"Da steht der Mensch im Mittelpunkt und nicht die Regel"

Dirk Tänzler im Gespräch mit André Hatting · 21.02.2013
Die Kirche müsse Frauen in der Not beiseite stehen, fordert Dirk Tänzler, der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Insbesondere bei der "Pille danach" sei eine eindeutige Haltung nötig: "Es geht um Barmherzigkeit."
André Hatting: Die Hirten blicken angestrengt in den Himmel, und hinter ihren Rücken: die Schäfchen, alleingelassen. Ein Bild für die Kluft zwischen katholischer Amtskirche und den Gläubigen an der Basis. Egal, ob es um Frauen in Führungspositionen geht, die Pille danach, den Zölibat oder die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, immer mehr deutsche Katholiken fremdeln mit ihrer Kirche, besonders die jungen. Erwartungsvoll verfolgt der Nachwuchs deswegen die Deutsche Bischofskonferenz, die heute in Trier zu Ende geht.

Und genau darüber möchte ich jetzt mit Dirk Tänzler sprechen, er ist Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, BDKJ. Der BDKJ ist die Dachorganisation der Jugendverbände mit insgesamt über 600.000 Mitgliedern. Guten Morgen, Herr Tänzler.

Dirk Tänzler: Schönen guten Morgen, Herr Hatting.

Hatting: Sind Sie zufrieden mit der Bischofskonferenz?

Tänzler: Wir sind zufrieden und finden es hervorragend, dass die deutschen Bischöfe erkannt haben, dass eine der wesentlichen Zukunftsfragen der katholischen Kirche sicherlich die Stellung und Rolle der Frau in der katholischen Kirche ist, und sich deswegen zu einem Studientag zusammen getroffen haben gestern. Das stimmt uns mutig, weil sich in der Tat genau an dieser Frage sicherlich eine der Entwicklung in der Kirche abzeichnen wird.

Hatting: Der Vorschlag lautet ja, dass man mehr Frauen in Führungspositionen bekommt, zum Beispiel als Gemeindediakonin, aber ohne Priesterweihe. Das heißt, die katholische Kirche bleibt eine Männerkirche.

Tänzler: Es ist, glaube ich, absolut festzustellen, dass in der Tat viele Frauen zu Recht das Gefühl haben und die Wahrnehmung haben, dass sie in der katholischen Kirche nicht so ernst- und wahrgenommen werden, wie es eigentlich sein muss und wie es sich in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen abgezeichnet hat. Das ist ein Manko, das gilt es zu verändern, da helfen auch keine guten Worte und auch keine gute Fürsprache, da hilft keine Wertschätzung. Die ist wichtig, aber es braucht eine Partizipation, es braucht eine Teilhabe von Frauen an Entscheidungsprozessen.

Dazu haben die deutschen Bischöfe auch gesagt, dass sie in Leitungsfunktionen Frauen verstärkt einsetzen wollen. Erzbischof Zollitsch hat für seine Diözese einen Frauenförderungsplan angekündigt, das begrüßen wir außerordentlich. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass es ein abgestimmtes Verhalten in allen deutschen Diözesen dazu gibt, dass die Deutsche Bischofskonferenz sich das zu eigen macht und dass es Gleichstellungsbeauftragte geben muss, die das Ganze auch begleiten und bewerten und auch noch gegebenenfalls weitere Richtungen einschlagen.

Hatting: Kann es eine völlige Gleichberechtigung für Frauen in der katholischen Kirche geben?

Tänzler: Es gibt unterschiedliche Aufgaben, es gibt unterschiedliche Rollen und es gibt unterschiedliche Taten, die dann dazu führen, dass natürlich auch wahrgenommen wird, dass es immer noch ein Gefälle, eine Hierarchie geben wird. Ich glaube, da sind wir in der katholischen Kirche sicherlich auch noch weit von entfernt, diese Hierarchie abzubauen. Aber es braucht entscheidende Schritte, die darauf hindeuten, dass wir mittelfristig und langfristig zu einer wirklich gleichberechtigten Rolle zwischen Männern und Frauen, zwischen Laien und Klerikern kommen.

Hatting: Die Bischofskonferenz will nach dem Skandal in zwei Kölner Krankenhäusern und dem Turnaround von Kardinal Meisner auch eine eindeutige Haltung zur Pille danach finden. Wie muss diese eindeutige Haltung Ihrer Ansicht nach aussehen?

Tänzler: Es geht um Barmherzigkeit und es geht um den Mensch vor den Normen und vor den Regeln. Und wenn ich höre, dass viele sagen, die Pille danach darf kein Familienplanungsinstrument sein, dann ist das völlig klar und unstrittig. Aber eine Vergewaltigung ist auch keine Familienplanung. Und von daher müssen wir wirklich in den Mittelpunkt die Frau stellen. Die Not dieser Frau ist unglaublich groß, unbeschreiblich groß, wir müssen ihr beiseite stehen und ihr alle Möglichkeiten eröffnen, ein gutes Leben danach zu führen. Und da steht der Mensch im Mittelpunkt und nicht die Regel.

Hatting: Also: Pille danach, ja?

Tänzler: Aus meiner Sicht ja.

Hatting: Um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals sollte es ebenfalls gehen. Nach dem Fiasko mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer, wie groß ist Ihr Vertrauen in die versprochene lückenlose Aufklärung?

Tänzler: Ich glaube, dass wir als Gesellschaft, nicht nur als Kirche, dass wir als Gesellschaft diese lückenlose Aufklärung brauchen. Missbrauch ist ein Thema, was Kirche insbesondere betrifft, aber nicht ausschließlich. Es gibt in vielen gesellschaftlichen Bereichen das Phänomen, dass Kinder und Jugendliche dort missbräuchlich behandelt werden und Gewalt ausgesetzt sind, und ich glaube, dass wir als Gesellschaft – das haben gestern auch die Debatten des runden Tisches gezeigt – diese Aufklärung dringend brauchen.

Professor Pfeiffer ist nicht der einzige Mensch, mit dem man diese Studie sicherlich in Auftrag geben kann, da haben beide Seiten – Professor Pfeiffer und die Deutsche Bischofskonferenz – sicherlich auch noch Sachen aufzuarbeiten, aber wir brauchen diese Studie. Wir sind davon überzeugt, dass die deutschen Bischöfe, nachdem sie auch in den letzten Jahren wirklich anerkennungswürdige Sachen geleistet haben im Bereich der Aufklärung, dort auch noch weitere Schritte gehen werden und diese Studie mit den Erkenntnissen dann auch der Öffentlichkeit vorstellen.

Hatting: Sie haben, Herr Tänzler, vor kurzem gesagt, die katholische Kirche verliert in allen jungen Lebenswelten an Zuspruch und Glaubwürdigkeit. Eine aktuelle Umfrage belegt das. Die Meinung der meisten Katholiken bei den Themen Frauen als Priester, Abschaffung des Zölibats oder kirchliche Heirat von Geschiedenen, die unterscheidet sich kaum noch von der Meinung der übrigen Bevölkerung. Was muss die Konsequenz daraus sein?

Tänzler: Ja, wir haben ja nicht nur das aus unserem eigenen Empfinden heraus gesagt, wir haben ja auch eine Studie dazu in Auftrag gegeben, die Sinus-Milieustudie U18 haben wir vergangenes Jahr schon veröffentlicht, wo ganz besonders noch mal Lebenswirklichkeiten und Lebenssituation von jungen Menschen betrachtet wurden im Zusammenhang mit katholischer Kirche und religiösem Leben. Und da wird eindeutig, dass junge Menschen deutlich Fürsprache brauchen, dass sie keine Normen brauchen, dass sie Begleiterinnen und Begleiter wollen, dass sie nach was Größerem, was Religiösem, was Spirituellem auch suchen. Und dass wir da als Kirche sicherlich auch noch, so wie wir es in den katholischen Jugendverbänden leben, durchaus Menschen brauchen, die ihnen beiseite stehen und nicht nur Regeln vorhalten. Und das ist, glaube ich, das, was entscheidend ist. Wir bringen das manchmal mit dem Satz auf den Punkt, dass wir sagen: Lebensrealitäten anerkennen und nicht kommentieren, wirklich wahrnehmen, wie ist die Situation von jungen Menschen, von Menschen allgemein, und ihnen beiseite stehen und dort diakonisch handeln und sie halt in dem Leben weiter begleiten.

Hatting: Heißt Anerkennung von Lebenswirklichkeiten eben auch akzeptieren, dass Zölibat oder kirchliche Heirat von Geschiedenen, dass das im Prinzip modernisiert werden muss, die Haltung dazu?

Tänzler: Ich würde die beiden Themen noch mal auseinanderhalten. Ich würde sagen, dass in der Tat das Zölibat sicherlich auch eine Frage ist, die jungen Menschen den Zugang zum Priesteramt verhindert, dass es aber eine Frage der eigenen Lebensentscheidung ist. Wie sich ein Mensch seine Planung vorstellt und ob er das Zölibat leben möchte oder nicht, ist dann seine eigene, individuelle Entscheidung. Der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ist sicherlich gerade im Erwachsenenbereich eine auch entscheidende Frage, und da braucht es ebenfalls Barmherzigkeit, da muss das anerkannt werden, dass es eben auch Scheitern gibt und dass es dann eben auch einen Neuanfang und dann auch eben einen Neuanfang unter dem Schutz Gottes geben kann, und dass das das Paar selbst für sich entscheidet und nicht Bischöfe, Kirche das tun wird.

Hatting: Dirk Tänzler, Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Tänzler.

Tänzler: Danke sehr.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Junge Gläubige beim Katholikentag in Mannheim
Junge Gläubige beim Katholikentag in Mannheim© dpa / picture alliance / Ronald Wittek
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