"Das ist unverantwortlich"

Christian Ruck im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 20.09.2010
Christian Ruck (CSU) hat den Kompromiss der Bundesregierung mit der Atomwirtschaft verteidigt. Er weist den Vorwurf von SPD-Chef Sigmar Gabriel zurück, die Bundesregierung spalte mit ihrer Atompolitik die Gesellschaft.
Jörg Degenhardt: In sieben Wochen rollt der Castor wieder. Ein heißer Herbst wird von den Atomkraftgegnern beschworen, zum Zentrum des Widerstands wird wohl das Wendland werden, rund um das mögliche künftige Atommüll-Endlager Gorleben. Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, lieferte der letzte Samstag: In Berlin kamen Zehntausende zu einer Großdemonstration gegen die schwarz-gelben Atompläne zusammen. Und die Opposition will sich die Gelegenheit natürlich auch nicht entgehen lassen: Sie setzt nicht nur auf starke Worte. SPD-Chef Gabriel will die Novelle des Atomgesetzes notfalls per Eilantrag noch vor dem geplanten Inkrafttreten am 1. Januar stoppen. Christian Ruck ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zuständig für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Ruck!

Christian Ruck: Guten Morgen!

Degenhardt: Wie viele Kritiker der Laufzeitverlängerung für Atommeiler gibt es eigentlich in den Reihen Ihrer Fraktion?

Ruck: Also auch bei uns gibt es natürlich den einen oder anderen, dem die Verlängerung der Laufzeiten nicht so schmeckt, aber ich würde sagen, mehr als 95 Prozent der Fraktion stehen jetzt hinter dem, was wir in anderthalb Wochen als Beschlussvorlage haben und beschließen werden.

Degenhardt: Trotzdem: Die Anti-Atombewegung in Deutschland, die ist so stark wie nie. Können Sie dieser Aussage zustimmen?

Ruck: Nein. Nach dem letzten Wochenende kann ich dem noch nicht zustimmen, aber es wurde uns ja ein heißer Herbst angedroht, und dann schauen wir mal, was kommt. Allerdings: Ich bin ja jetzt auch schon länger in der Politik, die Atompolitik war immer schon umstritten. Mal waren alle Fraktionen der gleichen Meinung, das war vor 40 Jahren, dann haben sich die Wege getrennt. Aber es gab immer den Versuch verschiedener Parteien natürlich, aus der Atompolitik Kapital zu schlagen. Das ist auch legitim. Es ist auch legitim, dass man zu Demonstrationen aufruft. Aber umstritten war die Atompolitik schon, seitdem es sie gibt.

Degenhardt: Kapital schlagen, sagten Sie gerade, das hat auch die Opposition versucht, das ist ihr gutes Recht. Nach der Demo am Samstag hat sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel geäußert, und zwar in dieser Weise:

Sigmar Gabriel: CDU/CSU und FDP eröffnen einen neuen gesellschaftlichen Großkonflikt, der schon befriedet war. Die Demonstrationen waren weg, weil allen klar war: Es gibt einen Kompromiss. Bis 2020 wird ausgestiegen aus der Atomenergie, wir lösen die Probleme mit der Endlagerung, indem wir ergebnisoffen suchen und nicht auf ein Endlager setzen in Gorleben, wo wir nicht wissen, ob es klappt. Das alles machen die Bundesregierung und Frau Merkel jetzt kaputt, sie sagen, nein, wir gehen bis 2040, vielleicht noch länger, sie bremsen die erneuerbaren Energien aus, sie schustern vier Konzernen 100 Milliarden Euro zu, und vor allen Dingen passiert eins: Das Ganze wird in Form von Geheimverhandlungen mit der Atomwirtschaft gemacht. Selbst Sicherheitsfragen werden nicht im Parlament oder Regierung erörtert, sondern in Geheimgesprächen, und das bringt die Leute zu recht auf die Straße.

Degenhardt: Wie gesagt, das ist die Stimme der Opposition, aber müssen Sie, Herr Ruck, sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie die Protestbewegung mit Ihrer Politik erst stark gemacht haben?

Ruck: Also nachdem Sie jetzt gerade Gabriel eingespielt haben, kann ich persönlich nur sagen, dass ich keinen einzigen Satz, den Gabriel gesagt hat, für richtig halte. Wenn er sagt, wir spalten die Gesellschaft, ist es auch ein Unsinn. Es gibt Entscheidungen, die müssen getroffen werden, die hat Gabriel verschleppt und auch sein Vorgänger. Da denke ich zum Beispiel an die Endlagerfrage. Unabhängig von der Laufzeitverlängerung muss man die Endlagerfrage klären, das ist ein Problem, und das ist seit vielen Jahren ein Problem. Und wir sind jetzt die, die sagen: Wir heben das Moratorium auf, wir wollen weiterforschen, auch in Gorleben.

Degenhardt: Aber Entschuldigung, Sie forschen doch nur in Gorleben, zum Beispiel nicht in den süddeutschen Ländern?

Ruck: Also wir forschen zunächst mal ergebnisoffen in Gorleben, das war ein alter Beschluss aller Regierungen und aller Koalitionen, und das wird jetzt seit zehn Jahren blockiert. Ich finde es richtig, dass man hier erst mal weitermacht, denn die Gutachten sagen ganz klar: Gorleben ist ein hoffnungsvoller Standort. Und wenn aus den ergebnisoffenen Untersuchungen herauskommt, dass das nicht stimmt, dann müssen wir was anderes machen, ist doch vollkommen klar. Aber ich kann doch nicht einfach sagen: Ich tue jetzt zehn Jahre nichts, und dann sage ich zur schwarz-gelben Koalition, weil sie was tut, spaltet sie die Gesellschaft. Das ist unverantwortlich. Und das andere ist: Wir haben ja nie, das habe ich ja auch nie gesagt, seitdem ich in der Politik bin, und ich komme ja aus der Umweltecke, ich habe nie gesagt, dass die Atomkraftwerke oder die Kernkraft eine harmlose Angelegenheit ist. Aber ich habe immer gesagt: Wir müssen die sichersten Kernkraftwerke der Welt haben, wir müssen uns um den Atommüll kümmern, übrigens nicht nur wir, sondern das ist ein weltweites Problem, und das müssen wir zügig angehen. Und Verschleppen hat da überhaupt keinen Sinn. Ich verstehe auch die Proteste der Wendland-Leute, das ist auch legitim, aber es nicht legitim meiner Ansicht nach, so wie Gabriel und Trittin es getan haben, den Kopf in den Sand zu stecken.

Degenhardt: Aber ist es nicht legitim, einen Atomdeal zu kritisieren, der offensichtlich fragwürdige Schutzklauseln beinhaltet für die AKW-Betreiber?

Ruck: Also das weise ich zurück, es gibt überhaupt keine fragwürdigen Schutzklauseln. Gehen Sie doch mal zurück, Anfang der 2000er-Jahre, da hatte der Gabriel selber gesagt: Wir haben einen Ausstiegsbeschluss mit den Atomkraftwerken herbeigeführt, und da steht drin, dass die Atomkraftwerke sicherheitspolitisch nichts mehr nachrüsten müssen. Das ist ein unverantwortlicher Deal. Und bei uns steht jetzt drin, dass sie nachrüsten müssen. Ich weiß gar nicht, warum man hier immer Wahrheit und Lüge durcheinanderbringt. Es ist auch so: Ich habe dem Deal, dass wir mehr Geld brauchen zum Beispiel für die erneuerbaren Energien und für mehr Energieeffizienz zugestimmt. Ich finde das richtig, dass wir einen Deal machen, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern, die Gewinne zum größten Teil abzuschöpfen und in eine neue Energiepolitik zu stecken. Wir brauchen unheimlich viel Geld für die energetische Gebäudesanierung, wir brauchen mehr Geld für die erneuerbaren Energien, wir brauchen mehr Geld für Energieeffizienz allgemein, und, das sage ich auch, wir brauchen Geld für die internationalen Verpflichtungen, zum Beispiel für den Schutz des Regenwaldes.

Degenhardt: Letzte Frage, Herr Ruck: Meinen Sie, könnte die Laufzeitverlängerung, wie von Gabriel beabsichtigt, noch gekippt werden durch Karlsruhe, weil sie den Bundesrat umgehen, also die Bundesregierung?

Ruck: Wir umgehen den Bundesrat nicht und es steht jedem frei, zu demonstrieren, das sage ich ausdrücklich, und alles als Opposition zu nutzen. Es ist ja auch ein Unsinn, wenn man sagt, das ist ein Geheimvertrag. Wir haben ja die parlamentarischen Beratungen erst in aller Länge und aller Ausführlichkeit. Insofern ist das auch ein Unsinn. Aber ich glaube nicht, dass eine Verfassungsklage einen Sinn hat, aber das muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Dafür haben wir unsere unabhängige Justiz.

Degenhardt: Sagt Christian Ruck, er ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zuständig für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Herr Ruck, vielen Dank für das Gespräch!

Ruck: Ich danke Ihnen! Tschüss!


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