"Das ist keine Drohung, sondern eine Tatsache"

Hildegard Müller im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 19.08.2010
Die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, Hildegard Müller, lehnt die geplante Brennelementesteuer ab. Die Wirtschaftlichkeit kleinerer Anlagen sei bei einer solchen Steuer nicht mehr gegeben, sagte Müller.
Jan-Christoph Kitzler: Die Energiepolitik ist Chefsache - und nicht nur, weil die Bundeskanzlerin gerade unterwegs ist auf ihrer sogenannten Energiereise: Bis Ende September will die Bundesregierung ein Energiekonzept vorlegen. Das ist ein ziemlich komplexes Thema mit vielen Akteuren und vor allem mit ganz unterschiedlichen Interessen.

Da geht es um den Bedarf, die Erzeugung und um den Transport und um die Frage, wie man möglichst schnell und möglichst elegant zu den erneuerbaren Energien kommt. Doch bei einem Thema wird mit besonders harten Bandagen gekämpft: Bei der Laufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland.

Ich bin jetzt verbunden mit Hildegard Müller, früher Staatsministerin im Bundeskanzleramt und seit 2008 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung im Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Guten Morgen!

Hildegard Müller: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Was erwarten denn die Unternehmen, die Sie vertreten, vom Energiekonzept der Bundesregierung?

Müller: Uns geht es darum, dass wir ein ganzheitliches Energiekonzept bekommen, das alle Punkte berücksichtigt, die wichtig sind. Wenn ich vielleicht ganz kurz einige sagen kann: Einmal brauchen wir aus Sicht der Kunden heraus natürlich eine weiterhin sichere und klimafreundliche Energieversorgung, die auch bezahlbar ist. Und aus Sicht der Unternehmen der Energiewirtschaft brauchen wir auch Planungssicherheit für die Zukunft, die auf uns zukommt. Wir wollen die Integration der erneuerbaren Energien, das gelingt aber nur mit erheblichen Anstrengungen, und dafür brauchen wir nun die Rahmenbedingungen.

Kitzler: Sie betonen die Planungssicherheit - die gab es ja bisher beim bisher geltenden Atomausstieg, in dem ist klar geregelt, wie lange zum Beispiel die Kernkraftwerke laufen sollen. Aber dann waren doch die großen Energiekonzerne, die waren es doch, die den Kompromiss wieder aufweichen wollten und längere Laufzeiten wollten, und die auch dafür gesorgt haben, dass es jetzt diese unklaren Verhältnisse gibt, oder?

Müller: Also wir vertreten 1800 Unternehmen in diesem Land, 1100 davon, die in der Stromerzeugung tätig sind. Das macht schon deutlich, dass die Kernenergiefrage eine wichtige, sicherlich auch eine der wesentlichen Fragen des Energiekonzeptes ist, aber nicht die entscheidende. Nur 23 Prozent unseres Stroms kommen aus der Kernenergie.

Ich will hier nicht drum herum reden: Wir sprechen uns aus volks- und gesamtwirtschaftlichen Gründen für eine Laufzeitverlängerung aus, sagen aber auch: Diese Ausgestaltung muss dann so sein, dass die Wettbewerbsneutralität gewahrt ist. Aber noch mal: Die Frage wird völlig überpointiert. Wenn wir hin zu einem Zeitalter der erneuerbaren Energien wollen, dann müssen wir über Netzausbau reden, dann müssen wir über Speichertechnologien reden, dann müssen wir über Infrastrukturskepsis reden, und dann müssen wir auch darüber reden, wie wir bezahlbar eine verlässliche Energieversorgung bekommen, die halt auch noch auffüllt, was noch nicht aus erneuerbaren Energien dargestellt werden kann.

Kitzler: Eine ihrer Pressemitteilungen habe ich den Satz entnommen: "Die gesamte Energiewirtschaft bekennt sich zum konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien", aber stehen die geforderten längeren Laufzeiten, die auch Sie wollen für Atomkraftwerke, möglichst ja bis zu 60 Jahre stehen im Raum, dem nicht entgegen?

Müller: Nein. Wir sehen diesen Widerspruch überhaupt nicht. Es gibt im Übrigen ja auch einen Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien, den wir nicht bezweifeln. Und wir sagen, dass wir bis 2050 CO2-neutral den Strom erzeugen müssen, aber wie gesagt, das bedarf noch wesentlicher Umstrukturierungen in der gesamten Stromerzeugung. Und deshalb sind uns diese Zukunftsfragen jetzt ja so wichtig, und deshalb wollen wir eine Lösung für die Laufzeitverlängerung, aber wir wollen natürlich auch viel mehr Fragen, die darüber hinaus das Energiekonzept beantworten muss.

Kitzler: CO2-neutral schließt die Kernkraft mit ein, oder?

Müller: Das schließt sie auch mit ein in so einem Mix, aber ich sage noch mal: Uns geht es um den Aufbau der Erneuerbaren, und da müssen wir ganz konsequent reden, wie wir das langfristig anstreben können. Da geht es um die Frage: Wie wollen wir erzeugen? Wollen wir mit Wind, mit Sonne, mit Photovoltaik – wie wollen wir da diesen Mix machen, was ist da auch effizient und bezahlbar auf Dauer? Wir müssen über die Netzfragen reden.

Das hört sich immer so einfach an, ist aber nicht so ganz einfach, den Strom vom Norden, sage ich jetzt mal, in die Verbrauchszentren im Süden zu bekommen. Hier gibt es sehr viel Infrastrukturskepsis, hier gibt es acht- bis zehnjährige Planungs- und Genehmigungsverfahren. Die Energiewirtschaft will allein in diesem Bereich bis zum Jahre 2020 40 Milliarden Euro investieren, wenn man uns denn lässt. Und das sind ganz konkrete Fragen, die jetzt heute gelöst werden müssen, und deshalb muss das Energiekonzept auf den Tisch.

Kitzler: Sind das die wichtigsten Voraussetzungen, die die Energiewirtschaft braucht, um die Erneuerbaren voranzubringen?

Müller: Ich glaube, ganz wesentlich ist in der Tat die Netzfrage, einmal die Übertragungsnetze, zum anderen aber auch die Verteilnetze. Wir haben ja im Bereich der Photovoltaik zum Beispiel sehr dezentrale Einspeisungen. Mal einfach gesagt: Auf unseren Einbahnstraßen der Stromnetze müssen wir hier Autobahnen machen sozusagen, die Strom transportieren können in beide Richtungen. Auch dort bedarf es erheblicher Ausbauanstrengungen.

Und ein drittes Thema will ich da halt dann jetzt auch noch nennen: das Thema Speichertechnologien. Strom ist nicht einfach speicherbar. Wenn wir über diese Mengen von regenerativen Energien sprechen, die natürlich, ich sage jetzt mal, wenn viel Wind ist, zur Verfügung stehen, wenn die Sonne scheint, zur Verfügung stehen, aber es gibt auch Tage, wo sie nicht in dem Maße zur Verfügung stehen, dann brauchen wir Stromspeicher. Und hier sind wir in Forschung und Entwicklung weit hinter den Träumen vieler zurück, und das sind die ganz konkreten Fragen, an denen der Ausbau der erneuerbaren Energien sich weiter entwickeln wird.

Kitzler: Es gibt ja ganz unterschiedliche Ansätze, auch bei der Energieerzeugung. Hier gibt es die großen Kraftwerke, dazu gehören vielleicht auch die großen Windparks vor der Küste, und da die eher kleineren Anlagen für den Bedarf vor Ort. Kann man das in einem Konzept überhaupt zusammenbringen?

Müller: Ich glaube ja, weil es sich auch nicht ausschließt, weil wir technologieoffen dort arbeiten wollen, weil wir zentrale und dezentrale Versorgung brauchen. Und diese Vielfältigkeit hat uns im Übrigen in der Vergangenheit immer sehr stark gemacht, und wir haben mittlerweile auch über 1000 Mitgliedsunternehmen, zum Beispiel im BDEW, die im Bereich der erneuerbaren Energien das konkret auch umsetzen, und da reden wir sowohl über die großen Offshore-Projekte wie auch sehr konkrete Maßnahmen vor Ort, in denen sich viele Stadtwerke engagieren, um hier den regenerativen Energien zum Durchbruch zu verhelfen.

Kitzler: Kommen wir noch mal ganz kurz zu den vier großen Unternehmen, den vier großen Energieversorgern, die haben ja gedroht, ältere Atomkraftwerke sofort stillzulegen. War diese Drohung hilfreich für die jetzt laufenden Verhandlungen?

Müller: Ich bin bei diesen Verhandlungen nicht dabei, aber ich habe diese Drohung nicht so vernommen. Die Betreiber sind gefragt worden, wie die Wirtschaftlichkeit von Kraftwerken aussieht, wenn eine Brennelemente-Steuer eingeführt wird, und sie haben darauf hingewiesen, dass bei kleineren Anlagen gepaart mit möglichen weiteren Auflagen die Rentabilität nicht vorhanden ist.

Und das ist keine Drohung, sondern eine Tatsache. Mich befremdet insgesamt, dass wir immer mal wieder diverse Steuerlösungen diskutieren zu diesem Thema, ohne das in den Zusammenhang zum gesamten Energiekonzept zu stellen. Das halte ich für sehr merkwürdig.

Kitzler: Das Energiekonzept der Bundesregierung und die Erwartungen der Energieerzeuger - das war Hildegard Müller vom Bundesverband Energie- und Wasserwirtschaft. Vielen Dank und einen schönen Tag!

Müller: Ihnen auch!