"Das Netz ist grenzenlos"

John Hendrik Weitzmann im Gespräch mit Joachim Scholl · 08.12.2009
Einzelne Staaten könnten im Internet keine Datensicherheit oder die Einhaltung von Gesetzen gewährleisten, so der Jurist John Hendrik Weitzmann. Er wünscht sich eine Versachlichung der Debatte, was die Sicherheit persönlicher Daten im Internet betrifft.
Joachim Scholl: Angela Merkel, Rainer Brüderle, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sie alle halten sich zur Stunde in Stuttgart auf, wo vor einer Stunde der vierte nationale IT-Gipfel begonnen hat. Ich bin jetzt verbunden mit John Hendrik Weitzmann, Experte für Urheberrecht im Netz, der an dem Treffen teilnimmt. Guten Tag, Herr Weitzmann!

John Hendrik Weitzmann: Guten Tag!

Scholl: Die Kanzlerin, der Wirtschaftsminister, die Justizministerin, sie alle werden auf dem IT-Gipfel sprechen. Lässt sich angesichts solcher Politprominenz folgern, wie wichtig die Politik mittlerweile die Belange der Informationstechnologie einschätzt?

Weitzmann: Das kann man durchaus so sagen. Also der IT-Gipfel findet ja zum vierten Mal statt, und zuerst war es wirklich eine reine PR-Veranstaltung, kann man so sagen, aber inzwischen hat er durchaus auch eigene Impulse entwickelt, und da ist schon erkannt worden, wie wichtig das alles ist.

Scholl: Hat vielleicht der politische Erfolg der Piratenpartei auch dazu geführt, dass sich die Politik mehr für die Nutzer und Nutzerinnen interessiert oder sogar stark macht?

Weitzmann: Na ja, also die Themen wurden auf jeden Fall gepusht durch die Piratenpartei, das kann man wohl so sagen. Vor allen Dingen die FDP sieht, glaube ich, so ein bisschen ihre Felle davonschwimmen, was junge Leute angeht, die sich für Bürgerrechte interessieren, die wollen sie halt nicht verlieren an die Piratenpartei. Ansonsten sind die Sachen ja schon vorher auf der Agenda gewesen, aber wurden eben durch die Piratenpartei und durch den Erfolg, die zwei Prozent bei der Bundestagswahl, wurde das Ganze natürlich noch mal ein Stück höher gehängt, als es vorher war.

Scholl: Welche Aspekte dieses Gipfels interessieren Sie am meisten?

Weitzmann: Weswegen ich auch da bin und was auch ein großes Thema ist dieses Jahr, ist die Persönlichkeit im Netz, die digitale Persönlichkeit, und was die Politik in der Richtung tun soll oder auch nicht tun soll, da gibt es eben verschiedene Möglichkeiten des Einflusses durch die Politik. Und da wird eben diskutiert, an welcher Stelle ist es wichtig, dass die Politik eingreift, und an welcher Stelle ist es mehr entscheidend, dass die Leute Verantwortung haben. Also wir haben da ein entsprechendes Forum, was sich eben auch nennt "Eigenverantwortung oder Staatskontrolle im Netz", und das wird sich eben mit diesen Fragen beschäftigen. Und das ist für mich auch der Hauptgrund, jetzt teilzunehmen, und das Interessanteste diesmal.

Scholl: "Eigenverantwortung oder Staatskontrolle" lautet die Überschrift so eines entsprechenden Diskussionsforums. Wenn man so will, könnte man sagen, das sind genau die Positionen eigentlich von FDP versus CDU. Also FDP war immer mehr für die Eigenverantwortung und sozusagen für die, ja die Stärkung auch des Bürgerrechts, und die CDU sagte dann, gerade wenn es um die Rechtssicherheit auch im Netz geht oder um den Eingriff im Internet, ja, die Kontrolle muss eher sein. Was glauben Sie, in welche Richtung geht die Reise?

Weitzmann: Also ich glaube, im Moment geht sie eher in die Richtung der FDP, auch weil Frau Leutheusser-Schnarrenberger als Justizministerin natürlich einen starken Einfluss hat. Da ist vor allen Dingen auch das Thema elektronischer Personalausweis und solche Dinge, die ja dann im Internet auch Relevanz kriegen, weil man sich authentifizieren muss damit, da ist also das Justizministerium, das ist jetzt relativ skeptisch, ob man den elektronischen Personalausweis in der Form, wie es jetzt diskutiert wurde, so haben will oder nicht. Das heißt, da ist im Moment, glaube ich, der Zug oder die Richtung eher die der FDP. Aber auch in der Union ist es, glaube ich, nicht so, dass da alle auf die Kontrolle nur setzen, da gibt es auch verschiedene Strömungen. Insofern denke ich eher, dass es im Moment in die Richtung von Frau Leutheusser-Schnarrenberger gehen wird.

Scholl: Ich meine, der staatliche Zugriff auf Webseiten wurde damals scharf kritisiert von der FDP als Oppositionspartei. Ich meine, jetzt gehört sie zur Koalition und hat eben mit der Justizministerin eine energische Verfechterin von Bürgerrechten.

Weitzmann: Ja, genau. Sie haben ja auch im Koalitionsvertrag, der natürlich jetzt nicht irgendwie wirklich bindend ist, aber auch da haben sie ja einiges untergebracht, was zumindest erst mal die Sache gebremst hat auch. Aber ich glaube, auch Frau von der Leyen zum Beispiel hat eingesehen, dass es nicht alles so einfach ist, wie sie sich das am Anfang gedacht hat mit den Netzsperren. Und im Moment sieht es ja so aus, dass man erst mal abwartet, wie sich das weiterentwickelt, dass jetzt im Moment getestet wird ein Jahr lang, wie es mit Löschungen funktioniert, also dass man mit einer Vereinbarung mit den Internet-Access-Providern entsprechend versucht, die Inhalte wirklich zu löschen, was ja auch eine Forderung der Piratenpartei war, wo man sagte, die Sperrung ist eben Zensur, aber eine Löschung am Ort, also da, wo die Kinderpornografie oder worum auch immer es geht, liegt, das ist besser. Und das wird jetzt eben auch versucht ein Jahr erst mal. Und dann wird geguckt nach zwölf Monaten, ob das jetzt was gebracht hat, ob das besser ist. Und dann kann natürlich sein, dass das alles noch mal hochkommt. Mit den Netzsperren wird man dann nächstes Jahr sehen.

Scholl: Der vierte nationale IT-Gipfel in Stuttgart. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Juristen John Hendrik Weitzmann, der als Experte an dem Treffen teilnimmt. Sicherheit, Vertrauen und Verantwortung im Netz ist ein weiteres Panel überschrieben. Wie steht es eigentlich allgemein so um die staatlichen Kontrollmechanismen, die also Sicherheit und Vertrauen ja gewährleisten können oder sollten?

Weitzmann: Ja, nicht allzu gut, zumindest nicht so, wie das der Staat früher gewohnt war. Also der Staat hat ja früher einfach auch das Monopol auf das Thema Sicherheit gehabt, also alles, was mit Vertrauen und so weiter zu tun hatte, das hatte irgendeinen staatlichen Ursprung oder irgendein staatliches System oder irgendeine Infrastruktur, die man zur Verfügung stellte, und dann konnte der Bürger irgendwie sich drauf verlassen, das ist hier staatlich und dann ist das auch sicher. Im Netz funktioniert das halt nicht mehr so wirklich, weil das Netz grenzenlos ist und insofern der Einzelne, die einzelne Regierung oder der einzelne Staat auch nicht mehr den Zugriff hat auf das Ganze wie früher. Und dafür müssen natürlich irgendwelche Antworten gefunden werden auf diese neue Sachlage. Und alle Projekte, die bis jetzt immer mal in der Richtung liefen, waren eigentlich nicht so erfolgreich. also auch jetzt gerade in Deutschland die Geschichte vom letzten IT-Gipfel, da wurde ja dieses De-Mail groß propagiert als das neue Projekt, also als die sichere E-Mail-Plattform, um mit Behörden zu kommunizieren. Und auch das läuft ja sehr schleppend an. Es ist vor allen Dingen immer das Problem, dass die Leute im Netz oder dass die Menschen, die sich im Netz bewegen, es auch annehmen müssen. Und nur, weil es jetzt irgendetwas Staatliches gibt, was irgendwie ganz sicher ist, bedeutet das noch lange nicht, dass das eben auch genutzt wird. Und das Gleiche ist auch passiert mit den elektronischen Signaturen. Da hat man sich also in sehr deutscher Manier also super gründlich überlegt, was für Sicherheitsstufen man braucht, qualifizierte und die einfache elektronische Signatur und diese ganzen Abstufungen, und es hat sich aber in der Realität gezeigt, dass es ganz schwer war, dass das auch akzeptiert wird von den Nutzern, die das hinterher benutzen sollen und sich damit authentifizieren sollen. Und das ist so ein bisschen immer die Krux, das, was man so staatlich anschiebt, ist nicht garantiert auch, dass es bei den Leuten ankommt. Und an dem Punkt sind sie immer noch am Überlegen. Das heißt, jetzt wird mehr darauf geachtet, dass man auch Technologien staatlicherseits fördert, die sich sowieso im Netz entwickelt haben, die auch der Authentifizierung dienen, also der Sicherheit, und dass man die eher unterstützt, anstatt dass man das Rad neu erfindet als Staat und sich dann wundert, dass es keiner annimmt. Also das ist so ein bisschen die neue Philosophie, die man so erkennen kann.

Scholl: Ihr Ressort, Herr Weitzmann, ist auch Rechtssicherheit im Netz, ein Aspekt ist das Urheberrecht. Sie arbeiten auch bei der Organisation Creative Commons, die Lizenzverträge über digitale Inhalte ausarbeitet. Da sind wir beim Thema Urheberrecht. Wird es da auch darum gehen, bei diesem Gipfel?

Weitzmann: Also beim Gipfel selbst eher untergeordnet, weil das Urheberrecht mehr so als – oder Urheberrechtsverletzungen und Urheberrechtsdurchsetzung im Netz und solche Dinge werden eher so als Kollateralphänomen der Sicherheitsfragen gesehen. Wo es kein Thema ist, was auch auf den Koalitionsvertrag zurückgeht, ist, was die Internetsperren angeht. Da gab es ja auch, also sobald über die Kinderpornografie irgendwie diskutiert wurde, gab es sofort die nächste Stufe, wo Leute gesagt haben, ja, wir müssen das jetzt auch, in Sachen Urheberrechtsverletzungen müssen wir jetzt auch an Sperren denken. Zum Beispiel in Frankreich dieses, man darf drei Mal was verletzen und dann wird einem der Internetanschluss abgestellt quasi, diese Policy. Das ist aber mittlerweile vom Tisch, weil eben da auch gesagt wurde, nein, wir müssen das auf die allerschwerste Kriminalität begrenzen. Und das Urheberrecht ist zwar eine wichtige Sache, aber es ist eben nicht in derselben Liga wie Kindesmissbrauch und solche Dinge. Und das scheint im Moment vom Tisch zu sein, ist natürlich auch nicht sicher, wie lange das so sein wird.

Scholl: Was versprechen Sie sich denn von diesem Treffen?

Weitzmann: Ja, ich verspreche mir vor allen Dingen ein bisschen eine Versachlichung der Debatte, was diese digitale Persönlichkeit und die Sicherheit der persönlichen Daten, die man so im Netz verbreitet, angeht. Da wird vieles einfach immer nur so in Zeitungen und so weiter, wenn wieder irgendwo Daten geklaut wurden, bei StudiVZ oder bei einem der sozialen Netzwerke, da wird viel drüber geschrieben und alle sind sich irgendwie einig, dass das nicht gut ist. Aber wie das wirklich behoben werden kann, an welcher Stelle man da ansetzen muss, das wird, glaube ich, auch ganz interessant sein zu hören, was jetzt auf dem Gipfel dazu alles zu hören ist. Und dann sind es ja auch Leute, die wirklich Entscheidungsträger sind, das heißt, das sind nicht Leute, die meinen, sie müssten sich dazu mal in irgendeiner Zeitung äußern, sondern das sind wirklich Leute, die es hinterher auch irgendwie umsetzen müssen. Und da wird es dann interessant zu hören, was da kommt.

Scholl: Das heißt, Sie meinen auch, dass so ein Gipfel wirklich was bringt? Vorher sagten Sie, früher war es ja mehr eine PR-Veranstaltung und Kritiker runzeln immer die Stirn, wenn sie sagen IT-Gipfel, sagen sie nachher viel Gerede um nichts.

Weitzmann: Ja, also der Gipfel an sich ist mehr so das Schaufenster. Also man muss sich das vorstellen, da sind Arbeitsgruppen des Gipfels, aber auch andere von Bund und Ländern, die das ganze Jahr über ohnehin zusammenkommen, und dann wird einmal im Jahr sozusagen das Schaufenster aufgemacht und dann guckt man da rein. Insofern, was das angeht, ist es natürlich immer noch eine PR-Veranstaltung, das heißt, die wirklich entscheidenden Diskussionen finden allermeistens vorher statt, im Jahr vor dem Gipfel. Aber der Gipfel an sich hat schon ein paar Impulse geliefert, einfach weil er so ein Hingucker ist, weil die Leute halt sehen, ja, was passiert denn da. Und da möchte man natürlich irgendwas auch präsentieren. Und das läuft dann eher vor dem Gipfel ab, dass man sich dann eben auf den Gipfel vorbereitet, weil man weiß, da gucken dann alle hin. Das ist so ein bisschen das Prinzip des IT-Gipfels. Also der Gipfel selbst im Sinne von, dass da der Stein der Weisen gefunden wird, ist eher unwahrscheinlich, es läuft eben in Arbeitsgruppen und Initiativen vorher.

Scholl: Der vierte nationale IT-Gipfel tagt zur Stunde in Stuttgart, und der Jurist John Hendrik Weitzmann nimmt daran teil. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Weitzmann: Bitte schön!