Das Fett - ungesättigte Spekulationen

11.03.2006
Da unsere fernen Vorfahren keine Menüpläne hinterlassen haben, weiß auch niemand ganz genau, wie viel Fett sie damals wirklich verzehrt haben. Der Keulen schwingende Zeichentrickfilmmann Fred Feuerstein muss allerdings die Empfehlungen US-amerikanischer Fachgesellschaften voraus geahnt haben, denn er vertilgte pro Tag Fettanteil 30 Prozent mehrfach ungesättigte und 32 Prozent einfach ungesättigte Fettsäuren. Dieser vorauseilende Gehorsam hat ihm ein langes, protziges und mehrfaches Leben beschert – jedenfalls im Kino.
Viele Hasen sind des Jägers Tod

Der einseitige Verzehr von magerem Fleisch, wie ihn Eaton und Kollegen propagieren, ist lebensgefährlich, denn er führt zur so genannten Kaninchenauszehrung ("rabbit starvation”). Die Krankheit verdankt ihren Namen einem Phänomen, das viele Forschungsreisende am eigenen Leibe erfahren haben und nicht wenige mit dem Leben bezahlen mussten. Den Wechsel von normaler Kost zu einer Diät, die ausschließlich aus Kaninchenfleisch besteht, beschreibt der Anthropologe Marvin Harris so: "Man ißt in den ersten Tagen immer größere Portionen, bis man nach etwa einer Woche drei- oder viermal soviele Pfunde Fleisch verzehrt wie zu Anfang der Woche. Um diese Zeit treten dann auch sowohl Hungersymptome wie Anzeichen von Proteinvergiftung auf. Man ißt unzählige Male; jedes Mal fühlt man sich danach noch hungrig; ... Nach sieben bis zehn Tagen setzt Durchfall ein, von dem einen nur noch der Genuß von Fett befreien kann.”

Laut Nicolette Teufel von der University of Arizona belegen völkerkundliche Berichte aus dem 18. und 19. Jahrhundert, dass indianische Jäger eine Ernährung mit magerem Fleisch vermieden. "Bekannt ist, dass indianische wie auch nicht-indianische Jäger als Folge einer fettfreien Ernährung über Symptome wie Delirium, Durchfall, Schwäche und Tod berichteten.” Die genaue Ursache ist bis heute unbekannt. Angefangen vom "Vitaminmangel” und einer "Übersäuerung” bis hin zur Überfrachtung des Blutes mit Abbauprodukten des Eiweißstoffwechsels gibt es viele Theorien, aber kaum Beweise. Keine der Theorien erklärt, warum nur Fett heilend wirkt.

Es mangelt nicht an Berichten über hungernde Menschen, die im Frühjahr, wenn das Wild abgemagert war, dieses zwar erfolgreich jagten, aber aufgrund seiner Fettarmut nicht aßen. Dazu Hintze: "Wenn die Küsteneskimos in die Kaninchengründe nach Süden ziehen, nehmen sie stets Schläuche voll Robbentran mit sich. Mit dieser Beilage sind sie imstande, monatelang von Kaninchenfleisch zu leben ... Magerfleisch kommt auf die Dauer dem Verhungern gleich. Die kanadischen Indianer, denen kein Tier zur Verfügung steht, das so fett wie der Seehund ist, heben etwas Renntierfett von den Herbstjagden auf ... als Zugabe zum Kaninchenfleisch; sie haben also dieselbe Erfahrung gemacht.”

Dass die Kaninchenauszehrung keineswegs auf Nordamerika oder Kaninchen beschränkt war, bestätigte Hans Murschhauser 1927 im Fachblatt "Die Volksernährung" anhand eines Berichts über eine Expedition in das Landesinnere von Australien, "deren Teilnehmer über einen Überschuß von Fleisch durch Erlegen von Vögeln verfügten, aber trotz Aufnahme großer Quantitäten desselben unter Abmagerung zugrunde gegangen sind”. Demnach ist es egal, ob Kaninchen, Federvieh oder Steaks verzehrt werden: Zu viel mageres (!) Fleisch kann schon nach kurzer Zeit in eine tödliche Abmagerungskur münden. Und dennoch wurde diese lebensgefährliche Ernährungsform bereits als Diät empfohlen – von einem Arzt namens Maxwell Stillman.

Entnommen aus: EU.L.E.n-Spiegel 2005; Heft 5-6; www.das-eule.de