Das Ende eines Lebens in der Leere

01.10.2010
Tom Rachman, bisher Journalist, nun Schriftsteller, gilt als neuer Stern am literarischen Himmel. Der Londoner habe, so jubeln seine Verlage, in den Vereinigten Staaten "einen der höchsten Vorschüsse" bekommen, die in den letzten zehn Jahren für ein Debüt bezahlt worden seien.
Das muss wahrlich nicht für das Buch sprechen. Eher argwöhnt man Fastfood statt literarischer Delikatesse. Und beginnt nicht, ohne Skepsis zu lesen - und ist nicht ohne Verblüffung betört.

Denn schon in dem ersten von elf ineinander verwobenen Lebensbildern von Menschen, die eine Zeitung machen, verlegen, lesen, finanzieren, ist dem Autor ein berührendes Porträt eines kaltgestellten Auslandskorrespondenten gelungen. Verzweifelt versucht der, irgendwelche Geschichten loszuwerden. Seine 18 Jahre jüngere Frau hat auch noch ein Verhältnis mit dem Nachbarn, sodass er - elend und pleite - fast immer allein ist.

Feinnervig schildert Rachman das Ende des Erfolgs in Beruf und Erotik - das Ende eines Lebens in der Leere. Um dann, ohne jede Vorankündigung, in eine fantastische Kurve zu jagen, hinter der sich ganz neue, zarthelle Ausblicke auftun.
Die nie benannte englischsprachige Zeitung sitzt in Rom. Die Journalisten sind Amerikaner. Da fällt einem wohl nicht zufällig der "International Herald Tribune" ein, der in Paris produziert wird, und für den Rachman gearbeitet hat.

Wir lernen Reporter, Korrektoren, Redakteure bei der Arbeit und in ihrem Privatleben kennen. Der Nachrichtenchef etwa verliert seine schöne Geliebte an einen pummeligen Yogalehrer, der an alle Redakteure der Zeitung ein Foto von der nackten Freundin des Vorgesetzten mailt. Und siehe da, wie von Geisterhand gewirbelt, verändert sich die Stimmung in der Redaktion. Der Chef ist angeknackst, man grinst, motzt, gibt Widerworte.

Rachman kennt das Geschäft mit Meldungen und Storys, auch den Kitzel der Newsroom-Atmosphäre, Nachrichtenhunger, mürrische Hektik und aggressive Konkurrenz. Und er liebt die Rankünen, die schrägen Beziehungen, die erotischen Racheaktionen. Mit viel Phantasie und Lust schildert er sie, nicht immer ohne Klischees.

Aber immer wieder gelingen ihm auch leise Geschichten. Und so liefert er zweierlei: Lektüre für Verschlinger und für Genießer.

Parallel zu den Porträts wird die Geschichte der Zeitung erzählt. Ihr Aufstieg und Niedergang. Ein bisschen "Modern Times" (Internet macht die Printmedien kaputt), ein bisschen "Buddenbrooks". Der Zeitungsgründer sitzt jeden Tag in der Redaktion und kümmert sich. Sein dekadenter Enkel hatscht mit seinem Basset als einzigem Gesprächspartner durch Rom und lässt verkommen, was sein Großvater schuf.

Rachman kann fraglos gut schreiben. Und uns neugierig machen. Immer möchte man wissen, wie es weitergeht mit den Figuren - das ist wie Sahneeis essen am Sonntag, ein Vergnügen, das man sich leisten soll, das nicht aufhören soll. Und immer wieder gelingt es Rachman auch, uns zu überraschen. Wunderbar seine Dialoge. Als habe er beim Schreiben schon Hollywood zugezwinkert. Kein Wunder, dass Brad Pitt das Buch verfilmen möchte.

Besprochen von Gabriele von Arnim

Tom Rachman: Die Unperfekten
Aus dem Englischen von Pieke Biermann
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2010
397 Seiten, 14,90 Euro