Das Ende der Filmstreifen

25.02.2008
Der Einfluss digitaler Technologien hat alle Bereiche der gesellschaftlichen Produktion fest im Griff - auch das Kino. In den kommenden Jahren wird das Zeitalter der Filmstreifen und Lichtprojektoren zu Ende sein. Bringt das einen Mehrwert an schönen Bildern? Um diese und andere Fragen geht es in dem Buch "Zukunft Kino".
Spätestens seit den Dinosauriern aus Steven Spielbergs "Jurassic Park" war jedem Kind klar, was es von der digitalen Trickkiste des Hollywood-Kinos erwarten kann. Echt muss der Grusel ausschauen, so realistisch wie eine fotografische Momentaufnahme.

Inzwischen sind solche hyperrealistischen Effekte das teure tägliche Brot der Blockbuster-Industrie. Digitale Retuschen seiner Filmbilder nutzt bereits jeder Filmstudent und längst haben komplett simulierte Bildwelten und virtuelle Kino-Helden, aus Computerspielen ins Kino übersetzt, die Seherwartungen der jungen Kinogänger verändert.

Der Einfluss digitaler Technologien hat alle Bereiche der gesellschaftlichen Produktion und des Konsums fest im Griff, das gilt auch für die Kultur- und Freizeitinstitution Kino. In den kommenden Jahren wird das Zeitalter der Filmstreifen und Lichtprojektoren zu Ende sein, Filme werden als Datensätze zwischen Verleih und Kino zirkulieren. Bringt das einen Mehrwert an schönen Bildern, wenn Filme ohne Kratzspuren auf die Leinwand gebeamt werden? Oder handelt es sich um eine bloße Rationalisierungsmaßnahme mit Investitionen, die sich kleine Kinos nicht leisten können? Wird das Kino als öffentlicher Ort überleben, wo doch längst der Trend zum digitalen Heimkino eingesetzt hat? Und wie werden sich der Geschmack an Bildern und vor allem ihr Bonus an Glaubwürdigkeit verändern, wenn digitale Kameras und Bildbearbeitungsprogramme zur Grundausstattung für jedermann gehören?

Das Kino der digitalen Techniken in Produktion und Postproduktion ist lange schon Wirklichkeit, aber nur unter Experten wird heftig diskutiert, wohin die Reise führen wird. Längst macht die mächtige internationale Filmindustrie den größeren Profit mit der DVD-Auswertung ihrer Filme, das Internet-Abonnement zur privaten Filmausleihe ist der logische nächste Schritt. Werden wir in Zukunft mit Filmen beliefert, die man interaktiv verändern kann wie ein Computerspiel? Ist die versprochene digitale Revolution das Aus für die Kinos, vor allem für die kleinen Filme und die klassischen Erzählweisen? Und noch weiter gedacht: Wird eines Tages der Unterschied zwischen den Bildern vor unseren Augen und denen in unseren Köpfen verschwinden?

Die Berliner Medienwissenschaftlerin Daniela Kloock möchte die Diskussion um Film und digitale Medienzukunft anregen, weil sich darin grundsätzliche Fragen zu Ästhetik und Kultur, zu veränderten Wahrnehmungs- und Erlebnisformen spiegeln. Sie hat Technikexperten, Kultur- und Filmwissenschaftler, Filmemacher und Kameraleute um ihre Erfahrungsberichte und ihre Prognosen gebeten. Ein umfangreiches Lese- und Bilderbuch ist so entstanden, in dem die zukünftigen Entwicklungen mit anschaulichen Rückblicken in die Mediengeschichte verknüpft werden.

Man kann nachvollziehen, wie sich das Kino zu Beginn seiner Ära an älteren Medien, zum Beispiel dem Theater und der Fotografie orientiert hat und welch ein Reichtum an Schaulust durch die bewegten Bilder eröffnet wurde. Das Buch versucht auf ebenso anspruchsvolle wie anschauliche Weise das Neue im Alten und das Alte im Neuen zu suchen. So plädiert zum Beispiel der Regisseur und Experimentator Peter Greenaway für eine Befreiung des Kinos vom Ballast der alten Spielfilmformen, Nachwuchsregisseur Christoph Hochhäusler warnt vor dem Tod der Bilder durch pures Design und Kameramann, Filmprofessor und Regisseur Edgar Reitz erklärt den Künstlerstatus und das perfekte Werk für tot. Das Buch ist eine Standortbestimmung aus vielen kontroversen Stimmen, auch eine faszinierende Hommage an die Magie filmischer Bilder und ein Ausblick auf die Zukunft ohne kulturpessimistische Klage.

Rezensiert von Claudia Lenssen

Zukunft Kino - The End of the Reel World, herausgegeben von Daniela Kloock,
Schüren Verlag Marburg 2008,
350 Seiten, 29,90 Euro