Das durchkommerzialisierte Kinderzimmer

Rezensent Georg Gruber · 09.05.2006
Eltern kennen das: Der Gang durch Supermarktregale kann sehr anstrengend sein - wenn man den eigenen Nachwuchs dabei hat. Nur wer gute Nerven hat, kommt raus, ohne etwas gekauft zu haben. Das x-te Überraschungsei oder rosarote Kaugummis. Und das sind noch die leicht erfüllbaren Wünsche. "Konsumkids. Wie Marken unseren Kindern den Kopf verdrehen" heißt ein zu diesem Thema passendes Sachbuch, das gerade erschienen ist.
Kinder sind im Visier der Industrie: Während das Realeinkommen der Familien in Deutschland seit Jahren sinkt, wird für die lieben Kleinen weiterhin viel Geld ausgegeben. In Deutschland verfügen die Sechs- bis Dreizehnjährigen über eine Finanzkraft von sechs Milliarden Euro, jährlich.

Ein interessanter Markt also, einer der sich in viele verschiedene Bereiche aufsplitten lässt, von Lernsoftware für den Nachwuchs von PISA-verunsicherten Eltern über Star-Wars-Figuren für kindliche Sammler bis zum Fruchtzwerg und zur Milchschnitte für vermeintlich ernährungsbewusste Feinschmecker. Alles Produkte, die eigentlich kein Kind wirklich braucht, die aber trotzdem mit großem Werbeaufwand unters Volk gebracht werden. Und das ist gar nicht gut, sagen Marita Vollborn und Vlad Georgescu, zwei Wissenschaftsjournalisten, die 2005 bereits die "Gesundheitsmafia" durchleuchteten. Die beiden sind selbst Eltern, sie kennen sich aus im Kinderzimmer und wurden, wie sie schreiben, durch ihre Kinder sensibilisiert für den massiven Konsumdruck, für die Macht der Medien, der Werbung und der Gruppe.

In ihrem Buch "Konsumkids" haben sie alles aufgeschrieben, was man zu diesem Thema eigentlich sowieso schon weiß oder wissen könnte: Das moderne Kind ertrinkt in Spielzeug, während die Phantasie verarmt, weil der "Sprössling" gar nicht mehr weiß, wie man wirklich spielt. Zu viele Kinder werden vor den Fernseher abgeschoben, weil die Eltern sich nicht mit ihnen beschäftigen wollen oder können – zum Vorlesen fehlt den meisten der Nerv.

Die Folge: eine zunehmende sprachliche Verarmung. Überall lauert Werbung, die Dinge vorgaukelt, die gar nicht stimmen, und mit dem Internet wird alles noch gefährlicher. Kinder, die keine Markenkleidung tragen, haben es schwer im Leben, werden ausgegrenzt. All diese Thesen kennt man, aufgeschrieben wurden sie auch schon oft und die meisten stimmen wohl auch. Wer Neues oder wirklich Hintergründiges erwartet, wird enttäuscht. Die beiden Autoren bleiben weitgehend bei der Aufbereitung des Bekannten, malen so ein kleines Horrorszenario von der bedrohten Kindheit, die vollkommen durchkommerzialisiert ist.

"Neuromarketing: Angriff aufs Kinderhirn" lautet eine besonders bedrohliche Kapitelüberschrift im Buch. "Wer das Gehirn formt, gewinnt", schreiben die beiden Autoren. Sie erklären, wie sich das kindliche Gehirn schrittweise entwickelt und warnen davor, dass Firmen versuchen, möglichst früh präsent zu sein, um prägend zu wirken. "Der massive Werbeeinfluss macht für ein Kind zunichte, was verantwortungsvolle Eltern, Bezugspersonen, Erzieher oder Lehrer zu formen versuchen". Umwelteinflüsse formen das Gehirn, so die These, wenn die Welt voller Werbung und Konsum ist, wird auch das kindliche Gehirn sich neuronal so verschalten. Wie "Neuromarketing" bei Kindern aber letztlich funktionieren soll, wird jedoch nicht vollständig klar, auch wenn Hirnforschung zurzeit zweifellos en vogue ist. Dass die kindlichen Kaufwünsche von Werbung beeinflusst werden, kann wohl jeder Vater und jede Mutter am eigenen Nachwuchs erleben. Doch die Schlussfolgerung der Autoren geht dann trotzdem etwas weit: "All das entscheidet über den Werdegang eines Kindes, definiert, was aus ihm wird und wie es sein Gehirn benutzt." Kinder als willenlose Konsumzombies.

Nie zuvor wurden Kinder so gezielt und aggressiv zum Konsum gedrängt, sagen die Autoren. Kinder wachsen in diese Welt hinein und kommen damit unterschiedlich gut zurecht, verantwortungsvolle Erziehung heißt für die Eltern, sich damit auseinanderzusetzen, seinen Nachwuchs nicht allein zu lassen mit den bunten Werbebotschaften und Glücksverheißungen. Eine Mahnung, die nicht neu ist. Über die Wirkung von Werbung und den richtigen Umgang mit ihr wird seit Jahrzehnten diskutiert – bezeichnenderweise zitieren die Autoren in diesem Zusammenhang auch eine Studie aus dem Jahr 1978. Im Klappentext des Buches heißt es vollmundig, dass die Autoren zeigen, "wie man auch ohne radikalen Konsumentzug die Strategien der Werbe- und Verkaufsgiganten durchkreuzen kann." Keine schlechte Werbung in Zeiten, in denen immer mehr Eltern verzweifelt versuchen, alles richtig zu machen und so vielleicht auch zum Kauf dieses Buches gedrängt werden. Die Tipps der Autoren finden sich allerdings in jedem Erziehungsratgeber: Zuwendung, Bewegung, kontrollierter Medienkonsum, Grenzen setzen, Eigenverantwortlichkeit stärken, nicht mit Geschenken überhäufen, Wünsche nicht unverzüglich erfüllen. Und: die Eltern sollten ein positives Beispiel für die Konsumeinstellung der Kinder sein.

Marita Vollborn/Vlad Georgescu: Konsumkids. Wie Marken unseren Kindern den Kopf verdrehen
S. Fischer, Taschenbuch
192 Seiten, 13,90 Euro