgeist immer ein paar Schritte voraus und verstieg sich in seinem assoziativen Denkstil gerne zu riskanten Thesen. "Was, wenn er recht hat?” überschrieb Ende der Sechziger Tom Wolfe ironisch sein Portrait des Nerd- Professors, der zum vielbefragten Orakel des elektronischen Zeitalters geworden war. Für Coupland hat McLuhan zumindest in einem Recht behalten: Im Internet und der digital Weltgesellschaft sieht er die Erfüllung von dessen Prophezeiung einer globalen Ausweitung und Vernetzung des menschlichen Bewusstseins.

Besprochen von Philipp Albers

Douglas Coupland: Marshall McLuhan. Eine Biographie
Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
Klett-Cotta / Tropen Verlag, Stuttgart 2011
222 Seiten, 18,95 Euro