Das zweite Leben von Second Life

Von Laf Überland · 24.06.2013
Der Hype ist vorbei, doch die virtuelle 3D-Welt Second Life ist auch zehn Jahre nach ihrer Erschaffung längst nicht tot. Ausstellungen, Lesungen und Konzerte locken viele Besucher an. Und die Macher glauben: Die große Zeit von Second Life steht noch bevor.
"Diese Schwelle, dass man versteht, dass es ein neutrales Werkzeug und kein Spiel ist, ist relativ hoch. Also man braucht ne gewisse Zeit."

Das war aber auch schwer zu begreifen – bei einer künstlich geschaffenen Welt, die nur im Computernetz existierte, in der aber manche Menschen ihre gesamte Freizeit verbringen konnten: Wo sie mit einer Zeichentrickfigur rumhampelten, der sie Klamotten kaufen und Häuser bauen mussten - eine Hütte oder ein Schloss - oder auch eine Filiale seines Sportgeschäftes oder Autosalons. Und wo Straßen entstanden, ganze Viertel (die hießen allerdings "Inseln").

"Auf den Straßen von Second Life lief damals das ganze Figuren-Arsenal von Trash-Videos herum: Aliens mit vielen Armen, Ballerinas, Vampire, Roboter, Science-Fiction-Katzen, Porno-Starlets, Action-Helden und Fashion-Kreaturen. Mit denen in Kontakt zu treten ist nicht schwer."

Was Skeptiker bald ziemlich überraschte, war, dass so tatsächlich Austausch stattfand: Unterhaltungen, Stammtische, Diskussionsforen über die Demokratie in der virtuellen Welt.

Universitäten hielten Vorlesungen in virtuellen Second-Life-Hörsälen ab, weltweite Konzerne veranstalteten in mit speziellen Firewalls geschützten virtuellen Firmenhäusern Konferenzen, Verleger organisierten Buchlesungen, und die BBC hatte eine Insel gemietet, auf der sie Konzerte und Partys veranstaltet. Toyota brachte sein neues US-Modell zuerst in Second Life auf die Straße.

"Aber diese real existierende Scheinrealität war für jeden da: Und die Karnickelzüchter-Unterabteilung mit Spezialinteresse für Deutsche Riesen mit linken abgeknickten Ohren konnten sich nun jede Woche zum Stammtisch treffen und nicht nur einmal im Jahr - zur Grünen Woche in Berlin, wo zudem auch die Hotelpreis extrem hoch sind."

Die großen Erwartungen an kommerziellen Umsatz durch die Industrie der realen Welt, die in Second Life einziehen würde, waren natürlich eine Blase: Der adidas-Shop war meistens leer. Verdienen konnten dagegen die fleißigen Bastler und Do-It-Yourself-Programmierer, die aus Gittern aus Polygonen schmucke Kleidung, Schuhe, Schmuck – oder Fahrzeuge, Flugzeuge, Paläste oder sogar Tiere herstellen konnten. Virtuell zwar, aber Geld wert. Man las gierige Schlagzeilen über angebliche Second-Life-Millionäre, und ein britischer Parlamentarier wollte die Gewinne in Lindendollars (so heißt die Währung in Second Life) besteuern.

Aber der Hype ist vorbei, und das eventhungrige und dem jeweils letzten Schrei hinterherhechelnde Volk ist längst ganz woanders. In Second Life ist normaler Alltag eingekehrt, und der sieht so aus, dass sich Leute wie Jan Northoff zu Konferenzen dort treffen – zum Beispiel nach wie vor in der virtuellen Niederlassung von IBM – um Programmierideen durchzusprechen.

"Eigentlich logge ich mich nur für Konferenzen ein. Also ich habe drei, vier Konferenzen in der Woche, und es macht nach wie vor sehr viel Spaß, weil man sehr schnell, sehr effektiv zusammen arbeiten kann."

Jan Northoffs Firma YOUin3D lebt davon, dass sie für Zahnärzte oder Kaufhäuser normale Webseiten programmieren – und gelegentlich können sie einen Kunden überreden, ein bisschen 3D auf seine neue Seite zu stellen. In ihrer Freizeit aber basteln die Mitarbeiter an dreidimensionalen Darstellungen fürs Internet – seit 2006 war das auch das gewaltige 3DBerlin in Second Life: um die acht Mitarbeiter und rund hundert Helfer in der ganzen Bundesrepublik.

Zurzeit programmieren sie gerade ein neues Berlin-in-3D, und zwar bei Cloud Party – einer virtuellen Welt, die von vielen als Nachfolger von Second Life gesehen wird: unter anderem, weil man in Cloud Party direkt vom Internetbrowser aus einsteigen kann und nicht erst ein Programm runterladen und installieren muss: Alles geht einfacher und schneller in der Cloud Party, nur - als soziales Netzwerk ist Cloud Party nicht ausgelegt - wohl aber Second Life. Und das scheint sogar die Grundlage gewesen zu sein, die unbeirrbar funktioniert. Nicht nur mit Freundesseiten bei Facebook, sondern eben auch mit einem Avatar in Second Life.

"Social Network wird in Second Life nicht nur groß, sondern extrem groß geschrieben. Es ist der Grund, warum man sich einloggt."

Verlassen und tot

Aber wo sind die Leute alle? Man sieht kaum noch wen auf den Straßen – im Gegensatz zu früher. Der "Spiegel" fand sogar, Berlin in Second Life sehe aus wie Pjöng Jang: verlassen und tot.

"Also was die meisten Leute nicht verstehen, ist, dass die Avatare ja nicht dableiben, wenn sie ausgeloggt werden, sondern sie sind dann weg!"

Und wenn sie sich nicht ausloggen, gehen die Besucher inzwischen gezielt an ihre Orte.

"Wenn man sich mal so auf die Second Life Webseite und da Events klickt, dann kam jede drei Minuten auf den nächste Event. Ist natürlich weltweit – und dann auch super: Dann sagt man so: Ich muss noch ins virtuelle Tokio, ah, haben die Spanier noch was? Und ins virtuellen Berlin natürlich!"
"Ja, in dem Club Elektrosmog zum Beispiel: mit ausgeklügelter, subtiler Lightshow und namhaften DJs, die dort auflegen – echt, aber virtuell natürlich."

Ein wesentlicher Bestandteil von Second Life ist nach wie vor die Freizeitgestaltung: Künstler toben sich gern in der virtuellen Welt aus, Ausstellungen und Lesungen, aber vor allem Konzerte: Die werden real irgendwo auf der Welt gegeben und können virtuell überall auf der Welt besucht werden.

"Zum Beispiel von Musikern, die irgendwo am Ende der Welt leben und nicht so viel reisen können: Videos auf YouTube einzustellen, ist eine Einbahnstraße. Aber dort live zu spielen, wo jeder mit zwei Mausklicks hinkommt, eine Offenbarung! Erst recht, wenn er dann noch in Echtzeit mit seinem Publikum kommunizieren kann – nur, dass statt richtiger Gesichter kleine bunte Männchen zu sehen sind."

Natürlich machen immer wieder neue Clubs auf oder eigene Chat-Kneipen – als Singletreffs zum Beispiel. Interessenten können romantische Gärten bepflanzen, oder astronomische Planetenpfade anlegen. Es gibt Bastelkreise und die Volkshochschule bietet hier 20 bis 30 Kurse an: Sprachen, Mathe, Kochen und Malen zum Beispiel.

"Noch jede Menge Leben"

"Das Goethe-Institut hält Deutschunterricht ab, und dienstags von 11 bis 12 kann man sich in einem virtuellen Klassenraum treffen. Und in der virtuellen Schweiz kann man sogar Skiunterricht für den Avatar nehmen – oder Adlerflug ... Oder man geht Segeln!"

In Second Life ist wirklich noch jede Menge Leben!

"Sie sind ja eines der wenigen Unternehmen, die tatsächlich schwarze Zahlen schreiben und auch immer noch über 100 Mitarbeiter haben. Und das funktioniert langfristig auch, weil die Leute in dem Fall zwar sehr geschlossen, aber halt sehr aktiv sind."

Und deshalb ist Second Life nicht am Ende: etwas altmodisch zwar, eine Nische – aber was anderes soll Second Life ja auch gar nicht sein.

"Die Leute wollen sich da einfach treffen, und die haben den 3D-Raum für sich entdeckt. Und für die ist das eine Art Nische, die das Produkt eingenommen hat – aber es ist eine starke und ich finde sogar: eine extrem romantisch, und die wird auch auf keinen Fall ersetzt werden."

Für das einst groß versprochene Web 3D statt Web 2.0 sei es eh noch zu früh, sagt Jan Northoff.

"Wir haben uns noch nicht dran gewöhnt, dass wird noch ne Weile dauern. Jetzt ist erstmal die Generation Facebook und dann kommt das aber auch in 3D. Ja."