"Das Mediengesetz muss geändert werden"

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Gabi Wuttke · 04.01.2011
Der Vizevorsitzende der Liberalen im Europäischen Parlament (ALDE), Alexander Graf Lambsdorff (FDP), fordert die Änderung des ungarischen Mediengesetzes, weil es "die Axt an die Wurzeln des liberalen Verfassungsstaats" lege. Hinsichtlich der Sondersteuer für Unternehmen hält er die Rechtslage für nicht eindeutig.
Gabi Wuttke: Ist eine EU-Ratspräsidentschaft schon mal mit so harscher Kritik in ihre Saison gestartet? Weniger als wenig Freunde macht sich der ungarische Regierungschef Viktor Orbán derzeit bei den Partnern in Brüssel.

Auch bei der Krisensteuer für ausländische Unternehmen präsentiert sich die ungarische Regierung unter Viktor Orbán also wieder vollmundig. Die EU-Kommission prüft seit Herbst, ob diese Steuer mit den europäischen Regeln zu vereinbaren ist, auf Details aus Budapest wartet man noch. Am Telefon ist jetzt der liberale Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff, guten Morgen, Herr Lambsdorff!

Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Das arme EU-Land Ungarn versucht, sich mal selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Was ist daran falsch?

Lambsdorff: Daran ist überhaupt nichts falsch und ich glaube, man muss die Diskussion über das Mediengesetz einerseits und die Sondersteuer andererseits trennen, das sind Themen, die wirklich sehr unterschiedlich strukturiert sind. Bei der Sondersteuer hat die ungarische Regierung eine Regel eingeführt, dass Unternehmen ab einer bestimmten Umsatzstärke von ihr betroffen sind. Das sind bei einer kleinen Volkswirtschaft wie Ungarn erfolgreiche ausländische Unternehmen, die dort in den letzten Jahren investiert haben. Das ist eine Strukturierung dieses Steuergesetzes, die eindeutig auf ausländische Unternehmen zielt. Hier muss die Kommission hinschauen. Das ist aber eine einfache, ich sag mal europarechtlich fragwürdige Geschichte, die geht nicht an die Fundamente des Verfassungsstaates, des liberalen Verfassungsstaates. Da sind wir beim Mediengesetz in ganz anderen Fahrwassern.

Wuttke: Aber bleiben wir doch erst mal bei dieser Krisensteuer: Die europäischen Konzerne, die sich jetzt ärgern, verdienen gut in den neuen EU-Ländern, haben zum Teil heimische Unternehmen verdrängt, bekamen Sonderkonditionen eingeräumt. Wie gierig darf man sein?

Lambsdorff: Nun, in der Marktwirtschaft im offenen europäischen Binnenmarkt gilt die Kapitalverkehrsfreiheit. Ausländische Unternehmen können bei uns investieren, genau so können unsere Unternehmen auch in anderen Ländern investieren. Das ist völlig in Ordnung. Wir dürfen eines nicht vergessen: Ungarn ist zwar nicht im Euro, aber Ungarn ist in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise.

Insofern ist es normal, dass dieser Staat versucht seine öffentlichen Finanzen zu sanieren und dabei auch die Unternehmen zur Verantwortung zieht. Insofern, ich sehe da ein geringeres Problem als bei dem anderen Thema. Dennoch, eines ist klar: Ist das Gesetz Europa-rechtswidrig nach Auffassung der Kommission, muss dieses Steuergesetz auch geändert werden.

Wuttke: Das heißt, wenn Euro-Griechenland seinen Bürgern die Steuern erhöht, dann geht das in Ordnung; andernfalls aber jetzt mit den Unternehmen, mit den ausländischen Unternehmen in Ungarn, das ginge nicht?

Lambsdorff: Nein, das habe ich ja gerade gesagt: Es ist nicht zulässig in der Europäischen Union, ausländische Unternehmen, also andere europäische Unternehmen einzeln zu besteuern. Das haben die Ungarn ausdrücklich nicht getan, sondern sie haben ein objektives Kriterium eingezogen, nämlich eine bestimmte Umsatzhöhe. Diese Umsatzhöhe erreichen in der realen Wirklichkeit fast nur ausländische Unternehmen.

Insofern ist die faktische Wirkung auf die ausländischen Unternehmen beschränkt, aber die rechtliche Struktur ist so, dass theoretisch auch ungarische Unternehmen davon betroffen sein könnte. Deswegen sage ich, das ist eine europarechtlich fragwürdige Regelung und die Kommission muss das wirklich genau prüfen. Sie haben es ja eben vom Korrespondenten auch gehört oder wir haben es gehört, die Kommission prüft das seit Herbst. Es ist also nicht ganz so eindeutig, ob das Europa-rechtswidrig ist oder nicht.

Wuttke: Jetzt haben wir über die Steuer gesprochen. Sie haben auch schon gesagt natürlich, in den letzten Tagen und Wochen werden wir umgetrieben vom neuen ungarischen Mediengesetz. Hat Viktor Orbán tatsächlich den Raum, wie aus der ungarischen Regierung zu hören war, zu sagen, die EU braucht Ungarn?

Lambsdorff: Nun, jeder Ministerpräsident wird von seinem eigenen Land behaupten, dass die Europäische Union es brauche. Das finde ich nicht weiter ungewöhnlich. Aber anders als beim Steuergesetz ist beim Mediengesetz die Lage wirklich relativ eindeutig, hier wird die Axt an die Wurzeln des liberalen Verfassungsstaats gelegt und das ist etwas, wo die Ungarn nicht sich darauf berufen können, dass die Europäische Union sich doch nicht in innerungarische Angelegenheit einzumischen habe.

Das ist in der Rechtsgemeinschaft, in der Wertegemeinschaft Europäische Union eine Formulierung, die wirklich von einer falschen Mentalität zeugt. Wenn die Demokratie in einem Mitgliedsstaat gefährdet ist, geht das alle Europäer etwas an.

Wuttke: Am Freitag wird Europa nach Budapest fahren. Was sollte sie dieser Ratspräsidentschaft mal ganz dringend ins Stammbuch schreiben?

Lambsdorff: Nun, ganz klar, das Mediengesetz muss geändert werden. Das Mediengesetz fügt sich aber ein in eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die Regierung Orbán mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament umgesetzt hat: Da ist zum einen die Entmachtung des Verfassungsgerichts, da ist die Gefügigmachung der Zentralbank, da ist die Beschneidung der parlamentarischen Kontroll- und Mitwirkungsrechte. Das sind alles Maßnahmen, die uns alle nicht erfreuen können, ganz im Gegenteil. Das Mediengesetz allerdings ist wirklich von seiner ganzen Anlage her auf eine Beseitigung pluralistischer Berichterstattung ja orientiert, das ist etwas, wo ganz klar eine Änderung herkommen muss.

Die Bundesregierung hat das ja auch sehr deutlich gesagt und ich bin darüber sehr froh. Es ist üblicherweise so, dass Regierungen in der Europäischen Union einander sehr sagen wir mal milde begegnen, auch wenn es kritisch wird. Das ist ja einer der Gründe mit für die Eurokrise im Übrigen. Aber hier hat die Bundesregierung genau wie die Luxemburger und die Tschechen gesagt, dieses Gesetz muss geändert werden. Und genau das gehört der ungarischen Präsidentschaft auch ins Stammbuch geschrieben.

Wuttke: Aber war es nicht schon milde, überhaupt zu schweigen, bis dieses Gesetz verabschiedet war? Man hätte ja schon mal vorher was sagen können?

Lambsdorff: Nun, ich sag mal, die Beobachtung Ungarns im Vorfeld haben einige Experten gemacht, aber das war angesichts der Eurokrise in der europäischen Politik natürlich nicht so bedeutend. Jetzt hat Ungarn die Präsidentschaft. Das hat eine bestimmte symbolische Bedeutung, auch wenn es nicht mehr so groß ist wie noch vor dem Lissabonner Vertrag, aber mit der Präsidentschaft erfolgt eine Beachtung, ein wirklich genaueres Hinsehen über das, was in Budapest passiert.

Und dieses Mediengesetz mit einer staatlichen Nachrichtenagentur mit einer Lizenzierungspflicht für alle Medien mit einer Kommission, die Strafen verhängen kann gegen Internetportale und Zeitungen und Rundfunksender, das geht einfach gar nicht. Und insofern ist es gut, dass Ungarn die Präsidentschaft hat, weil jetzt schaut Europa hin und jetzt muss man wirklich den Druck auch aufrechterhalten, dass dieses Gesetz geändert wird.

Wuttke: So kann man es auch sehen. Ungarn, die Wirtschaft und die EU, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Alexander Graf Lambsdorff, liberaler Abgeordneter im Europaparlament. Vielen Dank und schönen Tag!

Lambsdorff: Ihnen auch, danke!