"Das kann nie und nimmer eine Bearbeitung sein"

Simon Bergmann im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 30.12.2011
Die Witwe von Joseph Beuys darf Schloss Moyland weiter verbieten, Fotos über eine Kunstaktion aus dem Jahr 1964 auszustellen. Der Anwalt des Museums sieht nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf weitreichende Folgen für das Urheberrecht von Fotografen.
Matthias Hanselmann: Eine Fettecke war vor Gericht. Das Düsseldorfer Landesgericht hat heute in einem bizarren Rechtsstreit das Urteil gefällt. Gleich sprechen wir mit dem Urheberrechtsexperten und Rechtsanwalt Simon Bergmann, gegen den sich die Witwe des Künstlers Joseph Beuys durchsetzen konnte. Worum es genauer ging, hören wir vorher von Ludger Kazmierczak, und dazu schauen wir weit zurück, und zwar ins Jahr 1964, als Beuys nämlich in der Sendung "Drehscheibe" zu Gast war.

Ludger Kazmierczak über ein – gelinde gesagt – ungewöhnliches Verfahren. Am Telefon begrüßen wir jetzt Simon Bergmann, den Rechtsanwalt des Beuys-Museums Schloss Moyland, das sich das Recht erstreiten wollte, die Fotos des Beuys-Happenings ausstellen zu dürfen. Guten Tag, Herr Bergmann!

Simon Bergmann: Grüße Sie, hallo!

Hanselmann: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dieses Urteil jetzt bestätigt, aus erster Instanz, die Witwe von Joseph Beuys kann das Ausstellen von Fotos einer Kunstaktion ihres Mannes weiterhin verbieten. Erst mal: Hat Sie das Urteil überrascht?

Bergmann: Na, für mich kam es jetzt nicht mehr so überraschend. Man kann natürlich in diesem hochkomplexen Fall beide Meinungen vertreten, das muss man wirklich zugestehen, und wir sind auch von Anfang an davon ausgegangen, dass der Fall letztinstanzlich wahrscheinlich erst vom Bundesgerichtshof entschieden werden kann oder entschieden werden muss. Nichtsdestotrotz hat mich das nicht mehr überrascht, zu ungewöhnlich war jetzt aus meiner Sicht der heutige Verkündungstermin zwischen den Tagen – schon sehr ungewöhnlich, dass ein Gericht in dieser Zeit, in der normalerweise nur Notdienst stattfindet, dieses Urteil fällt und dann ausgerechnet noch am letzten Arbeitstag des Vorsitzenden der VG Bild-Kunst, Herrn Professor Pfennig, der altersbedingt zum Ende des Jahres ausscheidet. Also insofern sage ich jetzt mal, war ich nicht überrascht.

Hanselmann: Professor Pfennig, der zudem auch noch der Rechtsanwalt der Beuys-Witwe selbst ist, wenn ich recht informiert bin?

Bergmann: Richtig.

Hanselmann: Und auch Lebensgefährte, stimmt das auch?

Bergmann: Das wäre mir neu.

Hanselmann: Gut.

Bergmann: Dazu kann ich nichts sagen.

Hanselmann: Das lassen wir mal im Recht der Spekulation, jedenfalls ist er Rechtsanwalt und gleichzeitig eben Chef der VG Bild-Kunst und dadurch eigentlich für beide sich streitenden Parteien zuständig. Es hieß, dass zunächst mal das Beuys-Museum die Witwe um Erlaubnis hätte fragen sollen, wenn es die 18 Fotos ausstellen wollte, warum hat man das nicht einfach gemacht?

Bergmann: Das gestaltete sich so, dass permanent Anfragen des Museums von der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst abgelehnt wurden, und wir haben auch ein Schreiben von Herrn Professor Pfennig an den damaligen Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, in dem eigentlich klipp und klar gesagt wird, dass man das Museum austrocknen lassen will, dass man es letztendlich boykottieren will bei allen Anfragen, in denen es um die Fotoveröffentlichung von Beuys-Werken geht. Das wäre in dem Fall jetzt eine reine Formalie gewesen, anzufragen, um dann die Absage zu kassieren. Deswegen hat man dann irgendwann davon Abstand genommen, weil es einfach keinen Zweck gehabt hätte, unnütze Anfragen zu stellen.

Hanselmann: Also wir müssen das noch mal für Menschen, die im Urheberrecht nicht so bewandert sind, klären. Da macht der Beuys eine Aktion im Fernsehen, vor laufenden Kameras – die Videos gibt es nicht mehr –, und ein guter Bekannter vom ihm, ein Freund, glaube ich sogar, fotografiert das Ganze, und diese Fotos sollen nun ausgestellt werden dürfen. Warum dürfen die nicht ausgestellt werden, warum gelten die nicht als Dokumentation?

Bergmann: Ja, das ist in der Tat sehr schwer nachzuvollziehen. Im Urheberrecht gibt es die sogenannte Bearbeitung. Die Bearbeitung ist eine Umgestaltung des ursprünglichen Werkes, bei dem aber die wesentlichen Charakteristika des Ursprungswerk erhalten und erkennbar bleiben. Beispiel: Ein Roman wird verändert, statt eines tragischen Endes gibt es ein Happy End, oder das Werk wird gekürzt – das sind die klassischen Bearbeitungen, bei denen auch der Autor befragt werden muss. Das ist theoretisch natürlich auch bei einem Happening möglich. Jetzt stellt sich die Frage, können diese 18 Fotos eines, ich sag mal 30-minütigen Happenings eine solche Bearbeitung darstellen? Das muss hier geklärt werden. Und ich vertrete halt die Meinung, dass das nie und nimmer eine Bearbeitung sein kann, weil die wesentlichen Elemente eines Happenings in diesen Fotos nicht wiedergegeben werden können.

Die gehen sozusagen verloren bei der Umsetzung in Fotos. Man muss sich natürlich damit auseinandersetzen, was ist überhaupt ein Happening. Ein Happening ist ja eine ganz komplexe Werkgattung, die eben nicht mehr aus bildender Kunst besteht, sondern es gibt Handlungsabläufe, es gibt eine Art Choreografie, es gibt Bewegung, es gibt Gestik, Worte, Klang – ein ganz, ganz wichtiges Element beim Happening. Jeder, der mal ein Happening – vielleicht nicht selbst, aber doch auf Videos – gesehen hat, wird wissen, was ich damit meine. Und das ganz speziell hier bei diesem Happening, wo ja nicht nur Beuys anwesend war, sondern auch Wolf Vostell und Bazon Brock …

Man kann den Fotos entnehmen, wie komplex das war. Da sieht man Frauen auf einem Fahrrad rumfahren, andere haben Fische im Mund, es ist ein Kommen und Gehen. Das heißt, wir haben ein ganz, ganz komplexes Werk, und das kann man meines Erachtens nicht in 18 Fotos derart wiedergeben, dass das Ursprungswerk mit allen seinen charakteristischen Elementen noch erkennbar bleibt.

Hanselmann: Und dazu kommt ja noch, dass wenn Beuys noch leben würde, er wahrscheinlich die Fotos sofort freigegeben hätte, denn er mochte es – so viel wissen wir –, wenn seine Aktionen fotografiert wurden, und er war sogar mit dem Fotografen Tischer befreundet, um dessen Bilder es geht. Also ist es sozusagen die Witwe von Joseph Beuys, die sich da total querstellt. Was glauben Sie, welches Hauptmotiv sie hat?

Bergmann: Da könnte ich wirklich nur spekulieren. Ich meine, Sie haben natürlich völlig recht, Beuys selbst hätte diese Fotos nie untersagt, im Gegenteil. Die Aktions- oder Happening-Künstler waren froh und darauf angewiesen, dass Fotografen vor Ort sind, um das Werk, was es ja so nie wieder aufführbar gibt, zumindest in diesem Medium, nämlich fotografisch festzuhalten für die Nachwelt.

Das heißt also, Beuys war ja auch mit Tischer befreundet, er hat natürlich gesehen, dass fotografiert wurde, selbstverständlich war er damit einverstanden. Warum Frau Beuys das jetzt untersagen lässt, ist mir nicht nachvollziehbar. Sie selbst müsste eigentlich ein Interesse haben, dass solche Bilder gezeigt werden. Und es geht ja hier auch nur um eine Ausstellung, es geht ja gar nicht um eine kommerzielle Verwertung in dem Sinne, dass damit jetzt viel Geld gemacht werden soll, sondern es geht um die Dokumentation eines wichtigen Werkes.

Hanselmann: Na ja, der Streitwert ist wohl auf 200.000 Euro festgelegt worden – das ist Geld.

Bergmann: Ja, für mich auch ein Umstand, der nicht nachvollziehbar ist, wie man hier sozusagen den wirtschaftlichen Wert dieses Rechtsstreits mit 200.000 Euro angeben kann – ein Indiz mehr, dass es hier nur darum geht, das Museum in die Knie zu zwingen. Und man muss einfach auch wissen, Frau Beuys hätte sich ja so einen Rechtsstreit selber gar nicht leisten können – davon gehe ich jetzt aus. Dass das jetzt hier die VG Bild-Kunst stellvertretend für sie macht, kann man schon unter Umständen darauf zurückführen, dass der Anwalt von Frau Beuys wie auch der Vorsitzende der VG Bild-Kunst gleichermaßen Herr Professor Pfennig ist. Anders ist es für mich nicht zu erklären.

Hanselmann: Ich könnte mir vorstellen, dass viele Fotografen uns zuhören und einen Riesenschreck kriegen. Welche Folgen hat dieses Urteil für Fotografen, die im dokumentarischen Bereich arbeiten?

Bergmann: Na ja, sicherlich hat das schon eine Relevanz aus meiner Sicht für die Dokumentationsfotografie von dynamischen Werken. Bislang ist man davon ausgegangen, dass solche Fotos möglich und zulässig sind. Und wenn es aber jetzt heißt, dass einzelne Fotos von Theateraufführungen, Musikvorführungen, Pantomimen oder auch Happenings, wenn diese Fotos jetzt jeweils eine Bearbeitung sein sollen, dann wäre das natürlich unzulässig, es müsste jedes Mal der Urheber befragt werden. Stellen Sie sich also Streetart vor, eine Pantomime, eine Musikaufführung – überall, wo das in Betracht kommt, wären dann immer erst Zustimmungen einzuholen, also aus meiner Sicht schon eine starke Begrenzung der Dokumentationsfotografie.

Hanselmann: Ich nehme an, die Sache ist für Sie nicht zu Ende – Sie haben vorhin des Bundesgerichtshof erwähnt –, werden Sie weitermachen?

Bergmann: Ich selbst kann es leider nicht entscheiden, ich kann nur meinen Mandanten empfehlen, das zu tun. Wie gesagt, es wäre schade, hier auf halber Strecke aufzuhören, weil es doch von Anfang an klar war, dass dieses Thema, was noch nie entschieden wurde höchstrichterlich, zum Bundesgerichtshof gehört und dort letztendlich dann höchstinstanzlich entschieden werden muss.

Hanselmann: Zum Fetteckenstreit war das Simon Bergmann, Rechtsanwalt des Beuys-Museums Schloss Moyland. Vielen Dank, Herr Bergmann!

Bergmann: Ja, danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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