Deichtorhallen

Punkikone Raymond Pettibon zu Gast in Hamburg

Der US-amerikanische Künstler Raymond Pettibon.
Der US-amerikanische Künstler Raymond Pettibon. © dpa / picture alliance / Holger Hollemann
Von Anette Schneider · 27.02.2016
In den Hamburger Deichtorhallen ist die bisher größte Ausstellung des US-amerikanischen Zeichners Raymond Pettibon zu sehen. Der Kultzeichner der US-amerikanischen Punkbewegung kann ganze vier Stockwerke mit seinen Zeichnungen füllen.
Wer Raymond Pettibons Arbeit von ihm höchstpersönlich erklärt haben will, beißt bei dem Zeichner auf Granit. Schon mehrfach erklärte er - wie hier in einem Videoclip:
"People ask me often, how do you make it? I mean in my case - I am not the person to ask."
Soll doch jeder selber gucken! Ein nackter Mann übt im Schlafzimmer den Hitlergruß. Eine Hand steckt einem Cop eine Pistole in den Mund. Dazu die Worte: Make me come.
Zeichnungen von Raymond Pettibon. Dem Kultzeichner der US-amerikanischen Punkbewegung. Dicht an dicht. Auf zwei Stockwerken. Entstanden in den 70er- und 80er-Jahren. Heute ist Pettibon längst im bürgerlichen Kunstbetrieb angekommen. Damals, in den 70ern, studierte er Ökonomie in Los Angeles. Dann begann er zu zeichnen. Tag für Tag. Im Comicstil. Mit Tinte.
Zeichnungen, die sein Bruder, der Gründer der Punk-Band Black Flag, für Plattencover nutzte. Und für Flyer. Und für selbstkopierte comicähnliche Hefte, Preis: 1 Dollar 50. Auch sie hängen in der Ausstellung. Und immer wieder: Vier parallele schwarze Balken. Das Synonym für Punk, erfunden von Raymond Pettibon. Band-Mitglied Henry Rollins:
"Black Flack’s Logo - originated by Raymond Pettibon, the amazing artist, that becames synonimous with: Unrest. Chaos. Rebellion. And those pushing against anything you got."

Rücksichtslos, tabufrei, provozierend

Pettibon zeichnet gegen alles und jeden. Rücksichtslos, tabufrei, provozierend. Drei bekiffte, nackte Hippies springen lachend in den Tod. Eine weiße Hand hält vor schwarzem Hintergrund eine Pistole. Darunter die Zeile: "Ich hab dieser Pistole beigebracht, nur Schwarze zu erschießen!" Drei Männer quälen eine gefesselte Frau.
"Ich nenne den Pettibon einen Mythologen Amerikas. Und Mythologen - damit meine ich jemanden, der die Geschichten untersucht und formuliert, mit denen die Amerikaner sich selber identifizieren."
Kurator Ulrich Look, der auf vier Stockwerken 700 Arbeiten zeigt. Mal chronologisch, mal thematisch gehängt.
"Das hauptsächliche Motiv - aber das taucht nicht auf, das liegt dahinter, das ist der "amerikanische Traum". Der amerikanische Traum tritt aber in dieser Sozialgeschichte Amerikas, die Pettibon über 40 Jahre gezeichnet hat, auf in seiner Verkehrung. In seiner schwarzen, seiner negativen, in seiner ruinierten Form."
Der Autodidakt Pettibon legt frei, wie das Sein das Bewusstsein bestimmt: Dass soziale Unsicherheit, die militärischen Aggressionen des selbsternannten Welt-Polizisten USA, eine gewaltgetränkte Massenkultur und alltäglicher Rassismus Spuren hinterlassen im Individuum. Und so zeichnet er immer wieder Gewalt und Gewaltphantasien. Rassismus, Jesuswahn und - Baseballspieler.
"Die Ausstellung heißt 'Homo Americanus' - des amerikanischen Menschen, des amerikanischen Mannes, verkörpert innerhalb dieser mythologischen Konstruktion von Pettibon zum Beispiel durch den Baseballspieler, der den großen Knüppel schwingt."
Im dritten Stockwerk kehrt etwas Ruhe ein. Fast hat man den Eindruck, Pettibon sei handzahm geworden: Plötzlich füllt er große und kleine Formate mit Strukturen - etwa von Kirchengewölben, Dornenbüschen, Atomexplosionen. Er setzt dazu Zitate von Mark Twain bis James Joyce. Er tuscht wieder und wieder winzige Surfer im riesigen Meer - für ihn ein Symbol der Freiheit, die er kurz zuvor noch völlig zu recht als bluttriefendes ideologisches Konstrukt entlarvte. Ulrich Look:
"Der Pettibon ist mittlerweile auch angekommen im Museum of Modern Art. Also man kann auch sagen, dass in den Zirkeln der offiziellen Kultur Pettibon bekannt ist und geachtet wird."
Im vierten und letzten Stockwerk der gewaltigen Ausstellung dreht Pettibon glücklicherweise noch einmal voll auf: Die gefälligen Themen der 90er, mit denen er bewiesen hat, dass er sich für den Kunstmarkt kompatibel machen kann, weichen wieder einem kritischen Blick auf das, was ihn umgibt: Mit grobem, harten Strich zieht er her über den angeblichen Krieg gegen den Terror. Er zeigt Bush, der mit bluttriefenden Händen aus dem Bild guckt und vom Betrachter verlangt: "Gimme ten!"
Und er führt vor, woher die roten Streifen auf der US-amerikanischen Flagge kommen: Zwei Soldaten schleifen zwei blutüberströmte Erschossene hinter sich her. Sie hinterlassen auf dem Boden - rote Streifen. Hartnäckig und unermüdlich setzt Pettibon fort, womit er Ende der 70er-Jahre begann: Mit der Demaskierung des US-amerikanischen Selbstbildes.
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