Un­at­trak­tives Dänemark

Asylpolitik zur Abschreckung

Die dänische Integrationsministerin Inger Støjberg
Die dänische Integrationsministerin Inger Støjberg © dpa / picture alliance / Thomas Eisenkrätzer
Von Jana Sinram · 25.06.2018
Mit einer Torte feierte die dänische Integrationsministerin 2017 auf Facebook ihre 50. Verschärfung im Ausländerrecht. Inzwischen sind es 89. Die Minderheitsregierung will "dänische Werte" verteidigen und das Land für Geflüchtete unattraktiv machen.
Ein heller Altbau im Zentrum von Kopenhagen: Ein paar Freiwillige sitzen auf knallgelben Stühlen im Kreis und trinken Kaffee, am Tisch nebenan beugen sich zwei dunkelhäutige Frauen mit Kopftuch konzentriert über ein Vokabelheft. Das Freiwilligenhaus der Dänischen Flüchtlingshilfe ist ein Ort der Begegnung zwischen Dänen, Asylsuchenden und anderen Einwanderern. Wer will, bekommt Dänisch-Nachhilfe und Unterstützung bei der Jobsuche, am Wochenende gibt es Spielenachmittage und Fahrradkurse für Frauen.

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Was bedeutet "kämmen" und wie wird das Verb gebeugt? Das will Ibrahim aus dem Sudan von einem älteren Dänen wissen. Im Nebenraum spricht Selma, 17, mit einer Freiwilligen über ihren Aufsatz fürs Gymnasium. Es geht um soziale Medien, Fake News und US-Präsident Donald Trump. Selma habe einen interessanten Text geschrieben, lobt Nachhilfelehrerin Elisabeth Højlund – und gibt Tipps, an welchen Stellen die Schülerin noch besser argumentieren könnte. Sie komme oft ins Freiwilligenhaus, erzählt die junge Frau mit dem blauen Kopftuch, deren Eltern aus Marokko stammen:
"Ich bin generell fleißig in der Schule, und hier bekomme ich noch ein bisschen Extra-Hilfe. Die Nachhilfelehrer sind alle sehr engagiert und man merkt, dass sie hier sind, weil sie Lust haben und nicht, weil sie es müssen."
So wie Elisabeth Højlund. Sie hat früher Dänisch als Fremdsprache unterrichtet. Jetzt will die Rentnerin Flüchtlingen dabei helfen, sich in der dänischen Gesellschaft zurecht zu finden.
"Die meisten sprechen nur schlecht Dänisch. Dabei ist es gerade bei der Jobsuche so wichtig, sich richtig auszudrücken. Auch im Umgang mit den Behörden spielt es eine große Rolle, Dinge korrekt zu formulieren. Und das ist im Dänischen ziemlich schwierig."

89 Gesetzesverschärfungen zur Abschreckung

Überhaupt funktioniere die Integration in Dänemark bisher nicht gut, findet Højlund:
"Viele Einwanderer orientieren sich an ihren Landsleuten und so entstehen Ghettos: die Somalier halten sich an die Somalier, die Ghanaer an den Ghanaern. Und die einzelnen Gruppen leben dann weiter so wie in ihrer eigenen Kultur."
Rentnerin Højlund engagiert sich für Flüchtlinge, hatte auch in ihrem früheren Job viel mit Einwanderern zu tun. Trotz ihrer vielen persönlichen Kontakte ist sie in diesem Punkt einer Meinung mit der dänischen Integrationsministerin. Auch Inger Støjberg spricht von Schwierigkeiten:
"Meiner Ansicht nach sind in Dänemark viele integrationspolitische Fehler gemacht worden – von sozialdemokratischen genauso wie von bürgerlichen Regierungen. Wir haben früher viel zu wenig von den Menschen gefordert, die in unser Land gekommen sind. Deswegen können sich jetzt viel zu wenige Einwanderer selbst versorgen, zu wenige sprechen die dänische Sprache und zu viele leben in Parallelgesellschaften, ohne am dänischen Alltag teilzunehmen."
Die 89 Gesetzesverschärfungen in ihrer Amtszeit seien nach den Fehlern der Vergangenheit also nur konsequent, argumentiert die Ministerin von der rechtsliberalen Venstre-Partei. Ihr Ziel: Abschreckung.
"Ich will Dänemark unattraktiv für Asylsuchende machen. Deshalb wird es noch weitere Verschärfungen geben – die bisherigen waren jedenfalls alle notwendig."
Ein Facebook-Post der dänischen Integrationsministerin Inger Støjberg auf dem sie mit einer Torte die 50. Verschärfung im Ausländerrecht feiert.
Die dänische Integrationsministerin Inger Støjberg feiert auf Facebook mit einer Torte die 50. Verschärfung im Ausländerrecht.© Facebook-Seite Inger Støjberg
Die 50. Änderung von Asyl- und Einwanderungsgesetzen in ihrer Amtszeit feierte Inger Støjberg mit einer Torte, wie sie auf Facebook mit einem Bild dokumentierte. Auch für Aufsehen sorgte 2016 das sogenannte "Schmuckgesetz": Dänische Polizisten dürfen Asylsuchenden seitdem an der Grenze Schmuck und Bargeld oberhalb einer Grenze von 1.300 Euro abnehmen, um deren Aufenthalt mitzufinanzieren.
Eine weitere Gesetzesänderung, die Støjberg durchgesetzt hat, ist die Einführung einer so genannten Integrationshilfe für Flüchtlinge. Nur noch 800 Euro pro Monat bekommen sie zum Leben, die Sozialhilfe ist in Dänemark etwa doppelt so hoch.
"Wir haben die finanzielle Unterstützung für Asylbewerber halbiert und das Recht auf Familienzusammenführung für die meisten Flüchtlinge ausgesetzt. Denn ich habe keinen Zweifel daran, dass die Zahl der Neuankömmlinge eine Bedeutung hat. Es ist entscheidend, wie viele Menschen mit einer ganz anderen Kultur in ein Land kommen. Mein Ziel ist ganz klar, dass künftige Generationen noch das Dänemark erleben, das wir heute kennen."

1000 Asylanträge in Dänemark 2018

Das klingt, als werde Dänemark von Flüchtlingen und anderen Einwanderern praktisch überrannt. Tatsächlich haben 8,5 Prozent der Bevölkerung einen nicht-westlichen Migrationshintergrund. Im Gedächtnis geblieben sind die Bilder von 2015, als tausende Flüchtlinge per Zug aus Deutschland nach Dänemark einreisten und hunderte Menschen über die dänische Autobahn Richtung Schweden marschierten. Asyl in Dänemark beantragten damals etwa 21.000 Menschen.
Syrische Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Rodby im Süden Dänemarks.
Syrische Flüchtlinge nach ihrer Ankunft 2015 in Rodby im Süden Dänemarks.© picture alliance / EPA / Claus Hansen
Inzwischen ist die Zahl deutlich zurückgegangen. 3000 neue Anträge erwartete die Regierung ursprünglich für dieses Jahr, inzwischen hat sie die Zahl auf 1000 nach unten korrigiert.
"I don’t recall a number as low as this ever."
Sie könne sich daran nicht erinnern, dass die Zahl jemals so niedrig gewesen sei, sagt Annette Christoffersen. Sie arbeitet als Integrationsdirektorin bei der Dänischen Flüchtlingshilfe. Die Nicht-Regierungs-Organisation ist einer der zentralen Akteure für die Integration von Flüchtlingen in Dänemark, mit einem Netz aus Sozialarbeitern, Psychologen und mehr als 8000 Freiwilligen. Die öffentliche Debatte über die Asylpolitik findet Christoffersen übertrieben:
"Das ist immer noch ein heißes politisches Thema. Es wird weiter als großes Problem dargestellt, als gäbe es immer noch diesen riesigen Druck an den dänischen Grenzen. Es gibt eine erhebliche Differenz zwischen der Realität und dem politischen Diskurs."
Christoffersen findet nicht alles schlecht, was die dänische Regierung in Sachen Integration unternimmt. Richtig gut läuft ihrer Ansicht nach die Arbeitsmarktpolitik. Fast die Hälfte der männlichen Flüchtlinge, die seit 2015 nach Dänemark kamen, habe inzwischen einen Job, erzählt sie. Kein Verständnis hat Christoffersen dagegen für die Restriktionen beim Familiennachzug, die vor allem auf syrische Flüchtlinge zielen:
"Man kann frühestens nach drei Jahren einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. Das eines der schlechtesten Gesetze, das die Regierung durchgesetzt hat. Man kann Flüchtlinge nicht auf der einen Seite dazu drängen, sich zu integrieren, und ihnen auf der anderen Seite das Recht auf ein Familienleben nehmen."

"Total grotesk: fünf Jahre von Familie getrennt"

Kritik kommt auch von Jytte Lindgård. Sie ist die Vorsitzende der Anwälte für Ausländerrecht in Dänemark. Ihrer Ansicht nach verstoßen die Nachzugsregeln gegen die UNO-Kinderrechtskonvention, die ein Recht auf Familie und elterliche Fürsorge garantiert:
"Es ist total grotesk, sich vorzustellen, dass jemand fünf Jahre von seiner Familie getrennt ist. Denn so lange dauert es, wenn sich erst das Asylverfahren ewig hinzieht und Flüchtlinge mit temporärem Schutzstatus dann noch drei Jahre warten müssen, bis sie ihre Familie nach Dänemark holen dürfen. Welcher Vater oder welche Mutter kann denn so lange ohne seine Kinder auskommen?"
Wegen der vielen Verschärfungen könnten sich Asylbewerber außerdem kaum noch darauf einstellen, welche Regeln für sie gelten, kritisiert die Anwältin.
"Niemand hat noch einen Überblick über die Gesetze. Ich bin ziemlich sicher: noch nicht mal im Ministerium selbst."
Durchgesetzt hat die rechtsliberale Minderheitsregierung aus Venstre, Konservativer Volkspartei und Liberaler Allianz die Verschärfungen zusammen mit anderen Parteien. Insgesamt neun sitzen im dänischen Parlament. Es ist normal, dass sich die Regierung ihre Mehrheiten für jedes Gesetz neue Mehrheiten suchen muss. Die Opposition verhandelt über die einzelnen Entwürfe und kann damit auch selbst Einfluss nehmen. Großen Einfluss hat die rechtspopulistische "Dänische Volkspartei". Sie ist mit 21 Prozent zweitstärkste Kraft im Folketing und hat viele der Verschärfungen mitgetragen.

Verbot von Burka, Niqab, Helmen und künstlichen Bärten

Schloss Christiansborg in Kopenhagen. Alle Viertelstunde ist das Glockenspiel vom nahe gelegenen Rathaus zu hören. Christiansborg ist Amtssitz des Ministerpräsidenten, auch das Oberste Gericht und das Parlament sind hier untergebracht.
Es ist Ende Mai, der Folketing debattiert in dritter Lesung über ein Vollverschleierungsverbot. Muslimische Frauen sollen in der Öffentlichkeit keine Gesichtsschleier wie Burka und Niqab mehr tragen dürfen, auch das Tragen von Helmen und künstlichen Bärten wird verboten. Vor der Abstimmung meldet sich als einziger Abgeordneter Martin Henriksen von der "Dänischen Volkspartei" zu Wort. Er freue sich sehr über den Vorschlag des Justizministeriums, betont der integrationspolitische Sprecher der Rechtspopulisten:
"Burka und Niqab sind nicht dänisch und werden auch nie dänisch sein. Meine Partei hat den ersten Vorschlag für ein Verbot schon 2009 vorgelegt. Es hat also fast zehn Jahre gedauert, die Mehrheit der der Abgeordneten zu überzeugen. Heute sagen wir zu denjenigen, die Burka und Niqab tragen: So was gehört nicht in unser Land."
Die rechtspopulistische "Dänische Volkspartei" ist mit 21 Prozent zweitstärkste Kraft im Parlament. Sie wirbt mit ihrem Parteivorsitzender Kritian Thulesen Dahl.
Die rechtspopulistische "Dänische Volkspartei" ist mit 21 Prozent zweitstärkste Kraft im Parlament. Sie wirbt mit ihrem Parteivorsitzender Kritian Thulesen Dahl.© imago / Dean Pictures
Henriksen und seine Kollegen der "Dänischen Volkspartei" stimmen wenig später für das Verschleierungsverbot, zusammen mit fast allen Sozialdemokraten und dem größeren Teil der Minderheitsregierung: Venstre und Konservative Volkspartei stimmen für das Verbot, die meisten Abgeordneten der Liberalen Allianz dagegen.
"Lovforslag er vedtaget og blir nu send til Statsministern."
Damit ist Dänemark das fünfte Land in Europa, das Burka und Niqab verbietet. Ein symbolisches Gesetz. Die einzigen belastbaren Zahlen stammen aus dem Jahr 2010. Damals trugen laut einer Studie der Uni Kopenhagen höchstens 200 Frauen in Dänemark den Niqab, eine Burka so gut wie niemand.

Sozialdemokraten: Keine Asylanträge mehr in der EU

Nächstes Jahr wird gewählt in Dänemark. Seit 1998 sitzen die Rechtspopulisten im Parlament, seit 2001 fielen sie nie unter zwölf Prozent. Mit ihren Erfolgen treiben sie die anderen Parteien vor sich her. Die Sozialdemokraten etwa haben Anfang des Jahres vorgeschlagen, spontanes Asyl ganz abzuschaffen. Niemand soll mehr in Dänemark selbst oder an den Grenzen einen Asylantrag stellen dürfen. Stattdessen plane man Flüchtlingslager außerhalb Europas, erklärt Peter Hummelgaard Thomsen, sozialdemokratischer Parlamentsabgeordneter und der europapolitische Sprecher seiner Partei.
"Wir schlagen vor, den Asylanspruch schon südlich des Mittelmeers zu prüfen. Diejenigen, die einen Anspruch auf Schutz haben, würden dann in einem UNO-Lager untergebracht und von dort aus nach bestimmten Quoten auf die verschiedenen europäischen Länder verteilt."
Jedes Land sollte selbst entscheiden, wie viele Flüchtlinge es integrieren könne, sagt Hummelgaard. Obergrenzen seien wichtig, um den sozialen Zusammenhalt in Ländern wie Dänemark zu bewahren.
"Es geht uns nicht darum, besonders hart zu sein. Unser Ziel ist, realistisch zu bleiben, und ehrlich. Um sicher zu gehen, dass wir auch in 20, 25 Jahren noch starke Wohlfahrtsstaaten in Europa haben. Besonders in Skandinavien."
Inzwischen hat die Regierung nachgezogen. Dänemark wolle gemeinsam mit Österreich und weiteren europäischen Ländern das Asylsystem in Europa reformieren, verkündete Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen Anfang Juni in einer Grundsatzrede zum Nationalfeiertag.
"Natürlich muss es die Möglichkeit geben, Hilfe zu bekommen, wenn man aus der Not heraus flieht. Aber das bedeutet nicht, dass Flüchtlinge frei über ihr Asylland entscheiden dürfen."
Der dänische Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen steigt aus einem Auto aus.
Der dänische Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen.© dpa / ETIENNE LAURENT
Deshalb wolle man Empfangs- und Sendezentren für abgelehnte Asylbewerber einrichten, erklärte der Ministerpräsident. Diese sollten zwar in Europa liegen, aber nicht in den Ländern, die zu den bevorzugten Zielen von Flüchtlingen und Schmugglern gehörten. Noch gebe es zwar juristische, wirtschaftliche und politische Probleme zu überwinden, betonte Rasmussen. Seine Regierung plane aber schon das erste Pilotprojekt.
"Denn wenn wir unsere dänischen Werte erhalten wollen, müssen die Dänen spüren, dass wir für sie kämpfen. Für die Dänen und für unsere Werte. Denn die sind das Fundament für unsere Gesellschaft."
Liberalismus, Freiheit und Gemeinschaft zählt Rasmussen als dänische Werte auf.
"Frisind, frihed, fælleskab."

Hinter Werte-Debatte steckt Anti-Islam-Haltung

In der gesamten Wertedebatte gehe es vor allem um den Islam, sagt die Anthropologin Tina Gudrun Jensen, die an der Universität Kopenhagen zu Migration und Diversität forscht.
"Solange ich mich erinnern kann, gibt es bei uns eine bestimmte Rhetorik: Dänen gegen Muslime. Es geht also um Religion, aber eben in Form von gegensätzlichen Werten. Muslimische Werte werden als gegensätzlich zu Demokratie, Freiheit und Liberalität dargestellt. Also zu demokratischen Werten, die eigentlich nicht dänisch sind, sondern europäisch."
Viele Flüchtlinge wüssten gar nicht, was die Dänen eigentlich von ihnen erwarteten, sagt Annette Christoffersen, die Integrationsdirektorin der Dänischen Flüchtlingshilfe.
"Wir haben unsere Werte immer besonders verteidigt. Das Problem ist aber, dass wir selbst gar nicht richtig benennen können, was dänische Werte überhaupt sind. Häufig sprechen wir also von Handlungen: In Dänemark machen wir das so und so, wir kleiden uns auf eine bestimmte Weise und essen bestimmte Dinge. Diese Dinge werden zum Symbol für etwas, das wir nicht definieren können."
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