Das Menschenrechtsverständnis in China

Jeder interpretiert Konfuzius, wie es gerade passt

Konfuzius-Statue in China
Studenten laufen in der chinesischen Stadt Wuhan in der Provinz Hubei an einer Konfuzius-Statue vorbei. © picture alliance / dpa / Foto: epa
Von Ruth Kirchner · 09.12.2015
China beruft sich gern auf Konfuzius, wenn es um Grundsätze für politisches Handeln und den Umgang mit Menschenrechten geht. Aber nicht der weise Gelehrte hat das Bewusstsein der chinesischen Gemeinschaft geprägt, sondern Jahrhunderte alte Herrschaftsstrukturen.
Konfuzius hätte den Begriff Menschenrechte vermutlich nie benutzt. Gleichwohl ging es dem Philosophen aus der ostchinesischen Stadt Qufu, der vor über 2.000 Jahre lebte, zunächst um das Individuum. Die Kultivierung und Bildung des einzelnen Menschen stand im Mittelpunkt seines Denkens, das Streben nach dem Guten und Edlen.
Edel war nur ein moralisch einwandfreier Mensch, der nach Kardinal-Tugenden wie Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeit strebte, der den Ahnen und den Älteren gegenüber Pietät zeigte. Daraus abgeleitet wurde über die Jahrhunderte auch eine politische Dimension: nicht nur der Gehorsam des Kindes gegenüber dem Vater, sondern auch der Gehorsam der Frau gegenüber dem Mann und des Untertanen gegenüber dem Herrscher. Doch die Verengung auf hierarchische Herrschaftsbeziehungen greife zu kurz, kritisiert der Pekinger Politikwissenschaftler Zhang Ming:
"Was die Herrschenden fördern, ist der Unrat des Konfuzianismus. Dinge, die von den Kaiser-Dynastien promoted wurden, waren zum Beispiel Rangordnung, Gehorsam, die Verehrung der kaiserlichen Herrschaft. Die einfachen Leute wünschen sich eine harmonische Familie. Diese beiden Interpretationen sind bis heute in China populär, doch sie können nicht die echten konfuzianischen Werte widerspiegeln."
Konfuzianer propagieren Menschlichkeit und Gerechtigkeit, die Harmonie mit der Welt, das Streben nach dem Edlen. Dass der Konfuzianismus einer Achtung der Menschenrechte oder der Demokratie entgegenstünde, lässt der Politologe Zhang nicht gelten. Andere Länder in Ostasien – Japan, Süd-Korea, Taiwan – seien schließlich auch konfuzianisch geprägt, gleichwohl heute demokratisch verfasst. Dennoch fällt auf: die konfuzianischen Werte beziehen sich auf Personen, weniger auf Institutionen. Die bestehenden Ordnungen und politischen Strukturen bleiben unangetastet.
Einklagbare Rechte der Untertanen haben keinen Platz
Zwar könnte der echte Konfuzianer als moralische Wächterinstanz Kritik an den Herrschenden üben, doch damit einher geht auch die paternalistische Vorstellung, dass nicht das Volk seine Interessen selbst vertritt, sondern dass die gebildete Elite das Interesse des Volkes vertritt. Einklagbare Rechte der Untertanen haben in diesem Denken keinen Platz. Historisch gesehen gebe es in China weder rechtsstaatliche noch demokratische Traditionen, argumentiert der liberale Ökonom Hu Xingdou.
"Im alten China ging der Einzelne in der Gesellschaft oder in der Familie auf. In chinesischen Tusche-Zeichnungen etwa sind die menschlichen Figuren unbedeutend. Nicht wie in der westlichen Malerei, wo die Schönheit und Macht des Einzelnen betont wird."
Bis heute zählen in China der Einzelne und seine Rechte weniger als die Gemeinschaft, die Nation oder – wie unter Mao – das Kollektiv. Doch dies allein dem Konfuzianismus zuzuschreiben sei falsch, sagen Experten. Vielmehr hätten Jahrhunderte alte Herrschaftsstrukturen das Bewusstsein tief geprägt, sagt etwa Zhang Ming.
"China hat eine 2000-jährige Geschichte einer gewaltigen Bürokratie; alles wurde von Beamten kontrolliert. Der Gedanke ´der Beamte ist der Maßstab`, ist tief verankert. Das hat größeren Einfluss und hat mehr Schaden angerichtet als der Konfuzianismus."
Heute interpretiert jeder Konfuzius, wie es ihm passt. Mao Zedong verteufelte ihn, um die alte Ordnung zu zerschlagen. Staats- und Parteichef Xi Jingping benutzt ihn, um die Idee des gerechten Herrschers und damit seine eigene Rolle zu stärken. Der alte Konfuzius hätte darauf vermutlich mit einem seiner weisen, aber oft vieldeutigen Sprüche reagiert. Etwa mit diesem: Wer alles glaubt, was er liest, hört besser auf zu lesen.
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