"Das Ziel ist eigentlich Dienstleistung, selbst in der emotionalen Versorgung"

Klaus Mainzer im Gespräch mit Ulrike Timm · 09.07.2009
Der Wissenschaftsphilosoph Klaus Mainzer hält es für realistisch, dass Roboter auch Gefühle zeigen können. Emotionen seien wichtig, um Situationen schnell einschätzen zu können, sagte Mainzer.
Ulrike Timm: Emotionen sind noch nicht drin, könnte aber werden, denn heute schon kann ein Roboter einem Menschen einen Stift reichen, bestimmte Gesichtsausdrücke richtig deuten oder selbstständig einen Weg finden, indem der Roboter den Menschen danach fragt. Dauert Stunden, aber es geht. Die Maschine trifft komplexe, richtige Entscheidungen. Aber können Roboter vielleicht irgendwann auch mal nicht nur denken, sondern fühlen, und ist das eine verrückte Utopie oder eine sinnvolle Perspektive? Japanische Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass Menschen in 10, 20 Jahren mit Robotern zusammenleben werden. Darüber spreche ich mit dem Wissenschaftsphilosophen Professor Klaus Mainzer. Schönen guten Tag!

Klaus Mainzer: Guten Tag hier aus München!

Timm: Herr Mainzer, es berührt einen zunächst ja erst einmal etwas merkwürdig, aber wie realistisch ist denn die Vorstellung, dass der Roboter künftig nicht nur denkt, sondern auch fühlt oder doch Gefühle ausdrücken kann?

Mainzer: Das ist eine sehr realistische Perspektive, weil sie eben nicht nur Science-Fiction ist, sondern auch mit ganz konkreten Bedürfnissen im Umgang mit diesen Systemen zusammenhängt. Wir könnten uns ja fragen zunächst einmal, was sind überhaupt Gefühle, und was sind Emotionen? Die sind ja irgendwo, diese Zustände von lebenden Organismen, in der Evolution entstanden. Und welche Funktion haben sie eigentlich, außer, dass wir sie spüren? Ich denke, sie sind vor allen Dingen – und das zeigt die moderne Biologie, die Evolutionsbiologie, auch die moderne Psychologie, die Neuropsychologie –, es sind vor allen Dingen augenblickliche Bewertungen von Situationen.

Timm: Und solche Emotionen wird man nachbauen können?

Mainzer: Und in diesem Sinne sind die Emotionen wichtig, um Situationen richtig einschätzen, schnell einschätzen zu können.

Timm: Diese menschlichen Emotionen, wird man die in dem Roboter nachbauen können, sodass er sie dann selber ausdrückt oder vielleicht sogar fühlt?

Mainzer: Diese Schritte, die die Evolution uns vorgemacht hat, die sollen schrittweise nachgebaut werden. Der erste Schritt dazu besteht in der Simulation von Gesichtsausdrücken beispielsweise. Wir können im Gegenüber erkennen, dass jemand Angst hat, dass jemand sich freut, Ekelreaktionen, wie auch immer, jeder Organismus ist mit prototypischen Gesichtsausdrücken beispielsweise ausgestattet. Und die können über neuronale Netze erkannt werden.

Neuronale Netze sind dem Gehirn nachempfunden, technische Systeme sind das, die aus einzelnen Neuronen bestehen, ähnlich den lebenden Neuronen. Sie können feuern und nicht feuern, das heißt, sie können unterschiedlich gewichtet sich verschalten und auf die Art und Weise gewissermaßen die unterschiedlichen Konturen und Schattierungen auch eines Gesichtsausdrucks wiedergeben?

Timm: Herr Mainzer, wie könnte denn das Zusammenleben von Mensch und Maschine dann aussehen ganz konkret?

Mainzer: Diese Funktionen hätten den Vorteil, dass das Mensch-Maschine-Interface, das heißt also die Benutzerfreundlichkeit, erheblich gesteigert wird, weil heute müssen wir noch über Keyboards in der Regel unsere Kommunikation mit diesen Rechnern und Robotern eingeben, in diesem Fall könnte ein bloßer Gesichtsausdruck, eine Geste, was auch immer, also die typische Interaktion, die wir auch unter Menschen pflegen, mit technischen Systemen ausreichen. Und das würde die Benutzerfreundlichkeit natürlich erheblich steigern und erleichtern.

Timm: Man sagt ja, solche Menschen ähnlicher werdenden Roboter könne man zum Beispiel in Alters- oder in Pflegeheimen einsetzen. Muss ich mir das so vorstellen, dann bringt er nicht nur das Essen und wacht über die Tabletten, sondern hört irgendwann auch zu?

Mainzer: Das wäre der nächste Schritt. Aber zunächst sollten wir realistisch davon ausgehen, diese "Elder Care Roboters", wie sie genannt werden, also die in der Altenpflege eingesetzt wären, wären ja zunächst einmal Systeme, die die anstrengenden Dienstleistungen, die heute Probleme für das menschliche Personal darstellen, abbauen.

Und in dem Zusammenhang wäre dann der nächste Schritt, auch emotionale Zustände – zunächst einmal wenigstens – zu simulieren. Das ist deshalb notwendig, da die Interaktion vor allen Dingen bei älteren Patienten, Patienten, die auch nicht mehr auf alles richtig reagieren können, dann doch sich einstellen könnten auf ein technisches System, ohne jetzt einzelne Befehle eingeben zu müssen, wie eben beschrieben, wie wir das meistens eben heute noch in der Aktion mit technischen Geräten machen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". "Mein Roboter liebt mich nicht mehr", vielleicht ist das schon ein Satz in gar nicht so ferner Zukunft. Wir sprechen über Roboter, die immer menschenähnlicher werden, mit Klaus Mainzer, Professor für Wissenschaftsphilosophie.

Herr Mainzer, wenn wir morgen womöglich mit einem Gefühle entwickelnden oder ausdrückenden Roboter zusammenleben könnten, dann müssen wir uns ja heute schon fragen, wollen wir das. Wie sehen Sie denn die ethische Frage nach dem Sinn so eines Roboters, der nach und nach eine Art Menschenersatz werden könnte?

Mainzer: Also das mit dem Menschenersatz würde ich mit vielen Fragezeichen versehen. Das ist überhaupt nicht das Ziel, sondern das Ziel ist eigentlich Dienstleistung, selbst in der emotionalen Versorgung.

Die emotionalen Funktionen, die solche Geräte haben, müssen bestimmte Zwecke erfüllen, nämlich die Interkommunikation von Mensch und technischem Gerät erleichtern, nicht mehr und nicht weniger. Es geht nicht darum, Menschenersatz zu schaffen, wäre auch völlig idiotisch, einfach deshalb, weil wir viel einfacher Menschen produzieren können, sag ich jetzt mal etwas provozierend, indem wir nämlich uns gut um unsere Kinder und die Ausbildung der jungen Erwachsenen sorgen und die dann für die entsprechenden Funktionen vorbereiten.

Timm: Das heißt also, ein Computer, der fühlen und sich sorgen kann, den man vielleicht sogar kränken kann, ist doch noch eine beruhigend weit entfernte Utopie?

Mainzer: Wir müssen zwei Aspekte unterscheiden: Für den technischen Umgang und für den Alltag in den nächsten zehn Jahren ja, aber es gibt noch eine andere Perspektive, die wir bisher nicht berührt haben. Ich habe bisher immer nur über das technische Gerät als Dienstleister für den Alltag gesprochen.

Es gibt natürlich noch die Perspektive der Wissenschaft. Computer, Roboter werden mittlerweile auch eingesetzt, damit wir in der Forschung besser verstehen, wie die komplexen biologischen Systeme und damit auch bewusste Organismen funktionieren. Das heißt, wir bauen uns Modelle in der Biologie, um die Funktionen besser zu verstehen. Insbesondere geht’s jetzt auch darum, zelluläre Organismen zu bauen, bis hin zu Systemen, die eventuell auch Bewusstsein haben.

Das ist aber sozusagen ein Einsatz dieser Geräte in der Forschung und dient dazu, unsere wissenschaftlichen Hypothesen, das heißt unsere wissenschaftlichen Annahmen und Theorien, die wir haben, wie entsteht denn überhaupt Bewusstsein in einem lebenden Organismus, dass wir diese Theorien dadurch überprüfen, dass wir uns Systeme bauen, die nach diesen Theorien funktionieren, um dann zu sehen, wie verhalten sie sich und welche Voraussagen können wir damit machen und wie weit stimmen sie mit den lebenden Organismen überein.

Timm: Der Wissenschaftsphilosoph Professor Klaus Mainzer im Gespräch mit dem "Radiofeuilleton". Herzlichen Dank!