"Das Ende der Fahnenstange"

Achim Wohlgethan im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 11.04.2011
Achim Wohlgethan, langjähriger Bundeswehrsoldat und Sicherheitsberater, stellt der Bundeswehr ein miserables Zeugnis aus. Er bemängelt die schlechte Ausrüstung und die lückenhafte Ausbildung junger Soldaten. Ein militärsich adäquater Einsatz der Bundeswehr sei so kaum möglich.
Jan-Christoph Kitzler: Karl-Theodor zu Guttenberg hat bei der Reform der Bundeswehr ordentlich aufs Gas gedrückt, bevor er dann selber ausgebremst wurde von der Plagiatsaffäre. Und jetzt, wo der Glanz des Freiherrn verblasst ist, lassen auch viele kein gutes Haar mehr an seiner Bundeswehrreform. Eine Baustelle ohne Fundament und Finanzierung sei das, sagt zum Beispiel die SPD, und aus der Regierungskoalition gibt es immer mehr Kritik. Klar scheint bisher nur: Die Armee soll schrumpfen von jetzt 240.000 auf maximal 185.000 Soldaten, auch bei den zivilen Angestellten sollen 10.000 bis 15.000 Stellen wegfallen und über acht Milliarden Euro eingespart werden bis 2014.

Soweit die nackten Zahlen, aber die Probleme der Bundeswehr, sie sind noch viel grundsätzlicher. Das zumindest sagt Achim Wohlgethan, Autor, Sicherheitsberater und selbst langjähriger Bundeswehrsoldat. Heute erscheint sein "Schwarzbuch Bundeswehr", in dem er sich mit den wichtigen Baustellen bei der Truppe auseinandersetzt. Schönen guten Morgen!

Achim Wohlgethan: Schönen guten Morgen!

Jan-Christoph Kitzler: Ich versuche es mal auf den Punkt zu bringen: Die Bundeswehr ist inzwischen eine internationale Eingreiftruppe geworden mit über 7000 Soldaten im Ausland, aber organisiert ist sie immer noch wie eine Verteidigungsarmee zu Zeiten des Kalten Krieges. Stimmt das?

Wohlgethan: Das stimmt vollkommen, allein die Zahl 7000 Soldaten sagt einiges, weil von diesen im Moment noch circa 240.000, 250.000 Soldaten sind ja gerade mal nur 7000 einsatzbereit, und das beklagen auch unsere Bündnispartner. Und das kann ja nicht sein. Und demzufolge sind die Soldaten natürlich immer wieder unterwegs, also es gibt mittlerweile Soldaten, die sind zum zehnten Mal nach Afghanistan. Zivilleben beziehungsweise Freizeit mit der Familie funktioniert für die dann so gut wie gar nicht mehr.

Jan-Christoph Kitzler: Bedingt einsatzbereit, das war ja ein legendärer "Spiegel"-Titel aus dem Jahr 1962. Ist der heute wieder aktuell?

Wohlgethan: Damals hieß es ja bedingt verteidigungsbereit, also bedingt einsatzbereit … also ich würde sogar fast sagen kaum einsatzbereit, da wir ja nach wie vor hinterherhängen, ob es das Material angeht, ob es das Personal angeht. Die neue Struktur ist meiner Meinung nach, die der ehemalige Minister auf den Weg gebracht hat, eine gute Anlage. Man sollte sie verfolgen. Aber Fakt ist, man muss auf jeden Fall die Armee verkleinern. Am Anfang wird es ein bisschen teurer, aber man wird letztendlich einsparen und wird irgendwann mal vernünftige, gut ausgebildete Soldaten bekommen. Weil auch wie im Zivilleben dauert so eine Ausbildung circa drei Jahre.

Jan-Christoph Kitzler: Können Sie das mal konkret beschreiben, bedingt einsatzbereit? Woran machen Sie das fest, vor allem an der schlechten Ausrüstung, an der falschen Ausrüstung?

Wohlgethan: Wir haben ja auf jeden Fall ein Ausrüstungsproblem, das ist ja nach wie vor bekannt. Bloß es ist ja mittlerweile so, dass dadurch auch nachweislich Soldaten gestorben sind. Wir haben keine Möglichkeiten, Luftraum, Lufttransport von Deutschland ins Einsatzland mit eigenen Mitteln, wir müssen Maschinen anmieten, wir haben vor Ort keine Möglichkeiten, unsere Soldaten aus Gefechten herauszuholen und aus der Luft in Gefechten zu schützen. Das machen auch andere Nationen. Und wir haben auch das Problem sanitätsärztliche Versorgung. Wir haben zu wenig Ärzte, die Ärzte, die da sind, danken ab, weil sie einfach zu wenig Geld bekommen und zu hohe Belastung haben. Die Soldaten selbst, die Generation wird immer jünger. Es ist nun mal so, dass man in gewissen Aufgaben nur erfahrene Soldaten einsetzen sollte, und da ist es so beim Personal als auch beim Material extrem, ich sag’ mal, fragwürdig im Moment.

Jan-Christoph Kitzler: Die meisten, die darunter leiden, sind die Soldaten. Würden Sie so weit gehen und sagen, die werden bei den jetzigen Organisationsstrukturen, bei der jetzigen Ausrüstung verheizt?

Wohlgethan: Auf jeden Fall, das sagen die Soldaten auch selber. Ich habe in meinem Buch, ich habe ein Jahr recherchiert, ich habe circa 2500 E-Mails herangezogen, die ich bekommen habe nach meinen ersten Büchern, und die sagen selber, die fühlen sich verheizt. Es sind so Fälle aufgetreten, dass Soldaten ihren Einsatz kurz vorher verweigert haben, weil sie sich selbst schlecht ausgebildet fühlen. Das geht so weit, dass die Waffenausbildung teilweise gar nicht mehr durchgeführt wird. Und wenn ein Soldat schon beim Wehrbeauftragten quasi bettelt, dass er eine Waffenausbildung bekommen soll – ich denke, dann hat man schon das Ende der Fahnenstange erreicht.

Jan-Christoph Kitzler: Jetzt fragt sich natürlich auch, wie die Bundeswehr so attraktiv sein soll für den Nachwuchs. Bisher ist der Andrang, sich freiwillig zum Dienst zu melden nach der Aussetzung der Wehrpflicht, nicht besonders groß. Ist das ein Problem?

Wohlgethan: Das ist auf jeden Fall ein Problem, man wird ein Nachwuchsproblem kriegen einerseits. Man wird aber auch dann, wie es in anderen Nationen schon ist, leider Gottes darüber nachdenken müssen, dass man kein Auffangbecken wird für ich sag mal Leute, die sonst nicht wirklich was bekommen würden im Zivilleben. Als Beispiel kann man sagen, in der US-Armee sind circa 45 Prozent Analphabeten. So weit wird es in Deutschland natürlich nicht kommen wegen dem Schulsystem, aber der Nachwuchs wird auf jeden Fall ausbleiben. Man muss da Attraktivität schaffen. Aber das Wichtigste, man muss einfach ehrlich sein über das, was einen erwarten kann, und die Bundeswehr wird immer mehr dazu übergehen, dass sie sich auch in Kriegseinsätzen befindet, und das ist halt nun mal kein Spiel mehr.

Jan-Christoph Kitzler: Jetzt soll die Armee schrumpfen und billiger werden. Kann dabei eine gute Reform herauskommen?

Wohlgethan: Sie muss schrumpfen und sie muss billiger werden irgendwann, weil es werden nachweislich zu viele Gelder verschwendet. Also der Bundesrechnungshof - jedes Jahr werden 25 Milliarden an Steuergeldern verschwendet, davon ein Großteil bei der Bundeswehr. Das hat aber damit zu tun, dass es ganz klar an Altverträgen, Altrüstungsverträgen hängt, die einfach nicht mehr abgegeben werden können. Und demzufolge ist man natürlich finanziell bei manchen Rüstungsindustrien, ich sag’ mal, in Zugzwang geraten. Aber letzten Endes muss sie kleiner werden, weil dann wird sie professioneller, und sie muss vor allen Dingen auch irgendwo günstiger werden. Das kann ich nur machen, wenn ich gewisse Dinge abschaffe. Die Teilstreitkräfte müssen schrumpfen, unnütze Einheiten müssen abgeschafft werden, das ist nun mal so, es muss auch ganz klar die Professionalität der Ausbildung vorangetrieben werden. Und wenn Sie jetzt einen Soldaten haben, der nur vier Jahre verpflichtet ist, der baut noch Resturlaub ab, der hat gar keine Möglichkeit, das Gelernte umzusetzen. Man muss einfach wegkommen von diesen kleinen Verpflichtungszeiten, ich sag’ mal zwei oder vier Jahre, man muss Soldaten mindestens acht Jahre verpflichten, damit sie nach ihrer Ausbildung zur Verfügung stehen. Und man muss auch darüber nachdenken, dass man ehemalige Soldaten, erfahrene Soldaten und aktive mischt, und die müssen solche effektiven Arbeitsgruppen bilden, wie es immer wieder gefordert wird, und halt auch ganz klar die Mängel aufweisen können, ohne dadurch Karrieremängel zu erleiden. Das können sie nur mit externen Beratern, weil die sind nicht in der Karrierekette der Bundeswehr gebunden. Und demzufolge wird es da auch einfach laufen, um dann realistische Berichte dem Verteidigungsminister oder anderen Stellen auf den Tisch zu legen.

Jan-Christoph Kitzler: Sind Sie denn optimistisch, dass das gelingt?

Wohlgethan: Nein, auf gar keinen Fall, das bin ich nicht. Wir hoffen natürlich, in einigen Bereichen kann man sehen, dass natürlich ein bisschen was nachgeschleust wird, aber das ist meistens nur direkt im Einsatz. Wir reden ja jetzt hier nicht nur von den Teilen, die im Einsatz sind von 7000, vielleicht irgendwann mal 10.000, 15.000 Mann, die einsatzfähig sind, wir reden hier von einer ganzen Armee von eventuell irgendwann mal 160.000 bis 185.000 Soldaten. Und die müssen komplett überarbeitet werden durch die Bank, und das wird in absehbarer Zeit nicht der Fall sein, weil für alles, was die machen, brauchen sie eine einzige Sache, und das ist Geld. Und das wird bei der Bundeswehr immer wieder eingespart und die Bundeswehr ist irgendwie die letzte Institution in der Bundesrepublik Deutschland, die irgendwann mal entsprechendes Geld bekommt. Natürlich muss der neue Minister alle Dinge noch mal neu überarbeiten, die der alte Minister angeschoben hat, aber letzten Endes geht es darum, dass unsere Soldaten schnellstmöglich Hilfe bekommen, wo auch immer sie dienen, weil genau in diesem Augenblick, wo wir das Interview führen, sind sie gerade irgendwo auf der Welt und machen einen hervorragenden Job. Und demzufolge müssen die das Material auch dafür bekommen.

Jan-Christoph Kitzler: Das war Achim Wohlgethan, langjähriger Bundeswehrsoldat, Sicherheitsberater und Autor. Heute erscheint sein "Schwarzbuch Bundeswehr" im C.Bertelsmann-Verlag. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Wohlgethan: Gerne!


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