DDR-Übersetzungsdienst Intertext

Die Firma der SED

Auf einer Propagandatafel aus Stein steht das Wort "Frieden" in verschiedenen Sprachen und ist eine Friedenstaube zu sehen.
Nicht nur auf Propagandatafeln spielten Fremdsprachen in der DDR eine große Rolle. Dinge wie politische Dokumente, wissenschaftliche Arbeiten und Reden der Staats- und Parteiführung wurden übersetzt. © picture alliance / dpa ZB / Jens Büttner
Von Thomas Klug · 30.09.2015
Die Sprachen des "großen Bruders" Sowjetunion, Russisch, und die Sprachen der "kleinen Brüder", unter anderem Tschechisch, Polnisch und Ungarisch, spielten in der DDR eine große Rolle. Die zahlreichen Übersetzungen liefen über den Fremdsprachendienst Intertext. Der sollte auch wirtschaftlich erfolgreich sein.
Der große Bruder sprach Russisch. Die kleinen Brüder sprachen Tschechisch, Ungarisch, Bulgarisch, Slowenisch, Polnisch. Und noch ein paar andere Sprachen. Der große Bruder verkündete viel in seiner Sprache – Russisch. Und die kleinen Brüder sollten das verstehen: Politische Pamphlete, wissenschaftliche Arbeiten und unendliche Reden der Staats- und Parteiführung. Und dann sang der große Bruder auch noch Pionierlieder.
Refrain des Liedes "Immer lebe die Sonne":
Pust' wsegda budet solnze
Pust' wsegda budjet nebo,
Pust' wsegda budjet mama,
Pust' wsegda budu ja!
Immer lebe die Sonne,
Immer lebe der Himmel,
Immer lebe die Mutti,
Und auch ich immerdar!
Ohne die Sowjetunion ging in der DDR nichts. Wirtschaftlich und politisch sowieso. Die Übersetzer hatten gut zu tun. Nicht nur die Russisch-Übersetzer.
Manfred Dittmar: "Das waren Sachen, die natürlich aus dem Russischen kamen. Aber die Russen haben wieder die westlichen Quellen ausgewertet gehabt. Das war so um die Ecke herum."
Manfred Dittmar sitzt in einem Café unweit seiner früheren Arbeitsstätte: Er hat in der DDR als Übersetzer gearbeitet. Übersetzt wurde nicht nur, was die Partei an Dokumenten ausspuckte, sondern auch Fachliteratur:
"Dann natürlich die chemische Industrie, die Reifenindustrie in Fürstenwalde war der Hauptauftraggeber. Dann aus dem Bereich der Medizin."
Ja kein falscher Zungenschlag
Manfred Dittmar arbeitete zunächst freiberuflich. 1962 gab es in der DDR 540 freischaffende Übersetzer und Dolmetscher. Ein Jahr später waren es schon über 300 mehr. Erfasst wurden diese Zahlen von Intertext, dem 1962 gegründeten Fremdsprachendienst der DDR. Intertext als Übersetzungsbetrieb hatte fast ein Monopol. Was damals nicht bekannt war: Intertext, war ein Betrieb der SED, eine Parteifirma also. Und die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" feierte den SED-Betrieb Intertext, zum Beispiel 1967:
Zitat: "Zu einem leistungsfähigen Übersetzungs- und Dolmetsch-Leitbetrieb hat sich der Fremdsprachendienst der DDR Intertext entwickelt, der in diesen Tagen auf sein fünfjähriges Bestehen zurückblickt."
Kein Wort vom Parteieigentum.
"Da wurde aber nicht so drüber geredet. Ich hatte es mal erfahren noch vom Hauptbuchhalter, dass eben die Gelder abgeführt werden, die Einnahmen. Und von dem vielleicht erzielten Gewinn kam gelegentlich mal etwas zurück. Es ist im Wesentlichen so gewesen, dass die SED sich so einen Betrieb gehalten hat, und die Leute sollten eigentlich auch linientreu sein."
Intertext wuchs tatsächlich. Bald wurde der Betrieb geteilt:
"Es war in den Anfängen ein Betrieb, wurde dann später unterteilt in einen Direktionsbereich 1 und einen Direktionsbereich 2. Der Direktionsbereich 2 saß in der Mauerstraße in unmittelbarer Nähe vom Checkpoint Charlie. Dort wurden die politischen Sachen übersetzt und bis zu drei, vier Mal redigiert, damit auch kein falscher Zungenschlag reinkommt."
Die falschen Zungenschläge. Übersetzer fachlicher Texte mussten diese Angst vor falschen Zungenschlägen nicht haben. Bei ihnen ging es nicht darum, die aktuellen politischen Sprachregelungen zu beachten – aber bei der Übersetzung politischer Texte galt es, diese spezielle Übersetzerkunst in all ihren Feinheiten zu beherrschen und keine Fehler zu machen.
"Es ist einmal passiert, dass eine Frau anstatt ZK der SED KZ der SED geschrieben hat. Und von da an musste das Wort Zentralkomitee stets ausgeschrieben werden."
Stück vom realsozialistischen Übersetzungskuchen an die CDU
Was Übersetzer weltweit tun, konnte in der DDR schon mal eine besondere politische Bedeutung haben. In welche politisch korrekten Worte fasste man - in einem Staat der Planer - das Vorhaben, einen Baum zu fällen?
"Es ist nicht vorgesehen, einen Baum zu fällen, das war dann geplant. Alles war geplant."
Die Steuerung des Übersetzerwesens über Intertext als zentrale Übersetzerorganisation sollte ein Erfolg werden, nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Der Russisch-Übersetzer Manfred Dittmar erinnert sich an das Jahr 1969:
"Dann kam eine neue Verordnung und die besagte, dass alle Einrichtungen, also die staatlichen Einrichtungen, Aufträge an Intertext zu vergeben hätten, notfalls an Interpret. Interpret war verbunden mit der Ost-CDU."
SED: Intertext, CDU: Interpret. So wie sich die SED noch ein paar kleine Parteien in ihrem Geiste hielt, so durfte die CDU auch ein Stück vom realsozialistischen Übersetzungskuchen abbekommen. Aber das dickste Stück war natürlich der führenden Partei vorbehalten, aus Gründen der politischen Kontrollierbarkeit, aber auch mit einem Blick auf die Parteikasse, die durch garantierte Aufträge gefüllt werden sollte.
Am Ende aber galt für sie alle dieser Lied-Refrain:
Ausschnitt aus einem Lied von City:
"Es ist alles vergänglich, ob deutsch, russisch, englisch. Ob Krone, ob Laub - wird alles zu Staub."
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