Das Diesel-Urteil und mögliche Folgen

Und am Ende gewinnt doch die Autoindustrie

Stuttgart
Volle Straßen in Stuttgart am 27. Februar 2018. © imago/Arnulf Hettrich
Von Nadine Linder · 03.03.2018
Es klingt absurd – dennoch könnte es genau so passieren. In Deutschland drohen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, und am Ende könnte die Autoindustrie, nicht als moralischer, aber als wirtschaftlicher Gewinner dastehen, meint Nadine Lindner.
Eigentlich sollte man annehmen, dass die Industrie nun in einer äußerst schwierigen Lage steckt, wenn demnächst in mehreren deutschen Städten Straßen für Diesel-PKW gesperrt werden. Doch wenn man den zweiten Gedanken zulässt. Und wenn man das Verhalten der Autoindustrie in den vergangenen zweieinhalb Jahren mit einbezieht, dann ergibt sich ein ganz anderes Bild: Die Auto-Hersteller könnten in der Krisen-Situation Geld, sehr viel Geld verdienen.

Handwerker und Privatleute werden in die Röhre gucken

Die Mechanik funktioniert so: Ältere Dieselfahrzeuge, also Schadstoffklassen Euro 5 und niedriger sind seit Dienstag eher eine Last denn Lust für ihre Besitzer. Die Wiederverkaufswerte sinken spürbar und bislang trägt dafür allein der Autobesitzer das Risiko und später wohl auch den finanziellen Schaden. Trotz aller Klageversuche, diese Risikoverteilung wird sich so schnell nicht ändern.
Handwerker, Privatleute werden in die Röhre gucken. Wer es sich finanziell leisten kann, wird sich schneller für einen Neuwagen, vielleicht sogar für einen modernen Diesel entscheiden. Denn ein moderner Diesel der Schadstoffklasse 6d, der jetzt wirklich und in echt und fest versprochen, die Grenzwerte einhält, ist absehbar nicht von den Fahr-Verboten betroffen. Zusätzlich können die Käufer der neuen Selbstzünder über das Diesel-Privileg weiterhin von preiswertem Diesel-Kraftstoff für PKW profitieren. Das sind immerhin fast acht Milliarden Euro pro Jahr, die sich der deutsche Staat das laut Umweltbundesamt kosten lässt. Aber das nur am Rande.

"Beschleunigte Flottenerneuerung" – ein Taschenspielertrick

Zurück zu den Auto-Konzernen und der Möglichkeit, in der Krise viel Geld zu verdienen. Neue Autos, neue Diesel-Autos zu verkaufen, das ist erklärte Ziel der deutschen Auto-Hersteller. Der VDA, der Spitzenverband der deutschen Automobil-Industrie gibt das auch ganz offen zu. Der Verband verkleidet das Gewinnstreben halt in anderen Worten und nennt es "beschleunigte Flottenerneuerung". Am Tag des Leipziger Urteils verschickte der Verband eine Pressemitteilung, in der er darauf hinwies, dass über die Flottenerneuerung die Fragen der Luftqualität Zitat "ohnehin gelöst" werden. So viel Chuzpe muss man erst mal haben. Für Volkswagen scheint das zu funktionieren. Vor wenigen Tagen meldeten die Wolfsburger einen Absatz, Umsatz und Gewinnrekord.
Aber Geld können die Konzerne nicht nur mit mehr neuen verkauften PKW verdienen. Der andere Trick wird über die technischen Nachrüstungen laufen, mit denen schmutzige in saubere Diesel umgewandelt werden können, in dem ein zusätzlicher Katalysator eingebaut wird. Pro Auto schlägt das mit 1500 bis 3000 Euro und einem halben Tag in der Werkstatt zu Buche. Und wer bezahlt? Trotz aller Appelle von Politikern, Verbraucherschützer oder der Autofahrerlobby ADAC machen die Autohersteller bislang keine Anstalten, die Kosten dafür zu übernehmen. Ihre Argumente: die Entwicklung dauere zu lange, danach sei die Gewährleistung unklar. Auf Deutsch: Das ist uns zu viel Arbeit, zu teuer, wir haben keine Lust.

Milliardengeschäft durch Nachrüstmodule

Ein zusätzliches Problem ist, dass es nach Lage der Dinge auch keine juristischen Möglichkeiten gibt, die Autohersteller dazu zu zwingen. Denn weil die Autos die Werte bei der Zulassung im Labor erfüllt haben, sind sie legal auf den Straßen unterwegs. Der Staat hat sich hier selbst ein Bein gestellt. Wenn die Autohersteller nicht bezahlen, bleiben nur noch zwei andere übrig: die Autobesitzer und der Steuerzahler. Schon jetzt deutet sich an, dass auch Bundesmittel zur Förderung der Nachrüstung eingesetzt werden könnten.
Um den Diesel-Fahrer-Volkszorn nicht noch weiter anzuheizen. Es ist gut möglich, dass an dem Tag, an dem die steuerliche Förderung der Nachrüstungen beschlossen wurde, wie von Zauberhand Pläne und fertige Bauteile dafür bei den Autobauern auftauchen werden. Dann können sie am Verkauf der Nachrüstmodule verdienen und zusätzlich ihre Vertragswerkstätten auf Monate auslasten. Ein Milliardengeschäft. Es geht schließlich um drei Millionen Autos oder mehr, die mit der Diesel-Abgasnorm 5 auf den Straßen unterwegs sind und nachgerüstet werden müssen. Tadaaa!

Geldtransfers Richtung Autohersteller

Wer nun aus moralischen Gründen überlegt auf einen ausländischen Autohersteller auszuweichen, das ist keine allzu gute Idee. Denn da sieht es leider auch nicht besser aus. Die weigerten sich standhaft – und erfolgreich – in den Fonds für saubere Luft auch nur einen Cent einzubezahlen, von Nachrüstungen ganz zu schweigen.
Und wenn Sie sich jetzt verwundert die Augen reiben über diese erstaunlichen Geldtransfers Richtung Autohersteller. Das ist keine schwarze Magie. Das ist möglich, wenn man über die Jahre politisches Lobbying perfektioniert hat. Und sich ansonsten nicht allzu zu sehr mit lästigen Moralvorstellungen von Schuld und Verantwortung belastet.
Mit schönem Gruß an die deutschen Steuerzahler, ihre Autohersteller.
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