Debattenkultur in Deutschland

Peter Sloterdijk und das "Kiffen in Begriffen"

Peter Sloterdijk redet auf einer Pressekonferenz
Der Philosoph und "öffentliche Denker" Peter Sloterdijk © dpa / Andreas Gebert
Michael Köhler im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 26.06.2017
Welche Rolle spielen Groß-Intellektuelle in der Debattenkultur Deutschlands? Zum Beispiel der Philosoph Peter Sloterdijk, der heute seinen 70. Geburtstag feiert? Er sei "der letzte große öffentliche Denker in Deutschland", urteilt der Journalist Michael Köhler.
Die Position des öffentlichen Intellektuellen sei kein rein französisches Rollenfach, meint der Kulturjournalist Michael Köhler vom Deutschlandfunk in Köln. Peter Sloterdijk sei unbestritten ein öffentlicher Philosoph und Denker. Er verfüge sogar über Performancequalitäten:
"Er (Sloterdijk) ist ein großartiger Bühnenkünstler. Man könnte fast sagen: ein Entfesselungskünstler, der die Entzauberung wieder verzaubert. Er hat nicht den einen Gedanken. Es ist eher eine Methode. Sie besteht darin zu sagen: Unsere scheinbar so hoch technisierte, wissenschaftliche Moderne ist am Ende auch nur ein Mythos."

Sloterdijk ist ein "elastischer Konservativer"

Ein Mythos sei eine Erzählung, sie versuche, die Unmöglichkeit des Anfangs zu beschreiben. So versuchten wir ein Leben lang, den Anfang des eigenen Leben erzählend zu rekonstruieren, so beschreibt es Köhler. Davon handelten auch einige Bücher Sloterdijks, etwa das jüngst erschienene Werk "Nach Gott". Dahinter stecke ein bestimmtes Selbstverständnis:
"Er ist der letzte große Stilist nach Nietzsche, vielleicht der letzte Phänomenologe, der ständig in Bewegung ist: ein elastischer Konservativer, der gewissermaßen sagt: 'Wir kennen uns nicht aus in der eigenen Welt, wir können nur darüber erzählen.'"
Sloterdijk sei "unverschämt produktiv" und schreibe schneller als man lesen könne, sagt Köhler.
"Manchmal denke ich, er berauscht sich geradezu. Das ist ein Kiffen in Begriffen, wenn Sie diese feuilletonistische Respektlosigkeit erlauben."

Wie man zum "Lieblingsfeind des links-liberalen Feuilletons" wird

Der Philosoph habe sich mit manchen Äußerungen auch zum "Lieblingsfeind des links-liberalen Feuilletons" gemacht, stellt Köhler heraus. Andererseits habe Sloterdijk aber auch sehr fruchtbare Debatten angeregt:
"Das ist eine Form des Dekantierens ungedachter Gedanken. Und das ist oft das Anstößige. Dass da jemand kommt und in diese 'objektive Sozialdemokratie', in der wir leben – ein Begriff von Sloterdijk – hineinsticht und uns ärgert. Und sagt: 'Kinder, wäre es nicht vielleicht auch fortschrittlich zu sagen, man könnte auch mal anders denken?'"

Berührungspunkte zwischen "paradoxem Denken" und der Tagespolitik

Immer wieder gebe es Berührungspunkte zwischen dem "paradoxen Denken" Sloterdijks und den tagespolitischen Debatten. Er sei immer "nah dran an den Phänomenen", urteilt Köhler über die Rolle Sloterdijks in unserer Debattenkultur:
"Er ist wirklich der letzte große öffentliche Denker in Deutschland, der sich traut auch einmal Sachen zu sagen, die kein anderer so sagen würde. Weil er sonst wahrscheinlich seine Professur verlieren würde." (ue)
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