Das Dilemma der Grünen

Von Corinna Emundts · 26.09.2007
Der letzte große öffentliche Streit der Grünen in Göttingen war nur vordergründig eine Auseinandersetzung um sechs Tornadoflugzeuge im Afghanistan-Einsatz. Was vor allem deutlich wurde: Hier wehrte sich zum zweiten Mal das grüne Fußvolk gegen eine ihnen entrückte Führungsriege. Ein Marsch gegen das Establishment.
Bereits vergangenes Jahr gab es einen ähnlich vordergründigen Anlass, die Parteivorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer bei einer Delegiertenkonferenz abzustrafen: Indem man sich gegen ein neues Design beim Partei-Logo erfolgreich wehrte. Eine Lappalie - von außen nicht zu verstehen.

Die beiden Parteivorsitzenden und mit ihnen die Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Fritz Kuhn, sowie der ehemalige Umweltminister Jürgen Trittin scheinen den Delegierten mehr und mehr suspekt, weil von der Macht des Regierens korrumpiert.

Tatsächlich tummeln sich die fünf Politiker im Regierungsviertel wie Fische im Wasser. Sie sind keine Außenseiter, sondern auch in der Opposition Teil der gefragten Politikerkaste. Sie spielen ihren Part nicht mit Radikalopposition wie die Linksfraktion. Und beherrschen die Spielregeln der Mediendemokratie. Ist Claudia Roth aus den Talkshows wegzudenken?

Wie etabliert die Grünen im Parteiensystem inzwischen sind, zeigt sich gerade in ihrer ersten Oppositionsphase nach der ersten Bundesregierung mit grüner Beteiligung. Sie lehnen nun die aktuelle Regierungspolitik nicht grundsätzlich ab, ihnen ist immer noch die lebendige Erinnerung an Regierungsverantwortung anzumerken. Sei es bei der Fortführung der Agenda 2010 oder eben beim Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, den ihre Partei mitbegründet hatte. Nicht nur äußerlich ist Reinhard Bütikofer mit seiner Vorliebe für dunkle Anzüge und Außenpolitik der Experten- und Journalistenkaste näher als der grünen Basis.

Die Exminister Künast und Trittin haben in der rot-grünen Regierungszeit vieles durchsetzen können, obwohl sie zum kleineren und schwächeren Koalitionspartner gehörten. Diese Lust an der Gestaltung haben sie merklich nicht an der Garderobe abgegeben, als die Große Koalition das Regieren übernahm.

Damit einher geht ein eher pragmatischer Politikansatz, der Schwarz-Grün schon lange denkbar werden lässt. Eine Haltung, die sie mit einzelnen Politikern anderer Parteien teilen - Angela Merkel beispielsweise. Genau dieser Pragmatismus, die prägende Sozialisierung des Regierungsviertels machen die Spitzengrünen der eigenen Basis ganz offenbar suspekt.

Zu deutlich war bei der Sonderdelegiertenkonferenz in Göttingen, dass alle prominenten Mitglieder des grünen Establishments bei ihren Reden für den Tornado-Einsatz von vorneherein ausgebuht wurden - auch Krista Sager, Ralf Fücks und Daniel Cohn-Bendit. Es ging nicht um das Anhören von Argumenten und nicht um den inhaltlichen Streit. Es ist viel kommentiert worden, dass die Basis die Spitze für ihr Führungsversagen bestrafen wollte.

Doch in Göttingen zeigte sich, dass es einen generellen Abkehrwunsch von dem pragmatischen Politikansatz hin zum Blümchen-Pazifismus gibt, den man sich in der Opposition leisten zu können meint.

Fraglich, ob sich die Partei damit einen Gefallen getan hat. Wenn die Haltung, gegen das eigene Establishment zu sein, zum reinen Reflex wird, dann ist sie nicht mehr als ein sinnentleertes Ritual. Wenn sie eigene Lernprozesse ignoriert, um zu den vermeintlich gemütlichen ideologischen Wurzeln zurückzukehren, droht ein Realitätsverlust, der sie um die nächste Wahl bringen kann. Zu Ende gedacht wäre das reaktionär und nicht progressiv.

Die Grünen hatten mit intelligenter und undogmatischer Politik Chancen beim engagierten Bürgertum, bei Leistungsindividualisten und kritischen Eliten. Das von Joschka Fischer begonnene argumentative Ringen um eine neue außenpolitische Rolle der Bundeswehr hat genau diese Gruppen für die Grünen geöffnet.

Gleichzeitig hat sich ganz offenkundig die Basis von den Regierungsgrünen entfremdet. Viel mehr noch, als herauszufinden, wer der nächste Spitzenkandidat wird, scheint das die Aufgabe der Grünen im Berliner Raumschiff zu sein: Diese Entfremdung aufzuhalten und eine Strategie zu entwickeln, wie sie den kategorischen Imperativ des realpolitischen Handelns erfolgreicher bis zu ihren Gelsenkirchener Revoluzzern kommunizieren können. Das wiederum setzt auf der anderen Seite voraus, dass ein Establishment nicht per se abgelehnt, sondern immer wieder aufs Neue einer Tauglichkeitsprüfung unterzogen wird.

Corinna Emundts ist politische Journalistin in Berlin, geb. 1970, schreibt unter anderem für die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" und "Zeit online" aus Berlin. Die Politikjournalistin (Theodor-Wolff-Preisträgerin 1995) hat auch für die "Süddeutsche Zeitung", die "Frankfurter Rundschau", "Die Woche" und andere Blätter gearbeitet.