"Da sind alle weiter reichenden Pläne rausgestrichen worden"

Hermann E. Ott im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 11.12.2010
Schon kleine Fortschritte seien "Klatschorgien" wert, denn das totale Scheitern wie in Kopenhagen stehe den Delegierten bedrohlich vor Augen, berichtet Hermann Ott von Bündnis 90/Die Grünen. Er kritisiert die allzu nachgiebige Strategie der Europäer.
Jörg Degenhardt: Zwei Wochen haben die Klimaretter im mexikanischen Cancún zusammengesessen und jede Menge beschriebenes Papier produziert. Und jetzt, so scheint es, haben die Abgesandten ihrer Länder tatsächlich mehr als einen kleinen Tippelschritt getan. Die Konferenz endet in diesen Stunden mit einem Kompromiss, wie meistens. Bolivien allerdings muss noch zustimmen, der Entwurf für die Abschlusserklärung berücksichtigt jedenfalls eine zentrale Forderung der Entwicklungsländer, nämlich ihnen mehr Zeit zu geben, bevor sie sich auf einen Abbau der erderwärmenden Treibhausgase verpflichten müssen.

Am Telefon in Cancún ist Hermann Ott, der klimapolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, davor forschte er übrigens am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie. Guten Morgen, Herr Ott!

Hermann E. Ott: Ja, guten Morgen nach Deutschland, hier ist es kurz vor Mitternacht!

Degenhardt: Noch ist der Kompromiss nicht in trockenen Tüchern, wie man so schön sagt, aber wenn es dazu käme: Wäre das ein Fortschritt aus Ihrer Sicht?

Ott: Das auf jeden Fall. Wir haben jetzt in einer informellen Gruppe – gerade erst hat der letzte Redner Kuwaits sein Statement abgegeben – eine sehr, sehr große Zustimmung erfahren. Es gab Klatschorgien, so kann man es nennen, und da wurde deutlich, dass die Delegierten einen Erfolg hier wollen und vielleicht diese Schande von Kopenhagen vergessen machen, in denen ja doch alles gescheitert ist, was man sich vorgenommen hatte.

Degenhardt: Aber gemessen an den Problemen, am steigenden Meeresspiegel zum Beispiel oder an den Dürren, an den Wetterkapriolen, ist das, was in Cancún dann unterm Strich möglicherweise stehen könnte, ausreichend? Es heißt doch auf der anderen Seite immer, beim Klimawandel ist Eile beim Handeln geboten?

Ott: Absolut, und das ist natürlich der Wermutstropfen. Hier wird ein Erfolg gefeiert vor dem Hintergrund eines totalen Scheiterns. Und da sind natürlich auch kleine Fortschritte schon etwas wert. Man muss auch sagen, dass der multilaterale Prozess im Rahmen der Vereinten Nationen hier nicht völlig zum Stillstand gekommen ist, das muss man tatsächlich schon auch als Erfolg sehen. Das, was jetzt so in dem Papier steht, was die Präsidentschaft hier vorgelegt hat, die mexikanische Außenministerin Espinosa, ist so ausbalanciert und ausgewogen formuliert, da sind alle weiter reichenden Pläne rausgestrichen worden, da ist vor allem – und das ist vielleicht das größte Manko dieses Textes – kein Enddatum festgeschrieben worden, bis zu dem die Verhandlungen erfolgreich sein sollen.

Da steht nur drin, sie sollen so früh wie möglich, "as early as possible", zu einem Erfolg kommen. Aber es muss ja im Grunde ein Erfolg schon im nächsten Jahr passieren in Durban, weil nämlich bis Ende 2012 ja nur die Verpflichtungen der Industriestaaten reichen. Und um den Himmel nicht vollkommen offen wieder zu machen, wo jeder Staat so viel Treibhausgase ausstoßen kann, wie er will, muss es eine Nachfolgeregelung für die Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls geben.

Degenhardt: Sie haben, Herr Ott, immer betont, die Europäer müssten so etwas wie eine Leitfunktion übernehmen und dabei andere Staaten um sich scharen. Ist das denn in Cancún gelungen?

Ott: Nicht wirklich. Also die Performances der Verhandlungen hier der Europäischen Union sind besser als sie in Kopenhagen waren, das kann man als Positives festhalten, aber noch lange nicht so, wie man es sich wünschen würde und wie auch die Europäische Union schon agiert hat. Sie hat hier das Kyoto-Protokoll unterstützt. Das ist sehr, sehr wohlwollend aufgenommen worden gerade von den vielen schwächeren Entwicklungsländern, für die das Protokoll so die einzige Rettungsplanke in stürmischer See erscheint.

Aber bei vielen Verhandlungspositionen hat die EU dann doch wieder nachgegeben, hat nicht wirklich ihre Position durchgefochten und hat den USA vor allen Dingen viel zu viel Spielraum gegeben. Es ist völlig klar, dass die US-Regierung keinem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag in den nächsten Jahren zustimmen wird. Und deshalb ist es unverständlich, dass sie dann doch wieder alles Mögliche blockieren können und sich hier zu einem zentralen Akteur aufschwingen.

Degenhardt: Und wie hat sich der Bundesumweltminister in Cancún geschlagen, Herr Röttgen, hat der seine Möglichkeiten genutzt oder ist er hinter Ihren Erwartungen zurückgeblieben?

Ott: Also, er ist ja noch relativ neu im Amt, das muss man zugestehen, und findet sich ja natürlich hier erst rein. Ich muss sagen, seine Rede vor drei Tagen, vor zwei Tagen, fand ich etwas uninspiriert und zurückhaltend. Zum Beispiel hat er nicht bekräftigt – was ja doch seine Meinung ist –, dass die Europäische Union ihr eigenes Ziel auf 30 Prozent Minderung bis zum Jahr 2020 anheben soll. Bisher steht das Ziel bei minus 20 Prozent, und wenn man bedenkt, dass die Europäische Union im Moment ja ihre Emissionen schon um 17 Prozent gesenkt hat, dann ist das überhaupt nicht mehr viel, was da überhaupt anvisiert wird. Und das lässt natürlich die Delegierten auch daran zweifeln, dass die EU wirklich diese Vorreiterrolle spielen will, die sie sich immer zuspricht.

Degenhardt: Kyoto, Kopenhagen, Cancún – geben Sie uns zum Schluss, Herr Ott, bitte noch einen kleinen Ausblick. Wie muss es jetzt weitergehen?

Ott: Wenn der Text hier so verabschiedet wird – und das scheint mir doch relativ sicher zu sein, Bolivien, Venezuela haben noch Vorbehalte angemerkt, aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass sie sich dem doch sehr, sehr großen Konsens hier entgegenstellen können –, dann ist das ein Auftrag, ein Abkommen oder – na ja, Abkommen kann man nicht sagen, weil es nicht drinsteht –, aber auf jeden Fall eine Vereinbarung zu erreichen, die das Kyoto-Protokoll ablöst. Es muss auf jeden Fall jetzt der Fall sein, dass die Europäische Union ihre Strategie überdenkt. Sie darf sich nicht in allem von den USA abhängig machen, sie muss entschieden auftreten als leitender Akteur, muss die großen Schwellenländer und die große Mehrheit der Entwicklungsländer um sich scharen, um dann ein Abkommen abzuschließen, das wirklich den Klimawandel, das zumindest die Chance hat, den Klimawandel zu begrenzen und den Himmel nicht wieder offen zu machen.

Degenhardt: In Cancún am Telefon war Hermann Ott, der klimapolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Ott, vielen Dank für das Gespräch und dann einen guten Heimflug!