Daniel Heller-Roazen: "Dunkle Zungen"

Über die Geheimnisse der Sprache

Cover des Buchs "Dunkle Zungen. Geheimsprachen: Die Kunst der Gauner und Rätselfreunde" von Daniel Heller-Roazen auf einem Bild mit Federkiel, beschriebenem Papier und Kerze
Cover des Buchs "Dunkle Zungen" von Daniel Heller-Roazen auf einem Bild mit Federkiel, beschriebenem Papier und Kerze © imago/Mito/S. Fischer Verlag
Von Michael Opitz · 31.05.2018
In "Dunkle Zungen" gibt der Literaturwissenschaftler Daniel Heller-Roazen aufschlussreiche Einblicke in sprachliche Phänomene der frühen Neuzeit: etwa den Geheimjargon burgundischer Banditen. Allerdings versteckt er sich selbst hinter wissenschaftlichem Jargon.
In Dijon kam es 1455 zu einem Prozess gegen eine Verbrecherbande, die wegen verschiedener Gewaltdelikte angeklagt wurde. In den Gerichtsakten ist nachzulesen, dass die burgundischen Banditen bei ihren Raubüberfällen äußerst einfallsreich vorgingen. Denn bevor sie sich widerrechtlich fremdes Eigentum aneigneten, griffen sie zunächst nach der Sprache. "Sie hatten die Umgangssprache ihrer Zeit", so beschreibt es der amerikanische Komparatist Heller-Roazen in seinem neuen Buch "Dunkle Zungen", "in einen Jargon verwandelt, 'eine exquisite Sprache', wie die städtischen Behörden berichten, die andere Leute nicht verstehen können."
Diese von Gaunern gesprochene Sprache, das sogenannte Rotwelsch, ist eine Geheimsprache, der sich Heller Roazen im zweiten seines insgesamt elf Kapitel umfassenden Buches zuwendet. Ganz bewusst entwickelten die Banditen zur Tarnung ihrer Verbrechen, Tricks und Betrügereien ganz eigene Wörter, die nur sie verstanden, und die es Spitzeln unmöglich machten, herauszufinden, was die Verbrecher vorhatten. Als eine "Gegensprache" bezeichnet Heller Roazen die Sprache der Gauner. Sie wollten nicht verstanden werden und grenzten sich ganz bewusst durch die von ihnen gesprochene Sprache aus der Gesellschaft aus.

Trobadore verwendeten "Verstecknamen"

Nicht ganz nachzuvollziehen ist im Buch der unvermittelte Übergang von der Sprache der Gauner zur Sprache der Trobadore. Diese Sänger der frühen Neuzeit, die in ihren Liedern hingebungsvoll von ihnen angebetete Damen anriefen, verzichteten darauf, "körperliche, soziale, historischer oder biographische Daten" mitzuteilen. Sie verschwiegen auch die Namen der von ihnen verehrten Frauen und verwendeten stattdessen sogenannte "Verstecknamen". Doch anders als das hermetische Rotwelsch der Gauner war die Verwendung von Pseudonymen in den Liedern der Trobadore eine ganz bewusst angewandte Form der Umschreibung. Man verschwieg zwar den eigentlichen Namen der Auserwählten, doch sollte nicht wirklich geheim bleiben, wer da besungen wurde.
Diese methodische Unschärfe setzt sich mit dem Kapitel über die Sprachrätsel fort. Die metaphorische Umschreibung in der Sprache, besonders in der Dichtung – Heller-Roazen bezieht sich auf das Altnordische und speziell auf die Benennungskunst der Kenningar, die vom Hering als dem "schmalen Pfeil der Meere" sprechen – spielt mit den Möglichkeiten der Sprache und vertraut den Adressaten, die klug genug sind, sie zu verstehen. Odysseus musste, um das Rätsel der Sphinx lösen zu können, die metaphorische Umschreibung der Rätselfrage zurückübersetzen. Erst so war er in der Lage herauszufinden, dass der Mensch das Wesen ist, das sich am Morgen auf vier, am Mittag auf zwei und am Abend auf drei Füßen bewegt.
Das Manko von Heller-Roazens Buches ist, dass nicht genau genug zwischen den Geheimsprachen und den Geheimnissen in der Sprache unterschieden wird. Außerdem vermittelt zwar jedes einzelne Kapitel aufschlussreiche Einblicke in facettenreiche linguistische Probleme, aber insgesamt ist das Buch für den sprachwissenschaftlich wenig bewanderten Leser selbst, nachgerade ironischerweise, über weite Strecken sozusagen in einer "dunklen Zunge" geschrieben – allzu oft nämlich versteckt sich der Autor hinter wenig verständlichem wissenschaftlichem Jargon.

Daniel Heller-Roazen: Dunkle Zungen. Geheimsprachen: Die Kunst der Gauner und Rätselfreunde
Aus dem Amerikanischen von Horst Brühmann.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018
344 Seiten, 22 Euro

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