"Damon"-Inszenierung in Magdeburg

Telemanns Lustorgie

Der Komponist Georg Philipp Telemann
Der deutsche Komponist Georg Philipp Telemann wurde am 14. März 1681 in Magdeburg geboren und ist am 25. Juni 1767 in Hamburg gestorben. © picture alliance / Foto: dpa
Von Bernhard Doppler · 12.03.2016
Die 23. Magdeburger Telemann-Festtage präsentieren eine Neuentdeckung: Das Singspiel "Damon" dreht sich um Liebe, Sexualität und bürgerlichen Geist in höfischem Gewand. Das von Aron Stiehl als Dauerbespaßung inszenierte Stück langweilt aber mit der Zeit - auch wenn die musikalische Umsetzung überzeugt.
Was passiert, wenn "wilde" Sexualität, wenn die "Triebe", wie sie so oft in Telemanns Singspiel "Damon" beschworen werden, über die Gesellschaft im idyllischen Arkadien hereinbrechen. Der sexbesessene Satyr Damon hat Arkadien wieder überfallen und einem seiner Widersacher, dem Schäfer Tyris den Krieg erklärt. Was tun? Man stellt sich in Arkadien wahnsinnig und geistesgestört, wechselt das Geschlecht oder inszeniert, wie Tyris, sein eigenes Begräbnis, um den Attacken des Satyrs zu entgehen.
Die deutsche Barockoper scheint sehr zu Unrecht ganz im Schatten der italienischen und französischen Barockoper zu entstehen, und es ist ein großes Verdienst der nun schon zum 23. Mal stattfindenden Telemann-Festtage in Telemanns Geburtsstadt Magdeburg, sie wieder ins Bewussein geholt zu haben. Telemann war nicht ausschließlich ein deutscher, sondern ein internationaler Komponist und dem Singspiel "Damon oder der neumodische Liebhaber" liegt als Libretto die deutsche Übersetzung einer italienischen Oper zugrunde; aber dass es vor Mozart deutsche Opern gegeben hat, ist wenig bekannt.

Die barocke Liebesmetaphorik

Interessant an "Damon" ist vor allem die Konsellation. Es ist die Zeit der Frühaufklärung: Bürgerlicher Geist in höfischem Gewand, der etwa in der Hamburger Gänsemarkt-Oper (dort wurde Telemanns Oper aufgeführt) Fragen der Liebe und des sozialen Verhaltens diskutiert. Was ist ein Flirt? Gehört Sexualität dazu? Was ist in der Liebe Wahrheit, was Verstellung, was Liebes-Wahnsinn, was Treue? Was als "galant" gelten kann, ist der zentrale Aufreger der Frühaufklärung. Bürgerliche Ehemoral spielt noch keine Rolle: Auch im idyllischen Arkadien sind die Liebesbeziehungen der Schäfer und Nymphen verworren und wenig eindeutig.
Man hat bei den Festtagen 2016 dabei an Ausstattung (Frank Philipp Schlößmann) in Magdeburg nicht gespart und die Handlung von "Damon" modernisiert: ein großer Zypressenhain bewegt sich auf der Drehbühne, der Satyr erscheint im Kampfanzug" und mit einem Panzer, seine heißen "Triebe" werden in einer Sauna zum Wallen gebracht, dann wieder spielt man Ping-Pong am Tischtennisbrett, und statt mit amorösen Pfeilen schießt man mit Feuerwaffen. Wenn sich die Schäfer verstellen und dabei in eine andere Rollen schlüpfen, verkleiden sie sich nicht, sondern tragen - auch bei der Orgie kurz vor dem Ende - Puppen vor sich her. Regisseur Aron Stiehl nimmt also die barocke Liebesmetaphorik wortwörtlich (Liebe ist Krieg) und zitiert mit den Puppen womöglich auch die derben Hanswurstiaden, die sich im 18. Jahrhundert aus und neben dem höfischen Theater entwickeln: "Scherzhaftes Singspiel" hat Telemann seine Oper genannt.

Fast pornographische Verkörperung von Sexualität

Dennoch ermüdet trotz des großen Aufwands an Einfällen die Dauerbespaßung und Dauerironisierung der Inszenierung schnell. Liegt nicht der Reiz Telemanns gerade in der Vielfalt und im Kontrast vielfältiger Formen von Liebesarien und Liebesensembles - Wahnsinn, Trauer, Verspottung, Rache? Dass ausgerechnet die komische Figur in der Magdeburger Aufführung gestrichen ist, ist insofern konsequent: Alle Figuren sind bei Aron Stiehl nämlich Karikaturen und komisch, zumindest führen sich die Darsteller so auf und gehen bisweilen auch neckisch von der Bühne mitten ins Publikum.
Musikalisch überzeugt die Aufführung über weite Strecken durchaus, insbesondere das äußerst lebendige Spiel von David Stern und seinem Orchester, dem von ihm gegründeten Pariser Ensemble "Opera fuoco". Sterns energievoller Einsatz lässt vergessen, das Telemanns Musik doch über manche Strecken eintönig erscheint. Von den Sängern sticht vor allem der Sopran von Natalie Pérez als sich wahnsinnig stellende Nymphe Mirtilla heraus und sehr überzeugend auch der Bassbariton Martin-Jan Nijho in der Titelrolle. Mag er auch in der Magdeburger Inszenierung nur ein dummer Hanswurst sein, dem in der Badewanne ein gigantischer Phallus erwächst, am Telemannsche Satyr Damon lässt sich jedenfalls eine kraftvolle, fast pornographische Verkörperung von Sexualität entdecken, wie sie die Opernbühne später kaum mehr kennt.
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