Debatte um Projekt des Zentrums für politische Schönheit

Aktionskunst im Raum der Politik

"Scholl 2017" Aktion der Aktionskünstler des Zentrum für politische Schönheit
Der Aktionskünstler Philipp Ruch am 27.06.2017 in München © imago stock&people
Matthias Lilienthal im Gespräch mit Gabi Wuttke  · 03.07.2017
Für den Regisseur Matthias Lilienthal ist das Aktionskunstprojekt "Scholl 2017" des Zentrums für politische Schönheit ein Projekt modernen Theaters: Denn Theater seien Stätten, in denen es man streite, "wie sich unsere Wirklichkeit darstellt".
Eine umstrittene Kunstaktion des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) in Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen sorgt für aufgeregte Debatten. Zunächst hatten Münchner Schulen Unterrichtsmaterialien vom "Bayerischen Staatsministerium für Bildung, Kultur und Demokratie" erhalten mit dem Aufruf, Schülerinnen und Schüler sollten, in Erinnerung an die Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl, Flugblätter gegen aktuelle Diktatoren zu verfassen. Der Sieger des Projekts "Scholl 2017" dürfe in eine Diktatur seiner Wahl reisen und dort sein Flugblatt verteilen, hieß es. Es gab auch einen Abend in den Kammerspielen, bei dem in Anlehnung an Casting-Entertainment die besten Flugblätter prämiert wurden.

Flugblätter in Istanbul

In Istanbul ging das Projekt spektakulär weiter. Ein ZPS-Aktivist hatte dort ein Hotelzimmer direkt am Gezipark gemietet und seinen Drucker so an einem offenen Fenster aufgebaut, dass die druckfrischen Flugblätter auf die Straße hinausfliegen konnten. Während er schon abgereist war, druckte der Drucker weiter und installierte Kameras hielten das Geschehen fest. Im Internet konnte man sehen, wie hunderte regimekritischer Flugblätter mitten in Istanbul heruntersegelten. Darauf heißt es: "Wir fordern den Rücktritt des Diktators Erdoğan und die Ausrufung von freien Wahlen. Wir fordern die Freilassung aller zu Unrecht Inhaftierten. Wir fordern Humanismus und Demokratie." Formuliert haben ihn laut ZPS Deutschtürken im Alter von 20 bis 24 Jahren im Rahmen von "Scholl 2017". Die türkische Polizei fahndete vergebens nach den Tätern.

In der Tradition von Schlingensief

"Man weiß ja, dass ich mit Christoph Schlingensief groß geworden bin", rechtfertigte der Intendant der Münchner Kammerspiele, Matthias Lilienthal, die umstrittene Aktion im Deutschlandfunk Kultur.
Er habe viele von dessen Inszenierungen an der Berliner Volksbühne mitgemacht. Er erinnerte an dessen Aktionen zu "Tötet Helmut Kohl" oder "Ausländer raus" in Wien. "Natürlich ist Philipp Ruch und das Zentrum für politische Schönheit so etwas wie eine der Gruppen, die den Geist Schlingensiefs versuchen fortzusetzen." Theater seien Stätten, in denen es darum gehe darüber zu streiten, wie sich unsere Wirklichkeit darstelle. Das gelte vor allem jetzt vor dem G20-Gipel in Hamburg, bei dem Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Staatsoberhäuptern wie Macron, Erdogan und Trump zusammentreffe. "So richtig normal finde ich es nicht , bei dem was Herr Erdogan in der Türkei macht, dass man sich mit ihm zusammensetzt und so tut, als ob nichts wäre."

Kritik hat sich gedreht

Matthias Lilienthal, aufgenommen, am 16.09.2013 in München (Bayern).
Matthias Lilienthal, aufgenommen, am 16.09.2013 in München (Bayern).© picture alliance / dpa / Tobias Hase
Zu der Kritik an der Aktion sagte Lilienthal, es sei selbstverständlich, dass das ZPS und die Kammerspiele darauf achteten, dass bei "Scholl 2017" junge Leute nicht zu Schaden kämen. "Trotzdem sich die Aktion 'Scholl 2017' sehr weit in die politische Aktionssphäre vorwagt, bleibt sie immer noch Aktionskunst." Es werde versucht, mit Flugblättern die hiesige und die Istanbuler Bevölkerung aufzurütteln. Auch Schlingensief habe nach seinen Aktionen viel negative Kritik geerntet. Er habe den Eindruck, dass es jetzt zunächst eine sehr entsetzte Reaktion gegeben habe und sich das nun durch die Istanbuler Aktion wende. "Ich lebe hier in der Stadt München, wo zwar die Erinnerung an die Geschwister Scholl in der historischen Distanz gepflegt wird, aber wo Widerstand als politische Ausdrucksform der Gesellschaft sehr, sehr fern liegt."
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