Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die evangelischen Kirchen

Von Georg Gruber · 04.04.2005
Anlässlich des 60. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges diskutierten Kirchenhistoriker den Neuanfang der evangelischen Kirche nach 1945 zwischen Schuldbekenntnis und -verweigerung. Zu dem Kolloquium in Berlin hatte gemeinsam mit evangelischen Institutionen die Friedrich Ebert Stiftung eingeladen.
Unter Hitler war der Protestantismus gespalten, in die Gruppe der "Deutschen Christen", die Hitler unterstützten, und die Führungspositionen in der Mehrzahl der Landeskirchen innehatte. Daneben gab es die Bekennende Kirche, die sich gegen die Einflussnahme der Nationalsozialisten auf innerkirchliche Angelegenheiten wand, ohne politische Opposition zu sein.

Ein radikaler Bruch lasse sich nach 1945 nicht feststellen, so der evangelische Kirchenhistoriker Professor Martin Greschat:

" Die auffälligsten Veränderungen gab es 1945 im personellen Bereich, aber jetzt betraten keine wirklich neuen Persönlichkeiten die Bühne, sondern durchweg solche, die in der kirchlichen Opposition, innerhalb der Bekennenden Kirche, längst eine gewichtige Rolle gespielt hatten."

Leute wie Martin Niemöller wollten nach 1945 eine Kirche der Bekennenden, also der echten Gläubigen – auf der Gegenseite standen diejenigen, die eine Volkskirche anstrebten wie Otto Dibelius, der 1949 Ratsvorsitzender der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, wurde. Er wollte in der Zeit vor 1933 ansetzen, wollte eine Kirche, die auf möglichst breiter Basis stehen sollte. Ein Leitgedanke, der sich letztlich durchsetzte.

Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, wie die evangelische Kirche nach dem Krieg mit der Aufarbeitung der Vergangenheit umging: Sie sah sich als Anwalt des Volkes. Auf der einen Seite gab es bereits 1945 mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis das Eingeständnis eigener Fehler - ein Schritt, der in der Bevölkerung und in Kirchenkreisen überwiegend auf Ablehnung stieß.

Martin Greschat: " Gleichwohl hat es in allen Lagern Persönlichkeiten gegeben, die immer wieder auf diesen Text zurückgegriffen haben, die ihr ganzes Leben unter diesem Gesichtspunkt verstanden haben, bekannt ist ja, dass Gustav Heinemann gefragt wurde, was das Stuttgarter Schuldbekenntnis für ihn bedeutet, seine Brieftasche öffnete: "Hier ich trag's immer bei mir." Sie können auch einen Mann wie Richard von Weizsäcker nehmen, für den die Versöhnung mit Polen ebenfalls davon geleitet war. Es waren eben immer nur wenige, nicht die große Mehrheit, aber doch Meinungsmacher, die dieses Thema wach gehalten haben. "

Auf der anderen Seite kritisierte die evangelische Kirche vehement die von den Besatzungsmächten verfolgte Politik der Entnazifizierung. Bereitwillig wurden Persilscheine ausgestellt, mit denen sich Stützen des NS-Regimes und einfache Mitläufer gleichermaßen entlasten wollten. Der Historiker Professor Wolfgang Benz:

" Ein beträchtlicher Teil von Persilscheinen ist natürlich von Geistlichen beider Konfessionen ausgestellt worden, je höherrangig der Geistliche, desto wirksamer, glaubte derjenige, der den Persilschein erbat. Es gab unendlich viele, so viele, dass sie sich selbst entwertet haben."

Martin Greschat: " Man war überzeugt, dass der Trend bei den Siegermächten war: Nicht Gerechtigkeit, sondern Rache."

Die Kirchen waren von der Entnazifizierung ausgenommen, sollten sich selbst reinigen, so war es mit den Alliierten vereinbart. Doch eine wirkliche Reinigung fand nicht statt, alte Kämpfer wurden bestenfalls an eine andere Stelle versetzt.

Auch in der sowjetischen Zone fand eine tiefer gehende Aufarbeitung der NS-Zeit durch die evangelischen Kirchen in den ersten Nachkriegsjahren noch nicht statt. Der Kirchengeschichtler Jürgen Seidel:

" Der Staat hat Interesse daran gehabt, auch Pfarrer, die ehemals auf der deutsch-christlichen Seite standen, für seine Sache zu gewinnen. Er hatte sie damit in der Hand, er konnte sagen, ihr habt damals Hitler gewählt und jetzt erwarten wir von euch eine Zustimmung zu den sozialistischen Idealen und wenn ihr das nicht tut, kommt ihr in ein Straflager oder, was ganz schlimm war, die Angst vor den Straflagern in Karelien, der Sowjetunion damals."

Wiederaufbau und Neuorientierung – wie wenig der Gedanke der Schuld oder der Wiedergutmachung in den Nachkriegsjahren eine Rolle selbst im Rat der EKD gespielt hat, zeigt sich im Umgang mit den Überlebenden des Holocaust. Der Kirchenhistoriker Martin Greschat:

" Deutlich ist ja, was man 1945, '46, '47 auch im Rat der EKD sagt: Wollen wir Juden unterstützen? Die können sich selber helfen, die profitieren von allen, wir deutschen evangelischen Christen, wir sind wirklich arm dran, und die Katholiken und die Deutschen insgesamt, die Juden, dafür wollen wir keine Gelder ausgeben."

Hier zeigte sich ein Anti-Judaismus, den es schon vor 1933 im Protestantismus gegeben hatte. Noch in den 50er Jahren spielte er eine Rolle, als Bundeskanzler Adenauer 1952 mit Israel über Fragen der Wiedergutmachung verhandelte. Eine andere Strömung, der Anti-Katholizismus, wurde schneller überwunden: die Konservativen beider Religionen trafen sich in der neu gegründeten CDU/CSU.

Service:

Das Berliner Staat-Kirche-Kolloquium "Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die evangelischen Kirchen" - eine gemeinsame Veranstaltung des Berliner Instituts für vergleichende Staat-Kirche-Forschung, der Friedrich Ebert Stiftung Bonn und des Evangelischen Zentralarchives in Berlin - fand am 4. April 2005 in der Friedrich Ebert Stiftung Berlin statt.

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Institut für vergleichende Staat-Kirche-Forschung