Das experimentelle Trio

Von Bettina v. Clausewitz · 10.07.2010
Nur wenige Meter neben der ältesten Kirche von Gelsenkirchen öffnen zwei weitere Gotteshäuser einladend ihre Türen: eine Moschee und eine Synagoge. Das ganze (temporäre) Ensemble soll den "Dialog der religiösen Erscheinungen" fördern.
"Rezitation jüdischer Autoren und Klezmermusik" steht an diesem Sonntagabend auf dem Programm der evangelischen Bleckkirche in Gelsenkirchen. Die Pforten des viel besuchten großen Zoos gegenüber sind längst geschlossen. Und so steht die fast 300 Jahre alte rote Backsteinkirche in sommerlicher Stille unter Platanen und blühenden Linden seit Ende März im Ensemble mit zwei weiteren Gotteshäusern auf dem weitläufigen Gelände: eine Synagoge links und eine Moschee rechts, beide so groß wie ein geräumiges Wohnzimmer aus Holz und Glas. Für die jüdische Künstlerin Heide Bertram eine inspirierende Umgebung, denn der Anlass für ihr heutiges Bühnenprogramm "Miriam kann nicht schlafen" hat durchaus aktuelle Züge:

Heide Bertram: "Die Aufhängergeschichte ist, dass meine Tochter in der Schule diffamiert worden ist, weil sie gesagt hat, dass sie zum Schulausflug nicht mitkommt, weil sie dann ihre Bar Mizwa-Feier hat. Das ist, finde ich, in unserer säkularisierten Gesellschaft ein Problem, dass man sich überhaupt zu irgendeiner Religion noch bekennt, egal zu welcher. Das geht den Christen und den Moslems eigentlich genauso, wenn sie sagen, dass sie ein religiöses Leben führen, dann werden sie ausgebuht."

... oder treffen zumindest auf Befremden. Auch wenn im multikulturellen Schmelztiegel Ruhrgebiet wie hier in Gelsenkirchen etwa 120 verschiedene Nationalitäten mit all ihren Religionen leben. Die drei Gotteshäuser mit Kulturangeboten wie Weltmusik, Ausstellungen oder Besuchen von Schulklassen verstehen sich als "Einladung zur Wanderschaft zwischen den Bekenntnissen"- ein experimentelles Trio aus Kirche, Synagoge und Moschee. Sie wollen Fremdheit überwinden - zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen, aber auch zwischen den Religionen, insbesondere den drei abrahamitischen. Wie Heide Bertram bringt jeder seinen eigenen Erfahrungshorizont mit:

"Darum ist es sehr schön, dass hier gerade diese drei Religionen versammelt sind, weil ich glaube, dass hier die drei in Deutschland das gleiche Problem haben."

Die Bleckkirche im "Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid" ist schon seit langem Kulturkirche. Hier entstand die Idee gemeinsam mit dem DITIB-Moscheeverein, der jüdischen Gemeinde vor Ort, der Stadt und dem Kirchenkreis, den so genannten "Dialog der religiösen Erscheinungen" zu inszenieren. Ein überzeugendes Projekt, fand die Ruhr.2010 GmbH, die es ins Kulturhauptstadt-Programm aufnahm. Im Verbund mit vier weiteren Citykirchen an der Ruhrgebietsautobahn A40 in Dortmund, Bochum, Essen und Mülheim. Gemeinsam sollen sie - zumindest für Eingeweihte erkennbar - über 60 Kilometer Entfernung eine "Stadtkirchenpassage A40" bilden. Für die Bleckkirche hat Kulturpfarrer Thomas Schoeps das Konzept entwickelt:

"Der Gedanke ist dabei natürlich, etwas zu verdichten, was es in den meisten Ruhrgebietsstädten sowieso schon gibt, nämlich Synagogen und Moscheen. Nur nicht halt an einem Standort. Und um den Menschen, die hier vorbeigehen, zu visualisieren, dass diese drei Religionen zusammengehören und das Stadtbild prägen – einer der Schwerpunkte der Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010 ist das Thema Stadtwerdung, Metropolwerdung der Ruhrregion. Dieses konzentriert darzustellen, das war die Grundidee."

Ein ambitioniertes Projekt. Aber sein "Erfolg" lässt sich nur schwer messen. Wie sollte man auch feststellen, was für Erfahrungen zum Beispiel eine Christin beim Besuch der acht mal acht Meter großen Moschee macht, die nach Mekka ausgerichtet ist, wenn sie ihre Schuhe auszieht und den Teppichboden betritt? Oder ein Moslem, der die asymmetrische Synagoge mit ihren zwölf sternförmigen Fenstern und der Ausrichtung nach Jerusalem besucht? Allah, Jahwe und Gott in sichtbarer Nachbarschaft, aber was nehmen die Menschen mit von ihren Besuchen? Pfarrer Thomas Schoeps zieht eine positive Bilanz der ersten Monate, ebenso wie der verantwortliche Architekt und Stadtplaner Ercan Agirbas.

Thomas Schoeps: "Eine kleine Episode: Ich habe mich auch schon sehr darüber gefreut, dass muslimische Besucher des Zoos am Freitag natürlich dann diese Moschee, die wir hier hingebaut haben, dann in der Tat auch als Gebetsraum für sich genutzt haben."

Ercan Agirbas: "Ganz schön ist es, dass immer die Kinder die sind, die dann ganz neugierig sind, und mit den Kindern im Schlepptau kommen dann die Eltern hinterher, lesen auch ein bisschen in diesen Räumen und versuchen herauszubekommen – was ist das? Und so kommt es, glaube ich, schon zum Dialog. Ich habe es einige Male verfolgt. Und wenn ich dann da bin und es sich anbietet, gehe ich auch auf diese Leute zu ..."

... das glaubt man dem türkischstämmigen Architekten Ercan Agirbas mit dem silbergrauen Haar ohne Weiteres. Er hat die Planung für die beiden Pavillons gemacht, Baumaterialien wie Holz und Glas zum Teil recycelt oder gebraucht von anderen Baustellen besorgt, und er hat - ebenso wie die Handwerker - einen Teil der Arbeit ehrenamtlich gemacht, um die Kosten niedrig zu halten; auch für das sieben Meter hohe Minarett an der Miniatur-Moschee. Schnell kommt Agirbas dort mit einer Gruppe Jugendlicher ins Gespräch:

Jugendlicher: "Das ist ’ne Moschee ne? – ist schon ne coole Idee, ist ungewöhnlich so, sieht man nicht oft, glaube ich, oder? Das Ding da oben ist eigentlich für die Schreier, ne, oder? Die heißen doch so, ne?"

Agirbas: "Genau, der heißt Muezzin, der fünfmal am Tag auf die Minarett steigt und von dort die Gemeinde zur Moschee holt. – Wie die Glocke? – Ja, wie die Kirchenglocken, ganz genau. – Cool."

Der Architekt Ercan Agirbas sieht die Pavillons als Katalysator. Sie sollen – im wahrsten Sinne des Wortes - die Schwellenangst nehmen und damit auch zu einem friedlichen Miteinander beitragen. Ein gutes Zeichen: Bisher hat es - trotz anfänglicher Befürchtungen - keinen Vandalismus gegeben.

Im Oktober werden Moschee und Synagoge demontiert und in Istanbul, ebenfalls Kulturhauptstadt Europas 2010, erneut als Trio aufgebaut, diesmal in der Nähe einer orthodoxen Kirche. Für Kulturpfarrer Thomas Schoeps ist klar, ohne die Kulturhauptstadt wäre das alles nicht zu realisieren gewesen:

"Ich wünsche mir, dass die Menschen, die das hier gesehen haben, nicht das Gegeneinander und die Schwierigkeiten, die im Miteinander und im Dialog entstehen, als Grundlage ihres Denkens über die Vielfältigkeit der Kultur in Gelsenkirchen und auch im Ruhrgebiet zur Grundlage machen, sondern sich einfach darüber freuen, dass wir so viele Möglichkeiten und Perspektiven auch im religiösen Bereich in unserer Region haben."

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