Dampfbetrieb zwischen Nürnberg und Fürth

Von Mathias Schulenburg · 07.12.2010
Die Eisenbahn hat Industriegeschichte geschrieben: Sie hat Güter verteilt, die vordem unverteilbar waren und so geholfen, Hungersnöte zu vermeiden; sie hat Millionen Menschen die Ferne gezeigt, sie hat Jobs vernichtet und geschaffen und ist heute nicht mehr wegzudenken.
Der 7. Dezember 1835 war für die deutsche Eisenbahngeschichte zweifellos ein wichtiges Datum, rein deutsch aber war die erste Fahrt eines ausdrücklich für den Personentransport bestimmten Zuges – vom Nürnberger Vorort Gostenhof nach Fürth – nicht:

Die Lokomotive hatte der Engländer Robert Stephenson in seiner Fabrik in Newcastle gebaut, und sogar der Lokführer war aus England "importiert" worden, William Wilson, der anfänglich sogar dreißig Prozent mehr als der Direktor des Streckenbetriebs verdiente! Aber der Streckenbau war deutschen Ursprungs, ebenso die Waggons, deren Innenausstattung, die Schienen.

Die Lokomotive mit dem stolzen Namen Adler beförderte die 200 Passagiere der Jungfernfahrt mit 40 Kilometern pro Stunde zum Ziel, das in neun Minuten erreicht war. Das war fast doppelt so schnell, wie der Betrieb mit Pferden es zuließ, für den die neue Strecke ebenfalls eingerichtet war.
Ein Augenzeuge berichtete dem "Stuttgarter Morgenblatt für gebildete Stände.

"Pferde auf der nahen Chaussee sind daher beim Herannahen des Ungetüms scheu geworden, Kinder haben zu weinen angefangen und manche Menschen, die nicht alle zu den ungebildeten gerechnet werden dürfen, haben ein leises Beben nicht unterdrücken können."

Der Korrespondent des Stuttgarter Morgenblattes bestaunte die Lokomotive:

"Zwischen den Vorderrädern erhebt sich, wie aus einem verschlossenen Rauchfang, eine Säule von ungefähr 15 Fuß Höhe, aus welcher der Dampf sich entladet. Zwischen den Vorder- und Mittelrädern erstreckt sich ein gewaltiger Zylinder nach den Hinterrädern, wo der Herd und Dampfkessel sich befindet, welcher von einem zweiten, vierräderigen, angehängten Wagen aus mit Wasser gespeist wird. Dieser hintere Wagen nämlich, auf welchem der Platz für das Brennmaterial ist, hat auch einen Wasserbehälter, aus welchem Schläuche das Wasser in die Kanäle des eigentlichen Dampfwagens leiten. Außerdem bemerkt man eine Anzahl von Röhren, Hähnen, Schrauben, Ventilen, Federn, die alle wahrzunehmen mehr Zeit erfordert als uns vergönnt war."

Für den regulären Dampfbetrieb setzte die Betreibergesellschaft die Geschwindigkeit deutlich herab, um den Verschleiß zu mindern. So dauerte die Reise von Nürnberg nach Fürth laut Fahrplan 15 Minuten, bei den Pferdefahrten 25 Minuten.

Die Ludwigsbahn – so genannt nach König Ludwig I. von Bayern, der die Konzession unterzeichnet hatte – wurde in der Folgezeit dann doch hauptsächlich mit Pferden betrieben. Kohle musste von weither geholt werden – aus Sachsen, mit Pferdefuhrwerken – und war entsprechend teuer. Neben Menschen wurden auch Güter transportiert, zunächst Zeitungspakete und Bierfässer, dann kamen Postsendungen dazu. Die Bahn wurde schließlich so rege genutzt, dass die Betreibergesellschaft ihren Aktionären bis 1855 nie unter 12 Prozent Dividende zahlte.

Fünfzehn Jahre nach der Erstfahrt war das Schienennetz schon auf über 5000 Kilometer gewachsen. Das neue Transportmittel wurde als militärstrategisch hochbedeutsam erkannt; entsprechend zügig schritt der Ausbau voran, und um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schon hätten alleine deutsche Schienen einmal um den ganzen Globus gereicht. Am 31. Oktober 1922 fuhren die Züge der Ludwigsbahngesellschaft zum allerletzten Mal:

"Gezwungen durch die katastrophale Steigerung der Ausgaben für Kohlen, sonstige Verkehrsmittel, Gehälter und Löhne sind wir nicht mehr in der Lage, den Betrieb weiterzuführen und müssen ihn deshalb stilllegen."

Die Ludwigsbahngesellschaft aber hatte noch bis in die neunzehnhundertsechziger Jahre Bestand, nun beschäftigt mit der Verwaltung der Liegenschaften und des Vermögens der Bahn, die jährlich immerhin vier Prozent Dividende erbrachte.