"Das Hausarztprinzip ist für die ländliche Bevölkerung unabdingbar"

Moderation: Liane von Billerbeck · 22.07.2008
Der Landarzt Heinrich Peter sorgt sich um die medizinische Versorgung der Bevölkerung auf dem Lande. Nachwuchs fehle, weil die jungen Kollegen meinen, sie hätten auf dem Lande keine Lebensqualität. Die Politik favorisiere die Zentralisierung des Gesundheitswesens auf Zentren in größeren Städten. Doch auf das Hausarztprinzip könne auch in Zukunft nicht verzichtet werden, wenn die Gesundheitsversorgung aufrecht erhalten werden soll.
Liane von Billerbeck: Dass die medizinische Versorgung nicht nur in den entleerten Gebieten Ostdeutschlands ein Problem ist, sondern überall auf dem Lande, darüber will ich jetzt mit Dr. Heinrich Peter im fränkischen Wallenfels sprechen, der dort seit 20 Jahren als Landarzt gearbeitet hat. Ich grüße Sie!

Heinrich Peter: Hallo!

Von Billerbeck: Sie sind kürzlich 69 geworden. Was hat Sie an dieser Arbeit als Landarzt gereizt?

Peter: Ich habe hier auf dem Land im tiefen Bayern verwandtschaftliche Beziehungen und bin deswegen vor 20 Jahren aus der Großstadt hierher gegangen und habe das eigentlich bis heute nicht bereut.

Von Billerbeck: Sie wurden gerade zwangspensioniert mit 69 Jahren. Warum würden Sie gerne weiterarbeiten?

Peter: Diese Zwangspensionierung, abgesehen von allen anderen Umständen, ist für mich irgendwie nicht nachvollziehbar und eine diskriminierende Maßnahme, und ich muss ganz ehrlich sagen, ich fühle, dass meine Arbeit hier nicht beendet ist, aus dem einfachen Grunde, weil ich hier keinen Nachfolger finde und einen Nachfolger nicht einarbeiten konnte. Sobald das passiert und passiert ist - und ich bin ja da weiter am Ball -, kann ich mich dann mal vielleicht zur Ruhe setzen.

Von Billerbeck: Sie wurden zwangspensioniert, um dieses Wort in Anführungsstrichen noch mal zu benutzen, durch einen Passus im Sozialgesetzbuch, in dem steht, dass Ärzte mit vollendetem 68. Lebensjahr ihre Kassenzulassung zurückgeben müssen. Was bedeutet es denn nun, wenn Sie pensioniert werden und nicht mehr als Landarzt für Ihre Patienten zur Verfügung stehen?

Peter: Die Patienten, wenn hier kein Nachfolger ist, sind aus meiner Sicht hilflos. Die Patienten sind auf einen Arzt oder, wie Sie angedeutet haben in Ihrem Interview, eine Gemeindeschwester dringend angewiesen. Das mit den Gemeindeschwestern, das sehe ich ein bisschen skeptisch. Natürlich kann man da politisch was machen, aber auf einen Arzt wird man letztendlich nie verzichten können, weil ja Patienten, denen es schlecht geht, die hohen Blutdruck haben oder einen Schlaganfall erleiden oder am Rande eines Herzinfarktes stehen, da muss ja der Arzt dann entscheiden, ob die doch dringend ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Und das ist ja dann meine Aufgabe, solche Patienten auf diesem Wege dann auch zu begleiten, um Leben zu erhalten und zu retten.

Von Billerbeck: Haben Sie eigentlich versucht, Ihre Praxisnachfolge zu regeln, und welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Peter: Ja. Gemeinsam mit dem Bürgermeister sind wir im Prinzip hier seit drei Jahren bemüht, einen Nachfolger zu finden, und das ist uns bisher nicht gelungen, weil ich auch den Eindruck habe, dass wir von der Politik her nicht unterstützt werden. Die Politik favorisiert die Zentralisierung des Gesundheitswesens auf Zentren in größeren Städten, aber dann geht dieses Hausarztprinzip, was aus meiner Sicht für die ländliche Bevölkerung unabdingbar und unverzichtbar ist, verloren.

Von Billerbeck: Warum ist es nun so schwer, Landärzte zu finden, die sich genauso für ihre Patienten einsetzen, wie Sie das eben seit vielen Jahren tun?

Peter: Die jungen Kollegen meinen, sie haben hier auf dem Lande kein Auskommen und hier ist keine Lebensqualität. Ich kann nur sagen, auf dem Lande hier, gerade im Sommer, ist es wunderschön. Was ich allerdings sagen muss, für Familien mit Kindern und Ehefrau und so weiter geht natürlich die Bindung zur Gesellschaft ein bisschen verloren, und das ist dann Sache des Kollegen, der hierher kommt, das muss irgendwie aufgefangen werden, damit auch Ehefrau und Kinder hier zurechtkommen.

Von Billerbeck: Reden wir mal über die wirtschaftliche Seite einer solchen Landarztpraxis. Rentiert die sich eigentlich?

Peter: Aus meiner Sicht ohne weiteres. Die wirtschaftliche Sache ist aus meiner Sicht überhaupt kein Negativpunkt, sondern im Gegenteil. Wirtschaftlich kann hier jeder gut auskommen.

Von Billerbeck: Warum die medizinische Versorgung auf dem Lande so schwierig ist, das erklärt uns Dr. Heinrich Peter, Landarzt im fränkischen Wallenfels. Wenn wir uns jetzt mal vorstellen, Sie sind in Pension, ein Hausarzt ist nicht mehr in der Nähe - was geschieht dann, wenn beispielsweise, bei Ihnen in der Nähe sind ja sehr viele Sägewerke in diesem fränkischen Dorf, wenn dort ein Unfall geschieht?

Peter: Dann kommt von weither ein Notarztwagen gefahren mit einem Notarzt und je nach Schwere des Unfalls muss dann entschieden werden, ob er mit dem Notarztwagen ins nächstgelegene Krankenhaus, was hier 20 bis 25 Kilometer entfernt ist, transportiert werden muss oder sogar mit Hubschrauber in die nächste Großstadt. Dieser teure Transport könnte in manchen Fällen entfallen, die Unfallerstversorgung passierte durch den Hausarzt, durch den Notarzt, nun bin ich glücklicherweise hier auch H-Arzt mit chirurgischer Entfernung und kann das ohne weiteres leisten.

Von Billerbeck: Ein medizinischer Kongress, der gestern an der Universität Bayreuth stattgefunden hat, der hat auch über den Einsatz der Telemedizin, von der ja schon in unserem Beitrag die Rede war, für den ländlichen Raum diskutiert. Was halten Sie davon, wenn man so eine neue Art Hausarzt aus der Entfernung oder Gemeindeschwester aus der Entfernung einsetzt?

Peter: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Land oder Landregionen, jede Nation hat so eine Art Rückzugsgebiet mit den Problemen der Überalterung, Bevölkerungsschwund und so weiter, und ich glaube nicht, dass auf dieses Hausarztprinzip, wie es historisch gewachsen ist, auch künftig verzichtet werden kann. Das mag in der Großstadt ganz anders sein, da mögen die Praxen zentralisiert werden können auf Polykliniken oder Ambulanzen oder medizinische Versorgungszentren, wie das heute üblich ist, auf dem Lande wird das nicht gehen, ohne die Strukturen der Landregion vollkommen zu ruinieren.

Von Billerbeck: Herr Dr. Peter, wenn Sie die demographische Entwicklung betrachten, die ja gekennzeichnet ist von Landflucht, Bevölkerungsrückgang und Überalterung - sehen Sie da noch viel größere Probleme in der Zukunft?

Peter: Wenn die Politik nicht in der Lage ist, städtische Strukturen von den Landstrukturen sorgfältig zu differenzieren und einzuteilen und das Land bei seinen alten, historischen Strukturen zu belassen, dann wird die Situation auf dem Lande in Zukunft noch schwieriger.
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