Deep Fakes in den Nachrichten?

Wenn Videos nichts mehr beweisen

Videoaufnahme mit einem Smartphone
Alles per App: Videoaufnahme und Videomanipulation nicht mehr nur mit Hollywood-Technik, sondern auch auf dem Smartphone möglich © Elliot Teo / Unsplash
Von Enno Park · 08.03.2018
Seitdem Video-Manipulation auf Hollywood-Niveau per App möglich ist, beweisen Videos gar nichts mehr. Ein Politiker, der etwas vor laufender Kamera gesagt zu haben scheint, muss das nicht so gesagt haben. Ist das das Ende der Realität? Der Autor und Journalist Enno Park meint: Nein, es ist das Ende einer Illusion.
2016 hatte eine jugendliche Carrie Fisher einen Auftritt in dem Krieg-der-Sterne-Film "Rogue One". Doch die damals 59-jährige Schauspielerin stand nicht selbst vor der Kamera, um eine fast 40 Jahre jüngere Prinzessin Leia zu spielen: Die Szene stammt aus dem Computer. Vor zwei Jahren war das noch millionenteure Tricktechnik aus Hollywood. Heute kann jeder diese Szene einigermaßen überzeugend mit einer App nachbilden.
Deep Fakes heißen diese Filmchen, die seit einigen Wochen im Internet auftauchen. Sie zeigen die Köpfe bekannter Prominenter auf den Körpern ganz anderer Menschen. Zumindest auf den ersten Blick wirkt die Computermontage überzeugend. Kleine Unstimmigkeiten fallen erst bei genauerem Hinsehen auf. Um so ein Deep Fake zu erzeugen, ist auch kein Millionenaufwand mehr nötig. Jeder kann heute mit einer App Schauspielerinnen in Pornoszenen montieren oder Politikern nie gesagte Worte lippensynchron in den Mund legen. Dafür genügen ein paar 100 Fotos und einige Audio-Aufnahmen der Zielperson.

Wir müssen uns angewöhnen, nach Quellen und Belegen zu fragen

Dutzende gefälschter Pornos sind bereits aufgetaucht. Webseiten wie Twitter, Reddit oder Pornhub haben reagiert und das Veröffentlichen solcher Filme bei ihnen verboten. Noch fällt die Fälschung auf, sobald man genau hinsieht, aber die Software entwickelt sich weiter. In naher Zukunft werden auch Experten nicht mehr ohne eingehende Analyse Fälschung und Realität auseinander halten können. Eine Dystopie scheint wahr zu werden.
Als Gutenberg den Buchdruck erfand und Luther seine Bibel herausgab, sollten alle selbst nachlesen können, was geschrieben steht. Schon damals waren die Folgen nicht nur Aufklärung, Wissenschaft und Demokratie. Es kursierten Pamphlete aller Art, in denen die krudesten Dinge behauptet wurden. Die vielleicht bekannteste Fake News der frühen Neuzeit war der Hexenhammer.
Wir als Gesellschaft mussten uns mühsam beibringen, dass das gedruckte Wort an sich keine Autorität hat. Dass die Aura des Buches nichts über den Inhalt sagt und der größte Schund mit Goldschnitt daherkommen kann. Dass erst wissenschaftliche Reproduzierbarkeit und die Nachprüfbarkeit von Quellen dem Gedruckten auch faktischen Wert verleihen. Alles andere ist Fiktion.

Schon auf der Weltausstellung 1855 wurde die beste Fotoretusche ausgezeichnet

Und das müssen wir jetzt als Gesellschaft neu lernen, wenn es um Bilder und Töne geht. Dabei wissen wir das eigentlich schon. Seit 1826 das erste Foto gemacht worden war und in den Jahrzehnten danach der Film entstand, wurden diese Bilder auch mit allerlei Tricks manipuliert. Bereits 1855 gab es auf der Pariser Weltausstellung einen Preis für überzeugende Retusche von Fotos. Neben allerlei Filmtricks wie Stop Motion oder Geisterprojektionen lernten Filmemacher, Bildausschnitt, Perspektive und Montage zu nutzen, um eine Aussage zu transportieren. Das alles sind Techniken, die bis heute durchgängig auch im Dokumentarfilm und in Nachrichtensendungen benutzt werden.
Eigentlich waren Foto und Film schon immer Fiktion – und doch ziehen sie eine besondere Autorität aus ihrer Aura des Authentischen. Das Gezeigte muss so sein, wir haben es schließlich auf Bildschirm und Leinwand selbst gesehen und fühlen uns als Zeugen. Künftig aber werden Foto, Film und Ton endgültig auf einer Stufe mit Text stehen. Sie werden frei editierbar sein. Wie jeder alles hinschreiben kann, kann künftig jeder alles mit Bildern behaupten. Und deshalb werden wir mit Film und Foto genauso umgehen müssen wie mit Texten. Wir werden nach Quellen fragen müssen und nach Beweisen für Echtheit. In den Nachrichtenredaktionen ist das schon lange Alltag.
Wenn Deep Fakes nicht mehr von der Realität zu unterscheiden sind, ist das nicht das Ende der Realität, sondern das Ende einer Illusion.

Enno Park ist Journalist und Wirtschaftsinformatiker. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Gesellschaft bis hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine. Seit er Cochlea-Implantate trägt, bezeichnet er sich selbst als Cyborg und ist einer der Gründer des Cyborgs e.V. in Berlin.

© Deutschlandradio / Cara Wuchold
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