"Das Mädchen aus den Bergen"

Moderation: Jan Brachmann · 09.09.2012
Das Lied stand Edvard Grieg besonders nahe, zumal seine Frau Nina Hagerup von Beruf Sängerin und die erste Interpretin ihres Mannes war. Der Zyklus "Haugtussa" (Das Mädchen aus den Bergen) op. 67 ist dabei Griegs bedeutendstes Werk.
Erzählt wird die Geschichte eines Hirtenmädchens, das sich erst glücklich in einen Jungen verliebt, dann aber verlassen wird. Für die Geschichte Norwegens ist dieser Zyklus ein Meilenstein.

Grieg hat hier mit den Gedichten von Arne Garborg Texte in Nynorsk, also dem eigentlichen Norwegisch, zugrunde gelegt, während er bislang hauptsächlich dänische Texte von Hans Christian Andersen oder Holger Drachmann vertont hatte. Denn Dänisch war die offizielle Amtssprache in Norwegen. Aber auch für die europäische Geschichte des Liederzyklus ist "Das Mädchen aus den Bergen" ein Schritt auf neues Terrain.

Anders als in den Liedern Mitteleuropas tritt hier eine Frau auf, die nicht – wie bei Schumann und Chamisso in "Frauenliebe und -leben" – ihren Lebensinhalt im häuslichen Glück und in der liebenden Folgsamkeit ihrem Gatten gegenüber sucht. Garborgs und Griegs "Mädchen" ist voll berufstätig, weiß das Vieh zu weiden, Bären und Füchse zu verjagen. Sie darf ihre erotischen Wünsche benennen und tritt damit als sexuelles Wesen in Erscheinung, das gleichwohl nicht dämonisiert wird. "Du sollst die wilde Liebe nicht fürchten, die sündigt und weint und vergisst", heißt es schon im ersten Lied, und als sie sich in den Jungen verliebt, neckt sie ihn frech und springt mit ihm ausgelassen wie die Zicklein über die Hänge.

Von Kirsten Flagstad bis Anne-Sofie von Otter hat "Haugtussa" immer wieder prominente Interpretinnen gefunden. Abhängig von deren Timbre und Persönlichkeit treten dabei die mädchenhaft-kecken oder die fraulich-ernsten Züge dieser Lieder hervor. Jan Brachmann stellt die verschiedenen Auffassungen einander gegenüber, mit denen sich Griegs Zyklus in die Feier des Hirtenmädchens als wichtige Figur der norwegischen Kunst einreiht, wie sie uns zeitgleich auch in den Bildern von Anders Askevold oder der Erzählung "Synnøve Solbakken" von Bjørnstjerne Bjørnson begegnet.