"Das ist eine Generalüberwachung"

Moderation: Christopher Ricke · 08.07.2013
Der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht fordert, dass sich die Sicherheitsbehörden in Europa an Recht und Gesetz halten. Zudem habe man in der EU noch nicht verstanden, dass gemeinsame Datenschutzstandards die Grundvoraussetzung für eine bessere Kooperation von Polizei und Diensten seien.
Christopher Ricke: Und es gibt nach wie vor all überall Datenspionage. Es vergeht kein Tag ohne neue Berichte, welcher Geheimdienst welchen Landes gerade mal wieder wen ausspäht und welche Agenten ihren Kollegen gewaltige Datenpakete zur Verfügung stellen und sogar auch das Auswertungsprogramm auch noch mitliefern.

Dabei hat man das doch eigentlich alles gewusst. Zum Beispiel, als in Deutschland vor sechs Jahren die Sauerland-Zelle ausgehoben wurde, hieß es etwas trocken: Dank eines Hinweises amerikanischer Dienste – und dass die nicht gerade zufällig eine Postkarte mitgelesen haben, das durfte man damals schon annehmen.

Ich spreche jetzt mit Jan Philipp Albrecht für die Bündnisgrünen im Europaparlament, ist innen- und justizpolitischer Sprecher seiner Fraktion und dazu auch noch Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments für die neue Datenschutzgrundverordnung. Morgen, Herr Albrecht!

Jan Philipp Albrecht: Guten Morgen, Herr Ricke.

Ricke: Das Beispiel Sauerland-Zelle habe ich gerade genannt: Da haben die Datensauger, mag man sie kritisieren, wie immer man will, dazu beigetragen, dass in Deutschland ein Terroranschlag verhindert wurde. Das ist doch erst Mal gut.

Albrecht: Also in jedem Fall ist es natürlich gut, wenn Anschläge verhindert werden können. Nur das Problem an diesen Sauerland-Anschlägen ist jetzt, dass ich schon vier oder fünf Mal gehört habe, dass bestimmte Informationen nur absolut notwendig waren, um diese Sauerland-Gruppe zu verhindern, um das aufzuklären. Und das waren die Vorratsdatenspeicherung, das waren die Fluggastdaten, jetzt sind es die Geheimdienstdaten aus dem Internet. Also am Ende frage ich mich doch tatsächlich, ist das wirklich richtig oder wird hier eigentlich im Grunde genommen dieses Argument immer nur vorgeschoben. Da müssen wir eigentlich mal darüber reden, was wollen wir eigentlich, und ist das tatsächlich notwendig?

Ricke: Na ja, aber unbestritten ist doch, die Geheimdienste haben Informationen, die beschaffen sie sich möglicherweise auch auf krummen Pfaden, aber – haben Sie jemals daran geglaubt, dass die Geheimdienste sich auf der ganzen Welt an Recht und Gesetz halten?

Albrecht: Na ja, ich würde das schon erwarten, denn eigentlich ist klar, dass alle Behörden eines Landes sich an Recht und Gesetz in ihrem Land halten müssen, also auch zum Beispiel die europäischen Geheimdienste und die der Mitgliedsstaaten in Europa an EU-Recht, an die Verfassung, an die Grundrechte. Und davon darf es keine Ausnahme geben. Ansonsten sind wir nicht in einem Rechtsstaat, sondern in einem Unrechtsstaat, wo eben eine Lücke besteht, und das kann sich eine Demokratie nicht leisten.

Ricke: Na ja, es ist doch eigentlich ganz pfiffig gelöst. Man spioniert im Ausland, also die Deutschen spionieren woanders, dafür spionieren die Amerikaner dann bei uns und man hilft sich gegenseitig mit den Daten. Das ist doch nicht mehr als eine kreative Auslegung des Rechts.

Albrecht: Das ist sehr kreativ. Vor allen Dingen, weil eben wirklich mittlerweile klar wird, dass zum Beispiel in Europa im Grunde genommen alle Geheimdienste allen Zugriff haben und sich gegenseitig so auch aushelfen, wie wir das ja auch selber – wir wollen ja, dass es eine Kooperation zwischen den Sicherheits- und Ermittlungsbehörden in Europa gibt. Das ist übrigens eigentlich auch der richtige Ansatz, zu sagen, Informationen müssen besser ausgetauscht werden, schneller ausgewertet werden, die vorhandenen Informationen.

Nun ist aber das Problem, dass hier so viele Informationen aggregiert werden, übrigens über alle möglichen Menschen, dass man nicht mehr darüber reden kann, dass das verhältnismäßige Überwachung ist, sondern das ist eine Generalüberwachung, die in dem Ausmaß wirklich nicht mehr stattfinden darf, wenn man sich selbst einen demokratischen Rechtsstaat nennen will. Sonst braucht man im Grunde genommen nicht mehr den Zeigefinger gegenüber Staaten wie Russland, China oder gar Bahrein zu erheben und zu sagen, eure Maßnahmen sind ja wohl nicht mehr mit den Menschenrechten vereinbar.

Ricke: Sie verhandeln ja gerade über die neue Datenschutzgrundverordnung für die EU. Fließt denn da der aktuelle Skandal in Ihre Arbeit ein?

Albrecht: Natürlich, wir behandeln in der Datenschutzverordnung ja auch die Frage zum Beispiel, wie Unternehmen, also gerade Telekommunikationsunternehmen wie Google, wie Yahoo, Microsoft, bei denen eben Daten anfallen, die wir in unserer digitalen Kommunikation abgeben, und wie diese Unternehmen diese Daten weitergeben an Behörden.

Und da hat es eben erfolgreich die US-Regierung geschafft, schon im Vorfeldstadium herauszunehmen, durch Lobbyismus bei der Kommission, eigentlich die Übertragung in die USA immer eine rechtliche Grundlage braucht, also eine, die die europapolitischen Entscheider vorher auch geschaffen haben. Und wenn das kommen würde, dann würde das die Menschen in Europa deutlich schützen vor einem Zugriff zum Beispiel der NSA.

Ricke: Wie klappt das denn mit diesen Lobbyisten in der EU. Kommt da mal ein freundlicher Herr vom Bundesnachrichtendienst bei Ihnen im Büro vorbei und sagt Ihnen ganz im Vertrauen, was er alles braucht und warum das wichtig ist und kann Sie vielleicht sogar überzeugen?

Albrecht: Nein. Also der Bundesnachrichtendienst ist bisher nicht angekommen, das sind viele andere, unter anderem dann zum Beispiel die Vertreter des Innenministeriums, die natürlich sich für den Sicherheitsbereich einsetzen. Das ist allerdings auch wirklich der Punkt, um den es hier geht. Denn meines Erachtens hat man eben nicht verstanden, dass wir gemeinsame Datenschutzstandards und hohe Datenschutzstandards brauchen, um eine bessere Kooperation der Sicherheitsbehörden überhaupt zu erreichen. Das ist eine Grundvoraussetzung. Und das haben viele eben schlichtweg noch nicht verstanden und setzen sich deswegen für niedrigere oder schlechtere Datenschutzstandards ein, damit sie dann, das ist ihr Gefühl, besser arbeiten können. Und das halte ich für einen Trugschluss.

Ricke: Herr Albrecht, das Gespräch, das wir beide jetzt gerade führen, ist ja in einer bestimmten Art und Weise ein besonderes, weil es öffentlich ist und wir beide uns tatsächlich möglichst viele Zuhörer wünschen. Bei vertraulichen Gesprächen ist das gerade andersherum. Und vertrauliche Gespräche gibt es ja in Brüssel auch reichlich. Wie schützen Sie sich denn?

Albrecht: Also ich meine, ich selber schütze mich vor allen Dingen damit, dass ich eben privat nicht so viel von mir gebe und möglichst auch darauf achte, dass möglichst wenig Informationen gespeichert werden. Als Politiker selber habe ich da nicht so das große Problem, weil ich es für richtig erachte, dass Menschenrechte auch vor allen Dingen Menschen nur wahrnehmen, und wenn ich in einer Institution bin und wenn ich sozusagen ein Amt wahrnehme, dann sollte das in der Regel eigentlich das Prinzip auch der Öffentlichkeit sein. Und gerade bei diesen Verhandlungen in Brüssel würde ich mir einfach mehr Öffentlichkeit wünschen. Und wenn wir jetzt darüber reden, welche Möglichkeiten auch der Kontrolle Parlamentarier gegenüber Überwachungsorganisationen und -institutionen haben, da ist es natürlich wichtig, dass diese auch diese Informationen bekommen, das heißt also, dass es einen bestimmten Bereich auch der Öffentlichkeit gibt. Ich denke, da sollte man sich weniger Gedanken drüber machen als über die generelle Überwachung aller Menschen.

Ricke: Jan Philipp Albrecht, er sitzt für die Bündnisgrünen im Europaparlament. Datenschutz ist sein Thema. Ich danke Ihnen und wünsche einen guten Tag!

Albrecht: Gerne, danke Ihnen auch!

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