"Da versucht man dann, über Codes zu reden"

Salam Said im Gespräch mit Susanne Führer · 14.06.2011
Die syrische Netz-Aktivistin Salam Said erzählt, wie sich Oppositionelle in "trusted groups" organisiert haben, um ihre Kommunikation gegen die allgegenwärtigen syrischen Geheimdienste abzuschotten. Die haben sich inzwischen Spezialtechnik aus dem Iran angeschafft.
Susanne Führer: Seit fast drei Monaten demonstrieren in Syrien Hunderttausende friedlich für einen politischen Wandel. Aber Präsident Baschar al-Assad lässt jeden Protest blutig niederschlagen. Es ist schwer, an verlässliche Informationen aus Syrien zu kommen, weil die syrische Führung fast alle Auslandskorrespondenten ausgewiesen hat und der Apparat von Militär, Miliz und Geheimdienst die Menschen in Angst und Schrecken versetzt.

Trotzdem gibt es Gegenbewegungen, und zu ihnen gehört Salam Said, sie ist Berlinerin, wurde in Syrien geboren und lebt seit zehn Jahren in Deutschland – und hält unter anderem übers Internet weiter Kontakt in ihre Heimat. Schönen guten Tag!

Salam Said: Schönen guten Tag!

Führer: Bevor wir über ihre Internetaktivitäten sprechen, Salam Said, welche Informationen haben Sie denn über die aktuelle Lage in Syrien? Hier ist ja zu lesen, dass eine Militäroffensive im Nordwesten des Landes im Gange wäre.

Said: Ja, das ist richtig, diese militärische Offensive schreitet im Osten des Landes voran, im Moment. Sie war in Dschisr al-Schughur, das ist bei Idlib, und das ist sehr nah an der türkischen Grenze, und sie erweitert sich Richtung Osten an die irakische Grenze oder in Richtung ???, das ist ein kleiner Vorort von Aleppo. Und es wird weiter Gewalt gegen Demonstranten oder Gebiete geben, wo es sehr viele Demonstranten gab oder Demonstrationen gab.

Führer: Genau, was heißt denn das, also diese Militäroffensive: Die fahren mit Panzern in die ...

Said: Genau. Sie fahren – also, da gibt es Militärgruppen, die fahren mit Panzern – manchmal begleitet, wie letztes Mal in Dschisr al-Schughur, von Hubschraubern – aber gleichzeitig gibt es natürlich Einheiten von den Sicherheitskräften, die sind bekleidet in Zivilbeikleidung, und sie werden auch mit in die Offensive gehen, also mit auch töten oder schießen oder Leute festnehmen, quälen, foltern, um an Informationen zu kommen, wo der Rest steckt, und so.

Führer: Man erfährt ja indirekt davon, weil wir wissen, dass viele Tausend Menschen jetzt in die Türkei geflohen sind. 7.000, über 7.000 sollen es sein, weitere 10.000 sich auf dem Weg gemacht haben. Wissen Sie etwas darüber? Man hört immer mal wieder, der Hintergrund für diese militärische Offensive soll eine Meuterei innerhalb der Truppe sein.

Said: Ja, da gibt es auch Beweise dafür, es gibt auch Soldaten, die haben sich verweigert, auf die friedlichen Demonstranten zu schießen, und die wurden dann erschossen oder bedroht oder eingeschüchtert. Und die sind entweder mit auch in die Türkei geflüchtet oder sie haben mit ihrem Leben dafür bezahlt, dass sie die Befehle nicht befolgt haben.

Führer: Und was meinen Sie? Ist das jetzt so ein Feldzug, um noch mal Angst und Schrecken zu verbreiten, oder warum?

Said: Ja, es gibt beides natürlich. Es gibt auch Analysten, die sagen: Okay, das ist eine Art von Säuberung des Militärs, der Leute, die eventuell Widerstand leisten wollen, aber sie wollen auch gleichzeitig die Leute erschrecken, damit die anderen Gebiete, die noch nicht demonstrieren in diesen Massen, sich erschrecken und sich gar nicht wagen, solche Aktionen zu machen.

Führer: Genau, man will gleich sozusagen die Leute in Angst versetzen. Jetzt sind Sie ja Mitglied einer sogenannten geschlossenen Gruppe auf Facebook, also, wo sie auch ihre Informationen herbekommen. Was ist denn das, eine geschlossene Gruppe auf Facebook?

Said: Genau! Von Anfang an versuchten viele Syrer durch Facebook, zu kommunizieren, zu wissen, was ist da passiert,. Es gibt Syrer im Ausland, es gibt Syrer im Inland, es gibt Syrer in anderen arabischen Staaten, die versuchen zu kommunizieren und so zusammenzuarbeiten: Wie können wir die Proteste, zum Beispiel, in Syrien unterstützen? Und so weiter, und so fort.

Nach gewisser Zeit haben wir festgestellt, dass es die Geheimdienstaktivisten oder die Geheimdienste, die im Internet tätig sind, an diese Gruppen gekommen sind, und es wurden ein paar Leute entweder bedroht oder dann verhaftet. Und dann haben wir beschlossen, diese geschlossenen oder sogenannten "trusted groups" in Facebook zu gründen, und das heißt, da konnte nicht jeder rein, sondern es muss da erst mal nachgewiesen werden, dass es eine Trusted-Person ist ...

Führer: Also eine vertrauenswürdige Person?

Said: Genau, eine vertrauenswürdige Person, die dann über eine andere vertrauenswürdige Person herangekommen ist an die Gruppe, und es wurde alles beobachtet, was an Kommentaren da reingeschrieben worden ist ...

Führer: Also das heißt, Sie müssen die Menschen persönlich kennen, bevor Sie jemanden aufnehmen?

Said: Ja, genau. Sie haben mich zum Beispiel gefragt – ich war von Anfang an in dieser Gruppe, dann wurde ich rausgeschmissen aus irgendeinem Grund nach dieser Festnahme. Dann wurde ich noch mal eingeladen, weil sie entdeckt haben, dass sie zu viele Leute ausgeschlossen haben, die nicht – also, die waren Trust-Personen – und dann bin ich noch mal rein. Dann wurde ich gefragt: Wen kennst du da? Und was machst du? Und so weiter, damit sie sicher gehen, dass ich keine Geheimdienstagentin bin.

Führer: Verstehe. Die syrische Netzaktivistin Salam Said ist im Gespräch im Deutschlandradio Kultur, und wir sprechen über diese geschlossene Gruppe, über diese Trust Group, wie das heißt. Wie offen, wie direkt können Sie da dann miteinander kommunizieren?

Said: Also, jeden Tag! Die Leute, die in Syrien sind, haben manchmal Probleme mit dem Internet, dann kriegt man mit, dass sie sagen: Okay, seit gestern hatten wir kein Internet, und auf einmal haben wir wieder. Und manche sagen: Okay, Facebook funktioniert nicht, auf einmal. Und das heißt, da kann man stündlich oder jede Minute kann man Kontakt mit denen haben, wenn alle anderen technischen Voraussetzungen in Ordnung sind. Und wenn es Elektrizität da gibt und alle möglichen technischen Voraussetzungen.

Dann kriegt man mit, zum Beispiel, wenn sie irgendeine Aktion versuchen; zum Beispiel vor drei Wochen haben Sie versucht, mitten in Damaskus ein kleines Sit-in zu machen und wurden direkt angegriffen von den Geheimdiensten, die überall in der Stadt Damaskus in Zivilkleidung verbreitet sind. Die merken jede kleine Bewegung, die in die Richtung geht, und sie wurden direkt angegriffen, und er ist gescheitert, dieser Versuch, zum Beispiel.

Führer: Aber heißt das nicht auch, dass eben auch Ihre Gruppe vom Geheimdienst überwacht wird?

Said: Nein, das heißt nicht ... meinen Sie, im Internet?

Führer: Ja.

Said: Nein, das ist nicht, dass jemand uns verraten oder diesen Plan verraten hat, aber der Geheimdienst in – also, es gibt mehr als zwei Millionen Menschen in Syrien, die entweder direkt oder indirekt in diese Apparate des Staates involviert sind. Das heißt, es gibt genug Leute, die jeden Platz in der Stadt Damaskus kontrollieren können. Und es gibt auch eine Zentralisierung der Bevölkerung von Syrien in Damaskus und Aleppo. Das heißt, die Kontrolle ist nicht so schwierig, und deswegen die Provinzen, die einfach ein bisschen mehr Freiheit haben, und deswegen sieht man, okay, in den Provinzen gibt es mehr Demonstranten ...

Führer: Also, die Proteste ...

Said: ... als in der Stadt Damaskus selber.

Führer: Sie haben ja noch Familie in Syrien, rufen Sie die auch einfach mal an? Können Sie dann offen mit Ihnen sprechen?

Said: Offen nicht, auf keinen Fall! Das kann man auch per Telefon sehr wenig, bei Facebook auch weniger mittlerweile, weil man hat weniger Vertrauen in Facebook, und so weiter. Da hat vor einem Monat Syrien mit Hilfe des Iran viele Überwachungsgeräte eingerichtet, sodass man Facebook besser beobachten oder überwachen kann, und seitdem ist man vorsichtiger, was Facebook angeht.

Und wir versuchen, über das Internet, aber über andere Plattformen, andere Kommunikationsmöglichkeiten zu benutzen, um mit der Familie oder Freunden zu reden. Telefon ist wenig, ja!

Führer: Und haben Sie dann so eine eigene Sprache sozusagen entwickelt, oder wie geht das dann?

Said: Genau, am Anfang der Proteste gab es immer Probleme. Wenn man vom Ausland anruft, dann schwebt direkt der andere Partner in Syrien in Gefahr, mittlerweile ist es besser. Da versucht man dann, über Codes zu reden. Da sagt man, ja, die Gesundheit ist gut, ob du zum Beispiel heute ausgehen konntest, und es wurde damit gemeint, konntet ihr heute zum Beispiel demonstrieren, oder nicht so? Ungefähr in der Art versucht man, indirekt Sachen zu erfahren.

Und manchmal erzählt man Geschichten über familiäre Geschichten, aber man versteht dadurch: Okay, es geht um Demonstranten, oder es geht um Tote, über die andere Geschichten im offiziellen Fernsehen erzählt wurden, und die eigentliche Geschichte sieht ganz anders aus.

Und, zum Beispiel, da würde auch mancher sagen, okay, wir wissen die Wahrheit, habt keine Angst, wir sind nicht dumm, quasi, wie die offiziellen Medien uns haben wollen.

Führer: Ich finde es ja sehr beeindruckend, muss ich sagen, dass so viele Menschen überhaupt weiter sich trauen, Widerstand zu zeigen, ob jetzt auf Facebook oder ganz direkt wirklich auf der Straße, weil das ja buchstäblich lebensgefährlich ist – 1.600 Menschen sollen ja schon getötet worden sein. Wie schätzen Sie das ein, Frau Said, wie wird das weitergehen? Wird es weitergehen, oder wird der Diktator wieder gewinnen und es schaffen, wieder alles blutig zu unterdrücken?

Said: Das ist natürlich schwierig vorherzusagen, was passieren wird. Aber wir sind an einen Punkt oder in eine Lage gekommen, da gibt es kein Zurück. Es gibt keine hundertprozentigen Gewinner. Das heißt, auch wenn das Regime ein paar Sachen gewinnen wird, wird es nicht wie vorher sein.

Aber wir glauben da dran, also alle, die demonstrieren und gegen die Gewalt auch was sagen, die glauben da dran, dass unserer friedlichen Demonstrationen oder Proteste einen Erfolg haben werden. Das ist natürlich ein Traum und ein bisschen ein Ideal

Aber es gibt auch politische Bewegung auf der internationalen Bühne, und wenn die einmal miteinander gesprochen haben – wenn türkische Interessen, iranische Interessen, USA-Interessen, europäische Interessen mit Syrien zusammen einen Punkt finden - können wir vielleicht schneller aus dieser Lage herauskommen.

Führer: Salam Said war das über die politische Lage in Syrien. Ich danke Ihnen herzlich für den Besuch hier im Studio, Frau Said!

Said: Bitte schön, danke auch!

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