"Das Theater heute ist in einem miserablen Zustand"

Moderation: Gabi Wuttke · 18.07.2007
Der Kabarettist Georg Kreisler lässt kein gutes Haar an der deutschsprachigen Theater- und Kulturszene. Das Theater sei ein Geschäft geworden, in dem der Mut zum Risiko fehle. Deshalb traue sich auch niemand, seine Oper zu inszenieren, weil man ihn in die Schublade Kabarettist gesteckt habe. Zugleich finde zuviel Dilettantismus statt. Kreisler wird heute 85.
Wuttke: Georg Kreisler. Geboren am 18. Juli 1922 in Wien. Inzwischen wieder wohnhaft in Österreich wohnhaft., allerdings in Salzburg. Der Mann, der mit seinen Liedern immer so charmant anstachelt, nicht nur, um - wie gehört - kalt lächelnd im Park die Tauben zu vergiften. Heute feiert er also seinen 85. Geburtstag. Wir gratulieren dem Wiener, dem Wien ohne die Wiener sehr gut gefallen würde, ganz herzlich und haben jetzt viele Fragen an ihn, zum Beispiel die, Herr Kreisler, was sind Sie eigentlich: Kabarettist, Komponist, Dichter, oder Wortjongleur?

Georg Kreisler: Na ja, das ist schwer zu sagen. Ich werde in eine Schublade gelegt. Und die Schublade heißt Kabarettist, und aus der komme ich, was manche Leute betrifft, schwer heraus. Ich war in jungen Jahren sicherlich ein Kabarettist, aber das hat sich mit der Zeit sehr geändert. Ich bin ja nur Kabarettist geworden, weil ich Geld verdienen musste, und daher bin ich dann in ein Nachtlokal gegangen und ins Kabarett gegangen und so weiter, und so weiter.

Und danach hat man mir wenig Gelegenheit gegeben - obwohl ich mich bemüht habe -, an einem Theater irgendwie unterzukommen, als Dramaturg, als Regisseur, als was immer. Als ich einmal in der Schublade Kabarettist lag, hat man mir diese Gelegenheit nie gegeben. Ich bin ein Schriftsteller, der auch komponiert und der auch gelegentlich auf die Bühne geht und auch Regie führt, was immer sich ergibt. Bis auf Puppenspiele, Marionetten, habe ich eigentlich so ziemlich alles gemacht, was es in der Richtung gibt.

Wuttke: Klickt man Ihre Homepage an, dann stößt man auf den Satz "Jude sein leicht gemacht". Ist das Paradoxe ein Grundpfeiler Ihrer Arbeit oder sind Sie ganz einfach nur Anarchist?

Kreisler: Ich glaube, meine Arbeit hat wenig mit Judentum zu tun. Ich bin in einer sehr unfrommen Familie aufgewachsen und habe eigentlich mit Religion an und für sich nicht viel am Hut. Ich habe ein paar Lieder geschrieben in jüdischem Dialekt, aber das ist schon alles. Wenn ich von Judentum spreche, so ist es, weil es Antisemiten gibt. Man wird als Jude ja, wie man weiß, verfolgt, und das erzeugt einen gewissen Trotz, wenn Sie wollen, oder eine Gegenstimme. Und dadurch habe ich mich immer zum Judentum bekannt, aber mehr nicht.

Wuttke: Dass Juden verfolgt werden, haben Sie jetzt in den Präsens gesetzt. Fühlen Sie sich verfolgt?

Kreisler: Ja, natürlich! Antisemitismus gibt es doch nach wie vor und zwar überall, bis auf Israel natürlich, aber sonst überall.

Wuttke: Sie sagen über sich selbst, Sie seien nie zufrieden mit sich, Sie seien ein Perfektionist wie jeder wirkliche Künstler, wobei Sie zwischen Künstler und wirklichem Künstler zumindest in einem Interview unterschieden haben. Ist das nicht, wie "ein bisschen schwanger" zu sein, also, ist man nicht entweder Künstler oder man ist es nicht?

Kreisler: Na ja. Es findet viel Dilettantismus heute statt von Leuten, die sich für Künstler halten und sich als Künstler bezeichnen. Ich finde, das es ungeheuer wichtig ist und ein Zeichen eines wirklichen Künstlers, dass er mit sich unzufrieden ist, dass er also von seinen Werken mehr wegwirft, als er zur Veröffentlichung preisgibt. Wenn ich mir die heutige Literaturszene, die Theaterszene anschaue, so sind das Leute, die Karriere machen wollen, die sich in Szene setzen wollen, die Aufsehen erregen wollen, die Publicity wollen, die Geld verdienen wollen, aber nicht Leute, die sich wirklich für ihre Kunst verantwortlich fühlen. Es gibt Ausnahmen, selbstverständlich gibt es Ausnahmen. Aber das ist so der allgemeine Trend.

Wuttke: Sie sind mit Ihren Eltern 1938 aus Wien nach Amerika geflohen, die Gründe sind bekannt. Ich habe etwas gelesen, was ich sehr eindrücklich fand. Sie haben 1946 für Charlie Chaplin gearbeitet, für dessen Film "Monsieur Verdoux", und haben erzählt, dass es da einen Unfall gab, dass Chaplin über mehrere Wochen nicht drehen konnte und trotzdem an seine Mitarbeiter weiter den Lohn gezahlt hat.

Kreisler: Ja.

Wuttke: Was war es, was Sie an Chaplin so beeindruckt hat und Sie auch weitergeführt hat in Ihrer ganz persönlichen Karriere?

Kreisler: Ja, das besonders zum Beispiel, denn nach den damaligen Bestimmungen, es gab ja die Gewerkschaften nicht in dem Sinn damals, der hätte alle Leute kündigen können und warten, bis sein Arm oder die Schulter ausgeheilt war und dann wieder aufnehmen können. Das hat er nicht getan. Er hat alle weiterbezahlt. Das zeugt von einer Großzügigkeit, wie man sie also selten findet. Er war überhaupt ein großzügiger Mensch. Er hat auch mit mir, ich war ja ganz jung, sehr viel Geduld gehabt und war ungeheuer angenehm, mit ihm zu arbeiten. Aber er war auch ein Perfektionist. Er hat also eine Szene immer wieder, immer wieder gedreht und immer wieder versucht, noch etwas besser, noch etwas besser zu machen.

Wuttke: Und warum musste Chaplin Geduld mit Ihnen haben? Waren Sie so ein unwirscher, temperamentvoller junger Mann?

Kreisler: Nein, im Gegenteil, ich war sehr bemüht, es ihm recht zu machen. Er hat mir seine Melodien, die er als Untermalungsmusik für den Film wollte, vorgepfiffen. Und wenn man pfeift, dann ist man nicht immer ganz genau auf der Note. Und da habe ich also manchmal auch was Falsches verstanden und so weiter, nicht? Und da hat er den Takt falsch eingeschätzt. Pfeifen ist eine ungenaue, musikalische Darstellung. Wenn er hätte Klavier spielen können oder irgendein Instrument gespielt hätte, wäre es einfacher gewesen.

Wuttke: 85 Jahre und kein bisschen leise, Georg Kreisler im Gespräch bei Deutschlandradio Kultur. Ihr großer Traum, ein eigenes Theater, der hat sich ja nicht erfüllt, dabei waren Sie in den 80er Jahren in Berlin schon mal kurz davor, ein Theater ohne staatliche Subventionen. Sie hatten, was haben Sie gesagt, alles fix und fertig in der Tasche. Was läuft Ihrer Meinung nach falsch in der Theaterpolitik?

Kreisler: Die Politiker! Was haben die Politiker in den Theatern zu suchen? Sie ernennen natürlich auch Intendanten und so, die auch nichts im Theater zu suchen haben. Ich war in Hamburg kürzlich, und da hat mir der dortige Intendant gesagt, er soll also ... Arbeitslose oder Obdachlose sind auf die Bühne gegangen, und da habe ich ihn gefragt, was hat das mit Theater zu tun? Theater soll von Schauspielern gemacht werden. Und das Theater heute ist in einem miserablen Zustand. Jeder versucht Sensation, irgendwas Sensationelles zu machen, und keiner spielt Theater.

Wuttke: Was wäre denn für Sie richtiges Theater? Offensichtlich kein Regietheater.

Kreisler: Natürlich nicht. Ja, richtiges Theater muss von Profis gemacht werden, die begeistert sind. Ich kann das schwer so in ein paar Sätzen sagen. Wer ist befähigt, einen guten Roman zu schreiben? Einer, der es eben kann und der etwas erfindet. In der Literatur sehen wir ja das Gleiche. Es werden ja keine Romane mehr geschrieben oder sehr wenige, und die Romane, die geschrieben werden, sind alle selbsterlebte. Biographien, irgendwie überhöht, aus dem Bekanntenkreis etwas hergeholt, kein Mensch erfindet mehr etwas.

Wuttke: Sie haben gerade eine zweite Oper fertig gestellt, "Das Aquarium oder die Stimme der Vernunft". Wovon erzählt sie?

Kreisler: Das ist eine absurde Handlung, so in dem Stil von Ionesco, total absurd, aber aus dem Absurden ergibt sich, wie ich glaube, Wahrheit.

Wuttke: Das müssen Sie uns erläutern.

Kreisler: Ja, das ist schwer zu erläutern, denn wie erläutert man das Absurde? Also, es gibt keine richtigen Personen, die etwas tun oder eine richtige Handlung, sondern es sind Leute, die herauskommen und miteinander reden oder singen. Und dadurch entstehen verwickelte, gesellschaftliche Verhältnisse, aber es ist total absurd, aber man weiß, dass es wahr ist. Durch das Absurde kommt man zur Wahrheit.

Wuttke: Wird man es denn öffentlich hören können?

Kreisler: Ja, bisher hat sich niemand dafür interessiert, ich weiß es nicht. Bisher interessiert sich auch niemand für meine erste Oper.

Wuttke: Wie erklären Sie sich das?

Kreisler: Ja, das ist eine lange Geschichte, es ist sehr schwer ...

Wuttke: Erzählen Sie sie uns.

Kreisler: Die Zeit, in der wir leben, macht es schwierig für Intendanten, die Oper eines Kabarettisten zu spielen. Er ist seinen Politikern gegenüber verantwortlich, er hat ein bisschen Sorge, seine Dramaturgen sagen ihm, ach lass doch, spiel lieber was von Henze oder von weiß ich wem, der ist bekannt als Opernkomponist, und wenn es danebengeht, hast du keine Verantwortung oder so ähnlich. Also, das ist eine sehr ungenügende Beschreibung, aber das Theater ist ein Geschäft geworden und die Leute sind um ihre Posten besorgt und trauen sich wenig, haben wenig Mut, etwas zu probieren, was vielleicht danebengehen könnte. Sie hören sich das gar nicht erst an. Ich glaube nicht, dass irgendjemand sich die Mühe gemacht hat, meine Oper, die ja mitgeschnitten worden ist, diesen Mitschnitt anzuhören.

Wuttke: Herr Kreisler, sind Sie damit zufrieden, kann man damit zufrieden sein, dass Ihre Fans Ihrem schwarzen Humor zu Füßen liegen, aber damit einen Teil Ihrer Arbeit gar nicht wahrnehmen?

Kreisler: Na ja, ich kann meinen Fans nicht befehlen, was sie wahrnehmen sollen und was sie nicht wahrnehmen sollen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es eigentlich recht viele Leute gibt, die meine Lieder, auch wenn sie schon 50 Jahre alt sind, noch immer vortragen, und ich kann mich überhaupt nicht beschweren. Wenn ich mich jetzt beschwert habe, so ist es über den generellen Zustand, der in Deutschland und Österreich, und in der Schweiz natürlich auch, in den Theatern und auf den Konzertbühnen herrscht, aber keine persönliche Beschwerde. Es geht mir gut. Ich bin alt geworden und kann mich über meine Karriere nicht beschweren. Die Zeiten sind, wie sie sind und ich kann das nicht ändern, leider. Aber trotzdem, ich persönlich habe keine Beschwerde.

Wuttke: Zum Schluss noch eine ganz klitzekleine, aber immer noch äußerst wichtige Frage. Wie stehen Sie persönlich zu Tauben?

Kreisler: Schauen Sie, es war in den 50er Jahren die Zeitungen voll mit der Taubenplage, der sogenannten. Und das war damals aktuell, und so habe ich dieses Lied geschrieben. Es hat nicht lange gedauert, es zu schreiben. Und irgendwie hat man sich daran festgehalten, identifiziert mich damit. Es hat mit meiner Tierliebe nicht das Geringste zu tun.
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