DDR-Staatsdoping-Opfer

"Ich wusste nicht, dass das verbotenes Doping ist"

Anabolikum - Oral Turinabol (Tablettenpackung der VEB Jenapharm)
Das Anabolikum Oral Turinabol © imago/Steinach
Von Silke Hasselmann · 18.12.2016
Seit Juli 2016 läuft an der Universität Greifswald die deutschlandweit größte Studie über körperliche und seelische Langzeitfolgen des DDR-Dopings. Eine Teilnehmerin ist Silvia S. aus Schwerin. Sie wünscht sich, dass die Zusammenhänge zwischen Doping und bestimmten Erkrankungen belegt werden.
Schwerin am Ziegelinnensee. Hier wohnt Silvia S., die DDR-Sprintjugendmeisterin über 100 Meter geworden war. Das war 1973, und sofort holte der Sportclub Traktor Schwerin das damals 17-jährige Talent aus der Betriebssportgruppe zu sich in die Sprint-Gruppe, denn:
"Ich sollte daraufhin in den nächsten drei Jahren auf die Olympischen Spiele in Montreal vorbereitet werden. Und dann hat man eben sofort angefangen mit dem Doping bei mir. Ich wusste nicht, dass das verbotenes Doping ist, sondern ich dachte, das wäre was, was den Muskelaufbau beschleunigen würde. So hat man mir das gesagt. Es wurde von Sportärzten erklärt, und der Trainer hat mir das verabreicht."
Heute weiß sie, dass sie das in Jena entwickelte männliche Sexualhormon Oral-Turinabol schlucken musste, aber nicht, wie oft und in welcher Dosis. Es sollte die natürliche Belastungs- und Schmerzgrenze hinausschieben und somit extrem harte Trainingsprogramme ermöglichen. Trotzdem – oder vielleicht auch deshalb – reichte es nicht für Olympia in Montreal.
"Bis 1976 ging meine leistungssportliche Karriere, aber sehr viel unterbrochen durch Krankheiten, weil immer auch wieder nach Krankheiten sehr früh angefangen wurde zu trainieren."

"Zentrale Vergabekonzeptionen" vom Sportmedizinischen Dienst

Auch später ist Silvia S. ungewöhnlich häufig krank, leidet unter kontinuierlichem Kraftverlust. 2012 wird sie vorzeitig berentet. Ob es am Doping liegt, weiß die heute 60-Jährige nicht. Was sie weiß: Sie war - wie insgesamt rund 15.000 Leistungskader in der DDR - Teil eines geheimen, 1974 aufgelegten "Staatsplanes 14.25".
Um internationale Medaillen zu sichern, entwickelte der Sportmedizinische Dienst bis zum DDR-Ende 1990 "Zentrale Vergabekonzeptionen" für sogenannte "unterstützende Mittel". Einige besonders skrupellose Trainer und Ärzte pumpten auf eigene Faust sogar ihnen anvertraute Minderjährige mit anabolen Steroiden und Hormonen voll.

Landesregierung stellt 150.000 Euro für Stipendien bereit

Juristisch betrachtet ist die tausendfache Körperverletzung seit dem 3. Oktober 2000 verjährt. Umso wichtiger die historische und pharmakologische Aufarbeitung, sagt man sich in Mecklenburg-Vorpommern. Denn auch dort leiden viele ehemals gedopte Leistungssportler unter teils schweren Gesundheitsschäden. Auf Initiative der Bündnisgrünen stellt die Landesregierung nun 150.000 Euro für drei entsprechende Promotionsstipendien bereit.
Parallel dazu läuft seit Juli 2016 in Greifswald und Schwerin die deutschlandweit größte Studie über körperliche wie seelische Langzeitfolgen des DDR-Dopings. Forschungsgegenstand hier: Die mittlerweile knapp über eintausend Betroffenen, die sich bislang beim Verein Dopingopferhilfe in Berlin gemeldet haben. Auch die Schwerinerin Silvia S. stellt ihre Erinnerungen und Aufzeichnungen zur Verfügung.
"Weil ich denke, man muss auch in der Forschung ein bisschen näher gucken: Was passiert mit den ehemaligen Leistungssportlern? Was haben sie für Erkrankungen? Und sicherlich bei den Erkrankungsformen auch mal genauer gucken: Was ist es denn eigentlich?"
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