"Das Gesicht" im Hygiene-Museum Dresden

Blick in die menschliche Seele

Eine jüngere Frau und ein älterer Mann berühren gegenseitig, voreinander auf dem Rücken liegend, ihr Gesicht: "My Father Never Touched Me Like That", 2014 - ein Videostill von Joanna Rajkowska
"My Father Never Touched Me Like That", 2014 - ein Videostill von Joanna Rajkowska ist Teil der Ausstellung im Hygiene-Museum Dresden. © ŻAK | BRANICKA, Berlin, Rampa, Istanbul and l'etrangère, London
Marianne Leuzinger-Bohleber im Gespräch mit Nicole Dittmer und Julius Stucke · 17.08.2017
Es ist mehr als Punkt, Punkt, Komma und Strich: das Gesicht. Schließlich beginnen die meisten Begegnungen mit einem Blick in das Gesicht des Gegenübers. Doch was steht darin zu lesen, und wie lesen wir das? Dem gehen eine Ausstellung und ein Symposium im Dresdner Hygiene-Museum nach.
Bebildert mit Kunstwerken und begleitet von wissenschaftlichen Projekten beschäftigt sich die Ausstellung "Das Gesicht. Eine Spurensuche" im Dresdener Hygiene-Museum mit dem menschlichen Antlitz. Ein Schwerpunkt dabei ist das Gesicht des Anderen – auch und gerade in heutigen Zeiten, wo Migration und Flucht Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenbringt.
"Das Gesicht wird immer wieder auch als ein Fenster zur Seele des Menschen bezeichnet", sagt die Psychoanalytikerin Marianne Leuzinger-Bohleber. Das Gesicht also, egal ob fremd oder vertraut, als Schauplatz des Verstehens – und des Missverstehens, ein Gebiet, auf dem Marianne Leuzinger-Bohleber seit Jahren unterwegs ist. Denn beim Blick ins Gesicht ihres Gegenübers öffnen sich Einsichten in Tiefen, bisweilen auch Abgründe der menschlichen Seele. Ihre Erfahrungen nutzt Leuzinger-Bohleber auch für das von ihr initiierte Projekt Step by Step. Eine als Dorf gestaltete Flüchtlingseinrichtung in Hessen. Bei den Menschen, die zu uns geflüchtet sind, könne man zum Beispiel in den Gesichtern die Traumatisierungen sehen.
Porträt von Marianne Leuzinger Bohleber, Psychoanalytikerin und Leiterin des Sigmund-Freud-Instituts (SFI) in Frankfurt am Main, aufgenommen 2015
Marianne Leuzinger Bohleber, Psychoanalytikerin und Leiterin des Sigmund-Freud-Instituts (SFI) in Frankfurt am Main© picture alliance / dpa / Andreas Arnold
Ihre psychoanalytischen Beobachtungen hier sind auch das Thema, über das Sie auf einem Symposium im Rahmen der Dresdner Ausstellung spricht. Über Gesichter, die Bände sprechen, und die doch anfangs oft verschlossen sind. Die erstarrt, eingefroren sind. So erzählt sie etwa von einer jungen Frau aus Somalia, die Opfer einer Massenvergewaltigung wurde. Die Tochter, die sie bei sich hat, ist das Kind eines Täters. In monatelanger Annäherung, gelang es dem Team, das "Frozen Face", wie es Trauma-Psychologen nennen, wieder aufzutauen. Das Gesicht wieder zum Spiegel der Gefühle zu machen, so dass man darin lesen kann.

Lesen im Gesicht des Anderen will gelernt sein

Das lesen im Antlitz eines Anderen – es will allerdings auch gelernt sein. Gerade in ihrer Arbeit mit Flüchtlingen wird Leuzinger-Bohleber das immer wieder bewusst. Weil Vorurteile gegenüber dem Fremden sich auch am anderen Gesicht festmachen. So gibt es Schulungen für die Betreuer im Dorf, aber auch die Security. Vor allem auf den Augen liegt dabei der Fokus, denn hier lägen Wahrheit und Missverständnis nah beieinander. Gerade junge Männer deuteten Angst bei Anderen oft als Aggression – und reagierten mit Konfrontation. So ist das Lesen im Gesicht der Anderen die Basis für das Verständnis des Anderen. Und des Zusammenlebens.
Die Ausstellung "DAS GESICHT – Eine Spurensuche" läuft vom 19. August bis zum 25. Februar im Hygienemuseum in Dresden. Das Symposium zum "GESICHT DES//DER ANDEREN" findet am 4. und 5. Oktober statt.
Mehr zum Thema