"Das kann man gar nicht richtig trainieren"

Achim Michael Hasenberg im Gespräch mit Britta Bürger · 20.05.2012
4.500 Kilometer, 64 Etappen, kein Ruhetag! Achim Michael Hasenberg und sein Kameramann haben Läufer beim Rennen quer durch Europa begleitet. Deren Stärke hat der Regisseur beeindruckt, "auch jenseits der Körperlichkeit".
Britta Bürger: "I want to run - Das härteste Rennen der Welt". Bei Wind und Wetter haben der Dokumentarfilmer Achim Michael Hasenberg und sein Kameramann die Extremläufer von Italien bis zum Nordcup begleitet und heute ist der Regisseur bei uns im Studio eingelaufen. Schönen guten Morgen, Herr Hasenberg.

Achim Michael Hasenberg: Hallo.

Bürger: Mitgemacht haben Männer und Frauen aus Europa, den USA und Asien, darunter einige Profiläufer, aber vor allem eben Menschen mit ganz alltäglichen Berufen: ein Friseur, eine Solarforscherin von der Uni, ein Optiker. Wie konnten Leute mit normalen Berufen und Familien sich jetzt überhaupt auf so ein Extremabenteuer vorbereiten?

Hasenberg: Also mitgemacht zunächst einmal hat nur ein einziger Profiläufer, alles andere sind tatsächlich Amateure. Und da ist dann wirklich ganz, ganz schwierig, so viel Zeit zum einzelnen Lauf selber - es sind ja 64 Tage, das ist ja im Grunde genommen schon der Jahresurlaub. Aber da muss man sich vorstellen ...

Bürger: Der Zweijahresurlaub.

Hasenberg: Ja, oder Zweijahresurlaub sogar schon, genau. Aber da muss man sich vorstellen, das weiß jeder, der einen Marathon laufen möchte, dass man annähernd diese Distanz schon mal trainieren muss. Das heißt also, diese 4.500 Kilometer, die sie schaffen wollten, die müssen vorher auch schon mal gelaufen worden sein. Das heißt, jenseits von ihren Berufen bleibt da wirklich nicht viel Zeit für Familie, Freunde, Fernsehen gucken.

Bürger: Körperliche Fitness, die kann man natürlich trainieren, muss man früh aufstehen, wie die eine Frau erzählt, um vier Uhr steht sie auf, läuft drei Stunden jeden Tag vor ihrem Job, aber wie kann man sich mental auf das vorbereiten, was da auf einen zukommt?

Hasenberg: Das ist unglaublich. Also der Lauf wird ja hauptsächlich im Kopf entschieden, das ist ja auch das, was mich fasziniert hat letztendlich, dass es gar nicht so sehr die Fitness ist - die spielt natürlich absolut auch eine Rolle, ist klar, bei solchen Distanzen -, aber man muss einen unglaublich starken Geist haben, um das durchzustehen, wirklich diese 64 Tage ohne Pausentag. Also gerade auch Elke Streicher, die Sie gerade erwähnten, erzählt das ja auch so. Man muss jeden Tag fit sein, jeden Tag muss man wieder raus, ob es schneit, ob man krank ist, man muss auf die Strecke gehen. Die Vorbereitung für solche Sachen - ich glaube, das kann man gar nicht richtig trainieren, ich glaube, das muss man in sich haben, also da muss man charakterlich so ein Typ sein.

Bürger: Was für ein Typ?

Hasenberg: Letztendlich doch ein sehr starker Mensch. Also das ist das Schöne eigentlich auch, wenn man diesen Film sieht, dass man sieht, das sind letztendlich alles sehr, sehr starke Persönlichkeiten und jenseits von der Körperlichkeit stark.

Bürger: Können Sie das an einer Art Lebensphilosophie festmachen, die diese doch sehr unterschiedlichen Menschen vereint?

Hasenberg: Ja, es sind sehr unterschiedliche Menschen, und so unterschiedlich sind eigentlich auch ihre Lebensphilosophien. Also es gibt tatsächlich Läufer, die siegen wollten, das war ihr primärer Anspruch, aber es sind auch Läufer, die zum einen natürlich einfach durchkommen wollten, aber auch das - so seltsam sich das jetzt anhört vielleicht - als Ausflug begriffen, dass sie einmal zu Fuß den Kontinent Europa durchqueren wollten.

Bürger: Man fragt sich natürlich, warum reicht einem nicht ein normaler Marathonlauf von was weiß ich, 40 Kilometern, ist ja auch nicht ohne. Hat hier also auch vielleicht doch auch die Sucht nach immer noch mehr Glückshormonen zugeschlagen oder sind das, wie es jetzt eine Ärztin in Ihrem Film zum Beispiel sagt, allesamt Extremisten, Grenzgänger, Borderliner?

Hasenberg: Also Grenzgänger sind sie natürlich in diesem Sinne, wie ich vorhin schon sagte, dass sie einfach bis an die Grenze des Möglichen gehen, was das Laufen pro Tag angeht. Mehr ist einfach nicht möglich. Also es gibt Läufe, da wird ein Tag, eine Nacht gelaufen, aber dann ist man eben einfach kaputt und muss aufhören. Aber über so eine lange Distanz braucht man eben eine gewisse Zeit der Regeneration, Schlaf, Essen und so weiter, und das wird hier ausgereizt. Insofern sind es Grenzgänger, dass sie eben an die Grenze gehen.

Sucht würde ich, glaube ich, ist mir ein Begriff, den ich hierfür, glaube ich, nicht verwenden möchte. Jeder, der einen Marathon oder auch einen Halbmarathon oder auch nur zehn Kilometer joggen möchte, unterliegt einer gewissen Leidenschaft, sonst würde man das ja nicht machen. Da könnte man dann ja vielleicht in Ihrem Sinne auch schon von Sucht reden. Das entwickelt sich einfach. Also wenn man eine Distanz geschafft hat, dann möchte man vielleicht die nächste schaffen und so weiter und so weiter, und irgendwann ist dann eben tatsächlich diese Grenze erreicht, was an einem Tag möglich ist.

Bürger: Ich hab mich trotzdem gefragt, ob das noch ein Gemeinschaftserlebnis ist, so ein Abenteuer wie dieser Europalauf, oder nicht doch ein großer Egotrip, weil wenn zum Beispiel ein Mitläufer unterwegs vor Schmerzen fast zusammenbricht oder auch einen Unfall hat, was ja auch passiert ist, stürzt, dann kann der andere nicht einfach stehen bleiben. Er läuft weiter und lässt den Mitläufer allein.

Hasenberg: Das ist richtig. Also mit Sicherheit ist das eine Angelegenheit, die jeder für sich bewältigt. Es entsteht natürlich am Ende des Tages immer auch so eine Art Gruppengefühl, man macht das Gleiche, aber letztendlich ist jeder auf sich gestellt. Das hatten wir auch bei den Dreharbeiten erlebt, dass wir im Grunde genommen da zunächst einmal doch wie so ein Fremdkörper waren. Wenn man eben gerade bis an die eigene Belastungsgrenze oder darüber hinaus geht, dann möchte man zusätzliche Belastungen oder kann zusätzliche Belastungen auch gar nicht ertragen.

Und das ist natürlich zum einen klar, wenn jemand Hilfe braucht, dann wird es schwierig, hat aber trotzdem stattgefunden. Also zum Beispiel auch bei Joachim Hauser, der an MS leidet und große Schwierigkeiten hat, Gefälle zu bewältigen, weil er das ganz schlecht kontrollieren kann und dann immer schneller wird. Und dann gab es eben tatsächlich auch jemand, der ihn dann, als er das beobachtete, einfach am Kragen schnappte, wie Joachim selber berichtet im Film und ihn bremste, damit er nicht stürzt. Also solche Sachen passieren sehr wohl, aber ansonsten, weil so viel Energie einfach nicht mehr da ist, bei diesen Läufern, muss man schon sehr auf sich schauen - und das ist natürlich dann ein Egotrip.

Bürger: Das mit der Geschwindigkeit fand ich überhaupt interessant, dass es ja ein Problem sein muss, dass man nicht zu schnell läuft. Ich hätte jetzt eher gedacht, das Problem sei, dass man vielleicht zu langsam wird.

Hasenberg: Ja, das ist richtig. Das ist dann auch das Interessante, warum zum Beispiel bei diesem Lauf durchaus auch Frauen eine sehr reelle Chance haben, in der Gesamtwertung Sieger oder zumindest ganz weit oben zu sein, weil sie sich nicht so verrückt machen ließen von den Gegnern. Das war ein Phänomen bei den ersten zehn Etappen, dass viele einfach ihre Geschwindigkeit, so wie sie sie ja auch trainiert haben, nicht gefunden haben, sondern sie haben sich dann orientiert an den anderen, wollten wenigstens unter den ersten zehn sein, liefen aber eben nicht ihre Geschwindigkeit, liefen viel zu schnell und schieden dann dementsprechend auch aus. So in etwa die Hälfte sind bis zum Nordkap gekommen, und aber mindesten die Hälfte der Ausscheider sind gleich nach den ersten zehn Etappen ausgeschieden.

Bürger: Dieser Lauf ist ja alles andere als idyllisch. Also das Wetter war ziemlich schlecht in diesen zwei Monaten - kalt, nass, sehr windig. Es geht auch nicht durch lauschige Wege in der Natur, sondern vor allen Dingen wird ja auf ziemlich befahrenen Straßen gelaufen, also die Autos rauschen an den Läufern vorbei, im Tunnel müssen sie aufpassen, dass sie nicht überfahren werden, und es gab eben auch einen Unfall, weil eine Läuferin auf der falschen Seite gelaufen ist, nämlich nicht gegen den Verkehr, sondern mit ihm. Was waren aus Ihrer Sicht in diesen zwei Monaten die größten Krisen?

Hasenberg: Vielleicht ganz kurz erklären, warum eben an doch viel befahrenen Straßen gelaufen wurde: Der Hauptgrund ist wohl der gewesen, dass die Läufer sich sonst viel zu sehr hätten konzentrieren müssen auf die Unebenheiten des Waldweges oder eben auch sich sehr viel schwerer orientieren hätten können. Deshalb ist es tatsächlich so, dass die Läufer selber favorisierten, eher auf geraden, geteerten Straßen zu laufen, um sich nicht so einen großen Kopf zu machen, auf den Boden zu schauen oder eben, wo muss ich jetzt abbiegen. Verlaufen war im Lauf davor, 2003, ein ganz großes Problem, es haben sich sehr, sehr viele verlaufen, und das ist natürlich sehr bitter. Also wenn man 70, 80 Kilometer schon hinter sich hat und dann verläuft man sich irgendwie doch und muss dann noch 10 oder 20 Kilometer zusätzlich machen, ist ganz schlimm. War dann aber auch tatsächlich wieder so, so wie es auch im Film zu sehen ist, dass teilweise sehr brenzlige Situationen entstanden sind.

Bürger: Wie haben Sie den Rhythmus des Laufens filmisch umgesetzt?

Hasenberg: Irgendwann - das war eine Idee der Cutterin Andrea Neese - brauchten wir Musik, und der Musiker war noch nicht so weit. Und dann hatte sie Neo-Tango auf ihrer Festplatte von Gotan Project und Bajofondo, und dann haben wir einfach, damit wir noch ein bisschen einen Rhythmus für den Schnitt bekommen, haben wir diese Musik mal daruntergelegt, und plötzlich hatten wir so ein Gefühl dafür und dachten, das passt so, das fanden wir irgendwie ganz toll.

Bürger: "I Want To Run - das härteste Rennen der Welt", am Donnerstag kommt der Dokumentarfilm von Achim Michael Hasenberg in ausgewählte deutsche Kinos. Herr Hasenberg, ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Hasenberg: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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