"Das Zeichen ist gesetzt"

Moderation: Ulrike Timm · 04.03.2013
Nach dem deutlichen Votum gegen überzogene Managergehälter in seinem Heimatland hat der Schweizer Schriftsteller Peter von Matt anderen Ländern ähnliche Elemente zur politischen Willensbildung empfohlen. Die direkte Demokratie sei ein sehr kluges und umsichtiges Instrument.
Ulrike Timm: Das haben wir nicht verdient, sagten sich die Schweizer und stutzen jetzt exorbitant hohe Managementgehälter. 68 Prozent, also mehr als zwei Drittel der Schweizer, unterstützten die Initiative gegen Abzocke und fordern per Volksbegehren, dass Zahlungen in Millionenhöhe wie Willkommensgeld oder Abgangssalär künftig verboten sind und dass die Kontrolle von Managergehältern die Aktionäre übernehmen sollen. Das wirtschaftsfreundliche Land bekommt also in Zukunft das schärfste Aktiengesetz und klare Regeln, wenn es um Managergehälter geht.

Was sagt uns das über die Schweizer und ihre direkte Demokratie? Darüber sprechen wir mit dem Schweizer Schriftsteller Peter von Matt, der als Uniprofessor für Literatur auch die Kunst der Interpretation lehrt. Schönen guten Tag, Herr von Matt!

Peter von Matt: Guten Tag!

Timm: In deutschen Kommentaren ist immer vom überraschend hohen Ergebnis die Rede. Waren Sie auch überrascht?

von Matt: Es war zu erwarten, aber in dieser Höhe eigentlich nicht. Wobei man sagen muss, dass es unmittelbar vor der Abstimmung noch mal einen solchen Skandal gegeben hat, der die Wut und die Erbitterung in der Bevölkerung angeheizt hat.

Timm: Sie meinen vor 14 Tagen den Abgang vom Novartis-Chef, dem das mit, glaube ich, 72 Millionen versüßt wurde, dass er geht?

von Matt: Ja.

Timm: Nun ist die Schweiz eine Gesellschaft, in der ordentlich Geld ja erst mal was Gutes ist, aber offensichtlich war das einfach das Ausmaß der Zahlungen, die eine übergroße Mehrheit nicht mehr mittragen will. Inwieweit ist dieses Ergebnis auch ein gesellschaftlicher Weckruf?

von Matt: Ja, ich vermute, dahinter steht die Sorge über das Auseinanderdriften der internationalen, der globalisierten Industrie und vor allem Finanzindustrie von der nationalen und auch national kontrollierbaren. Diese Prozesse, die wir ja auch im internationalen Bereich sehen, das sind Konzerne, die sich überhaupt nicht kümmern um die Politik des Landes, wo sie domiziliert sind, das ist … Diese Saläre wirken wie ein Hohn auf das Land selbst. Und das hat diese Erbitterung sicher provoziert und auch diese Initiative möglich gemacht und diese Abstimmung.

Timm: Das heißt, die Schweiz hätte für die ganze Welt gleich mitgedacht, wenn Sie sagen, das sei eine Entscheidung gegen die globalisierten Entwicklungen?

von Matt: Ich glaube, schon. Auch die Tatsache, dass wir dieses Gespräch führen, zeigt ja, dass das Interesse nicht einfach nur ein schweizerisches ist, an dieser Sachlage.

Timm: Parlament und Regierung in Bern hatten sich vorab dagegen ausgesprochen wegen – ich zitiere – unverhältnismäßiger Kriminalisierung des Aktienrechts. Das heißt, das Volk läuft jetzt Sturm gegen die eigene Regierung. Wie groß ist denn da der Riss, der jetzt erst mal durch die Schweizer Gesellschaft geht?

von Matt: Ja, da geht kein Riss durch die Schweizer Gesellschaft. Die Parteien und die Regierung haben jetzt vier Jahre lang die Sache hinausgezögert, die Abstimmung, und das hat natürlich auch zu der Gereiztheit beigetragen. Es gab dann einen Gegenvorschlag, der die Sache sehr verwässert hat, und jetzt wurde mal ein Zeichen gesetzt. Aber dass ein Riss durch das Land geht, das ist eigentlich nicht der Fall. Denn dass die direkte Demokratie, also eine Initiative, die verlangt, dass eine Sache vor das Volk gebracht wird, das passiert ja immer wieder. Und da ist es immer wieder so, dass der Wille der Regierung und der Wille des Volkes auseinandertreten.

Timm: Ich gehe noch mal zurück auf diese benannte unverhältnismäßige Kriminalisierung des Aktienrechts, die befürchtet wurde: Hat da wirklich jemand im Ernst geglaubt, die tüchtigen Manager von Nestlé, von Novartis, von Roche, die laufen jetzt alle weg, weil die Boni nicht mehr ganz so hoch werden?

von Matt: Ja, man hat da wirklich den Teufel an die Wand gemalt und gesagt, das schade dann dem Arbeitsplatz und Finanzplatz Schweiz. Aber das stimmt natürlich alles nicht, das ist nicht die Tatsache, dass hier so hohe Boni möglich sind, dass diese Institutionen sich in der Schweiz ansiedeln, sondern dass die Grundbedingungen in der Schweiz eben sicher sind, klar geordnet, die Gesellschaft funktioniert, die Verwaltung funktioniert, problemlos und unkompliziert. Und das ist der Hintergrund, der die Betriebe und die Konzerne in die Schweiz zieht.

Timm: Der Wille der Bürger, der muss jetzt in Gesetzesform gegossen werden. Das dauert erfahrungsgemäß so ein bis eineinhalb Jahre bei Ihnen. Wird da unterwegs noch viel von Lobbyisten verwässert?

von Matt: Natürlich! Die machen sich jetzt alle auf die Socken! Die werden nun alle versuchen, da nach Möglichkeit noch etwas in den Wein zu gehen, und das eine oder andere wird ihnen auch glücken. Aber das Zeichen ist gesetzt und die Wachsamkeit ist natürlich auch entsprechend groß, weil man natürlich weiß, die Leute haben jetzt vier Jahre versucht, die Sache unter dem Deckel zu halten. Und jetzt muss man ihnen erst recht auf die Finger schauen.

Timm: Ist dieses plebiszitäre Element bei Ihnen so stark, dass, wenn jetzt ein Gesetz dabei herauskäme, was die Abstimmung zu sehr verwässert, dass es dann gleich eine neue Abstimmung gibt?

von Matt: Ja, das wäre natürlich möglich, dass dann wiederum ein Vorstoß gemacht würde. Aber es kommt ja, es ist ja ganz klar … Es kommt dieser Text, der vom Volk gutgeheißen worden ist, kommt jetzt in die Verfassung. Es gibt ja solche Initiativen nur für Texte, die in die Verfassung kommen. Und die Frage im Nachhinein ist jetzt einfach: Wie wird dieser neue Verfassungstext ausgelegt? Und das muss dann eben jetzt durchdiskutiert werden. Aber es wird daraus nicht eine neue Initiative geben, das ist zu kompliziert.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Schweizer Schriftsteller Peter von Matt. Herr von Matt, in der Schweiz, da sind ja Volksabstimmungen die Regel. Woher rührt eigentlich das Vertrauen, im Zweifelsfall würde das Volk die Lösung schon wissen?

von Matt: Ja, das ist nun halt die demokratische Tradition, die begonnen hat mit der neuen Verfassung von 1848 und sich so entwickelt hat. Die Volksabstimmung oder die Möglichkeit, eine Volksabstimmung zu erzwingen – es geht ja darum und man kann das nicht in allen Dingen, man kann das nur in Verfassungstexten, neuen Verfassungstexten –, diese Abstimmungen haben den größten Vorteil darin, dass dadurch auch die Position der Regierung gestärkt wird. Es ist also nicht so, dass dadurch ständig die Regierung gehemmt und unterhöhlt wird, sondern in sehr vielen Fällen, der Mehrzahl der Fälle siegt ja der Wille der Regierung. Und dann wird dadurch ihre Position gewaltig gestärkt. Sie haben in Deutschland das Beispiel, wo Sie es endlich einmal gewagt haben, in Stuttgart, mit diesem Bahnhof: Da war die Sache so verzweifelt, dass man nur noch durch eine Volksabstimmung die Angelegenheit retten konnte, und dann ist es auch so herausgekommen, dass …

Timm: Na, man hatte eher einen runden Tisch, der hat, wie man heute weiß, nicht sehr viel gerettet. Aber in Deutschland – darauf wollte ich hinaus – sind solche plebiszitären Elemente immer sehr umstritten. Da ist immer die Angst im Raume, ja, mache nach einem Kinderschändermord eine Abstimmung über die Todesstrafe und du kennst das Ergebnis! Das ist die Angst, die dahinter steht, und die ist ja auch berechtigt. Wie schützen sich denn die Schweizer vor extremen Entscheidungen?

von Matt: Es gibt gelegentlich – ziemlich selten –, gibt es Initiativen, die dann auch angenommen werden, die eigentlich weitgehend emotional gesteuert sind. Eines der wenigen Beispiele aus jüngster Zeit ist das Verbot der Minarette, das eigentlich ein schlechter Entscheid war meines Erachtens, aber auch kein so besonders wichtiger, aufs Ganze gesehen. Aber es ist ja nicht so, dass einfach einer aufsteht und sagt, jetzt machen wir einen Volksentscheid, und dann, 14 Tage später ist das in der Mitte einer großen öffentlichen Empörung. Sondern das ist ja ein langsamer Prozess, da müssen zuerst Unterschriften gesammelt werden im Rahmen einer vorgegebenen Zeit und dann muss das vor das Parlament und das muss darüber debattieren, und meistens formuliert das Parlament und die Regierung, formulieren einen Gegenvorschlag, der eine Art Kompromiss offeriert. Und in der Mehrzahl dieser Fälle wird ja dann auch dieser Gegenvorschlag angenommen vom Volk. Also, es ist ein langsamer Prozess, und die Angst, die in Deutschland immer herrscht – da kommen dann diese dumpfen Elemente aus der Tiefe der Gesellschaft und wollen alles über den Haufen werfen! –, die sind nicht wirklich begründet. Die direkte Demokratie ist ein sehr kluges, umsichtiges Instrument, das das Verantwortungsbewusstsein der Bürger für die eigene Politik eben stärkt und das auch die Politiker selber, die Verantwortungsträger eben auch stärkt, wenn sie dann vom Volk von Fall zu Fall bestätigt werden.

Timm: Aber wenn so eine Initiative den bedächtigen Schweizer Gang geht, dann lässt natürlich das Signal, was am Wochenende aus der Schweiz schallte, noch mehr aufhorchen!

von Matt: Ja, das stimmt. Und das ist ja auch ein Zeichen, dass die direkte Demokratie in ganz Europa verstärkt werden müsste. Die Diskussion ist ja angelaufen, ist in Deutschland angelaufen, sie ist in Österreich angelaufen. Man kann das Schweizer System sicher nicht eins zu eins übernehmen, das ist … Das hängt mit der Größe des Landes zusammen und mit der Binnenstruktur, aber dass verstärkt die Regierung und die Verantwortlichen sich abstützen müssen und abstützen können müssen auf den unmittelbaren Volkswillen und auf unmittelbare Volksentscheide, das ist meines Erachtens nicht zu umgehen. Und man darf hier nicht nur die Risiken sehen, sondern man muss die Chancen sehen, die ein solches System hat.

Timm: Der Schweizer Schriftsteller Peter von Matt, herzlichen Dank für das Gespräch!

von Matt: Ich danke Ihnen!

Timm: Und wir wollen das weiter diskutieren, und zwar mit Ihnen, und Sie fragen, ob Sie sich eine solche Abstimmung wider die Abzocke für Deutschland wünschen würden, in der "Debatte" um zehn vor vier!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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