Debatte um Netflix-Serie „The Crown“

Fiktion in Film und Literatur: Wem gehört die Wahrheit?

45:52 Minuten
Szene aus "The Crown" Staffel 4, Diana Princess of Wales gespielt von Emma Corrin im Blitzlichtgewitter.
Wie viel "echte" Lady Di verkörpert Schauspielerin Emma Corrin in "The Crown"? © Des Willie/Netflix
Von Christine Watty und Katrin Rönicke · 03.12.2020
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Die Serie "The Crown" verwischt erfolgreich die Grenze zwischen Doku und Fiktion. Doch woher rührt die Sehnsucht nach "wahren" Stoffen – und wer darf diese Geschichten erzählen? Wir sprechen mit Autorin Deniz Ohde und Journalist Robert Rotifer.
Einer der Streaminghits auf Netflix ist aktuell "The Crown". Da kann man staffel- und stundenlang dem Leben von Queen Elisabeth II. und der britischen Monarchie zuschauen. Man erfährt, wie alles begann, schaut in die Abgründe des Queen-Daseins im Wandel der Zeit, lernt etwas über politische Konflikte Großbritanniens und warum es am Ende eigentlich immer um missratene Lebensentwürfe, Männer im Machtrausch und vor allem die Liebe geht. Dass die Serie auf wahren Begebenheiten basiert steht außer Frage, dass sich Drehbuchautor Peter Morgan beim Schreiben seiner Fantasie bediente aber hoffentlich auch nicht. Oder?
Nachdem ein Mitglied der britischen Regierung nun davor warnte, diese Serie zu ernst zu nehmen, und Netflix bat, quasi einen "Fiktionswarnhinweis" einzubauen, müssen wir auch mal über den Quotenkracher und vor allem seine Wahrnehmung reden.

Wo endet die Wahrheit, wo beginnt die Fiktion?

Robert Rotifer ist Popkultur-Journalist und wohnhaft in London. Er erläutert das Fiktions- und damit Abstraktionsvermögen der britischen Zuschauer. Er erklärt die große Sorge um die Wahrnehmung der Seriengeschichten sowie die Sehnsucht nach wahren Stoffen – also danach, Geschichten anzuschauen, zu hören, zu lesen, die bitte auch genau so geschehen sind.
Egal ob True Crime, (Auto)-Biografien oder Geschichtsdramen: Beim Publikum kommen Stoffe, die "auf wahren Begebenheiten beruhen", sehr gut an. Dabei verwischt hier und da die Grenze zwischen Doku und Fiktion. Etwa, wenn auf einem Buch "Roman" draufsteht und trotzdem alle nach den autobiografischen Anteilen fragen und die Autorin in die Geschichte hineininterpretieren – so wie bei Deniz Ohde nach der Veröffentlichung ihres Romans "Streulicht".

Wie viel Ich ist in der Icherzählerin?

Das autofiktionale Schreiben und Erzählen ist natürlich kein neues Phänomen. Aber seit einiger Zeit reden Feuilleton und Literaturkritik gern über Bücher, die nicht als einfache Romane daherkommen, zugleich auch keine Autobiografien sind. "Streulicht" landete auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und bekam den aspekte-Literaturpreis. Der Roman erzählt aus der Ich-Perspektive das Leben eines Mädchens, das sich trotz ihrer Herkunft "nach oben" durchhangelt – und wirft damit einen harten Blick auf Klasse und Herkunft in Deutschland. Ist das Ohdes Geschichte? Oder nur manchmal? Wie geht sie aus ihrer Perspektive mit ebendiesem Erzählen um?
In unserer Kulturprodukte-Runde zwischen Fiktion und Realität kommen wir hoffentlich einem auf die Spur: Der Wahrheit darüber, warum wir, jedenfalls sehr viele, sich gerne an diesen Stoffen orientieren. Und mit Blick auf Ohdes und auch sogar des britischen Königshauses Geschichte vielleicht auch der Antwort auf die Frage näher: Wer darf eigentlich was erzählen, wem gehören die Geschichten?
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