"Das ist Reduzierung des Islam auf Gewalt"

Moderation: Katrin Heise · 31.03.2008
Der in Deutschland lebende iranische Publizist Bahman Nirumand hat die Aufführung von Salman Rushdis "Satanischen Versen" in Potsdam kritisiert. Das Theaterstück und der jüngst im Internet erschienene Film des holländischen Rechtspopulisten Wlders benutzten die Freiheit der Kunst nur als Vorwand für "pure Provokation", sagte Nirumand. Er plädierte für eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam.
Katrin Heise: So hoch schlugen die Wellen damals. Seitdem sind fast 20 Jahren vergangen, aber die "Satanischen Verse" gelten nach wie vor immer noch als Provokation. So sahen es jedenfalls der Zentralrat der Muslime und der Islamrat. Das Hans-Otto-Theater Potsdam sei "das mutigste Theater Deutschlands", so titelte letzte Woche die "Bild-Zeitung". Wie lief sie nun, die Aufführung? Das weiß mein Gast. Es ist der aus dem Iran stammende, seit den 60er Jahren in Deutschland lebende Publizist Bahman Nirumand. Er hat sich damals gegen die Fatwa ausgesprochen. Seine Themen sind bis heute der Umgang der Deutschen mit dem Fremden und die Beobachtung auch des Fundamentalismus im Islam. Ich grüße Sie recht herzlich, Herr Nirumand!

Bahman Nirumand: Ja, schönen guten Tag!

Heise: Sie haben gestern die Uraufführung gesehen. Zwischenfälle gab es keine. War eigentlich von den Sicherheitsbedenken, die letzte Woche so diskutiert wurden, was zu spüren? Gab es viel Polizei?

Nirumand: Ich habe kaum da was gesehen. Im Hintergrund ein Polizeiwagen, aber sonst war von Sicherheitsbeamten kaum was zu sehen.

Heise: Die Aufregung war dann doch ein wenig verebbt. Der Intendant Uwe Eric Laufenberg sagte bei uns in der Sendung "Fazit", hier im Deutschlandradio Kultur, er wolle mit seiner Aufführung über das Buch und die Gedanken Rushdies aufklären. Ist dieses Anliegen gelungen?

Nirumand: Ganz ehrlich gesagt, nach meiner Auffassung nicht. Vier Stunden lang hat man alles über sich ergehen lassen. Es war ziemlich chaotisch nach meiner Auffassung. Es war keine Struktur in dieser Aufführung. Es waren zwei Botschaften, wenn man das so als Botschaften auffassen soll: Zum einen wird Mohammed, der Prophet Mohammed, als Geschäftsmann dargestellt, der handelt mit Gott usw., und zum Zweiten wird der Islam sehr reduziert auf bestimmte Vorschriften und Rituale. Und ich finde das nicht in Ordnung, wenn man eine Religion, an die über anderthalb Milliarden Menschen glauben, so auf diese Vorschriften reduziert.

Heise: Ein Angebot zum Dialog sehen Sie in dieser Aufführung jetzt gerade nicht?

Nirumand: Absolut nicht, nein.
Heise: Sehen Sie in einer künstlerischen Bearbeitung, wie es im Westen ja häufig ist, überhaupt ein Angebot an Dialog? Glauben Sie, dass das möglich ist, künstlerische Auseinandersetzung mit dem Islam?

Nirumand: In dieser Weise nicht, weil ich habe wie gesagt den Eindruck, dass da keine differenzierte Auffassung von Islam dargeboten wird. Ich gehöre zu jenen, die unbedingt für eine Reform im Islam eintreten, und es gibt ja zahlreiche Menschen im Iran oder in anderen islamisch-arabischen Ländern, die sich um die Anpassung des Islam an die Moderne bemühen. Aber von all diesen Bemühungen ist da überhaupt nicht die Rede, sondern es wird, diese Schwarzmalerei, diese Darstellung Islams als eine Religion der Gewalt, ich meine auch, in diesem Film von Wilders, in Holland jetzt, wird der Islam mit Faschismus gleichgesetzt und der Koran mit "Mein Kampf". Das ist pure Provokation. Da ist überhaupt keine Aufklärungstendenz zu spüren. Wenn man tatsächlich einen Dialog führen will, dann muss man differenzieren, das gehört doch zur zivilisierten Welt.

Heise: Genauso gehört es natürlich zur Demokratie auch dazu, Kunstfreiheit, Meinungsfreiheit zu bieten. Die verteidigen Sie aber auch?

Nirumand: Unbedingt. Ich lebe seit Jahren im Exil, weil in meinem Land die Meinungsfreiheit nicht existiert, weil die Fundamentalisten eine Meinungsfreiheit nicht dulden wollen. Aber das hat nach meiner Auffassung mit Meinungsfreiheit, mit Freiheit der Kunst nichts zu tun. Das ist nur ein Vorwand. Im Grunde, das muss man im Kontext sehen, geht es um eine psychologische Kriegsführung nach meiner Auffassung. Weil wozu diese Provokationen? Man weiß doch, wohin das führt.

Heise: Da weiß man, die Spirale springt immer wieder an?

Nirumand: Immer wieder an, und ich kann Ihnen versichern, dass die Fundamentalisten das sehr, sehr dankbar aufnehmen. Daraus schlagen sie doch Kapital. Das ist ein gegenseitiges Sich-Bälle-Zuwerfen. Die Fundamentalisten hier in der christlichen Welt werfen den Fundamentalisten der morgenländischen Welt die Bälle zu und umgekehrt auch.

Heise: Künstlerische Auseinandersetzung mit dem Islam, unser Thema im "Radiofeuilleton" mit dem Publizisten Bahman Nirumand. Gleichzeitig sagen Sie, die Spirale springt immer wieder an, aber man hat auch andere Töne jetzt mitbekommen. Der Vorsitzende des Islamrates Ali Kizilkaya betonte die Kunst- und Kulturfreiheit, stellte aber das Gebot des Respekts vor den Religionen daneben. Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek sah auch die Provokation in den "Satanischen Versen" beispielsweise, riet aber zur Gelassenheit, ebenso wie viele andere. Genau dasselbe passiert ja auch bei dem Anti-Islamfilm des rechten niederländischen Politikers Geert Wilders. Eigentlich, die Muslime raten alle zur Gelassenheit. Sehen Sie eine neue Gelassenheit im Umgang mit solchen Provokationen?

Nirumand: Ja, ich hoffe sehr, dass diese Gelassenheit bleibt, weil das böses Blut schafft, wenn man darauf, auf jede Provokation, eingeht. Ich bin sehr froh, dass die Muslime jetzt sehr gelassen auch auf diese Aufführung in Potsdam reagiert haben. Aber im Grunde, mein Appell an die Intellektuellen, an diejenigen, die sich wirklich mit der islamischen Welt auseinandersetzen wollen, ist: provoziert nicht!

Heise: Vielleicht weiß man manchmal gar nicht, wo die Provokation beginnt? Sie ist so früh da, dass man direkt immer diese Schere im Kopf haben muss, könnte das jetzt eine Provokation sein.

Nirumand: Ja, man weiß es sehr genau. Das glaube ich nicht. Man weiß genau, wenn man differenziert sich mit einer Religion auseinandersetzt, dann wird man auch eine differenzierte Antwort bekommen. Es geht doch darum, es sind so zahlreiche Menschen in unseren Ländern, die sich um die Reformen des Islam bemühen. Und ich frage Sie als Redakteurin in einem wichtigen Medium, wissen Sie, kennen Sie diese Reformer oder ein paar dieser Reformer? Warum führt man nicht den Dialog mit diesen Menschen? Warum provoziert man ständig?

Heise: Sie meinen eher direkt, man muss das direkte Gespräch suchen und nicht immer so die künstlerische Abhandlung darüber, was man sich selber vorstellt, was der Islam ist?

Nirumand: Ja, wenn man sich mit dem Islam beschäftigt, dann muss das differenziert tun. Diese Darstellungen, angeblich künstlerischen Darstellungen, das ist einfach Reduzierung des Islam auf Gewalt. Und das ist nicht der Fall. Ein renommiertes Meinungsforschungsinstitut, Gallup, hat eine Umfrage durchgeführt. 85 Prozent der Muslime sind für Demokratie und Freiheit, nur sieben Prozent sympathisieren mit den Radikalen. Das ist eine ganz andere Welt als die, die in den hiesigen Medien dargestellt wird.

Heise: Wie sollte die Auseinandersetzung mit dem Islam aussehen? Dazu ein Gespräch mit Bahman Nirumand. Vielen Dank, Herr Nirumand, für dieses Gespräch!

Nirumand: Gerne.
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