"Da ist wirklich eine Grenze erreicht"

Moderation: Katrin Heise · 21.01.2013
Der "Neger" wird aus Kinderbüchern gestrichen und der Duden will den Begriff "Vorständin" aufnehmen: Solche Sprachmanöver im Zeichen der politischen Korrektheit hält der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch für falsch - denn damit werde eine Art "Zuckerpuder" über die ganze Welt gelegt.
Katrin Heise: Die Gewerkschaft IG Metall hat ein Merkblatt, das beim Verfassen von Vorträgen, Broschüren, Flugblättern und so weiter helfen soll. Darin rät sie, mit der Mehrzahl oder der neutralen Form Geschlechterdiskriminierung oder auch Unaussprechlichkeit der Sprache zu umschiffen. Also "die Auszubildenden", "die Ehrenamtlichen", "die Führungskraft", "die Belegschaft" und so weiter. Nun gut.

Der Duden will es geradeaus und sogar noch ein bisschen – ein nicht vorhandenes Phänomen, der Verweiblichung der Vorstandsposten nämlich, in Buchstaben gießen. Die "Vorständin". Diese Wortschöpfung veranlasst mich nun, bei dem Germanisten und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch von der Universität Mannheim anzurufen und nach seiner Meinung und seiner Erfahrung in Sachen Sprache und Diskriminierung zu fragen. Ich erreiche ihn, während seine Heizungsanlage repariert wird, deshalb wundern Sie sich nicht über das Klappern. Schönen guten Tag, Herr Hörisch!

Jochen Hörisch: Guten Tag!

Heise: "Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Politikerinnen und Politiker, lasst uns die neue Vorständin begrüßen." Wie finden Sie das, Herr Hörisch?

Hörisch: Ich finde es lustig. Es ist ja gar keine Frage, Sie hatten es ja schon in der Anmoderation genannt, dass es ein riesengroßer Fortschritt ist, wenn man nicht mehr sagt, wie man das zu meiner Jugend noch sagte: Frau Oberbürgermeister, Frau Minister und da das "in" weggemacht hat. Nichts leichter, als "Frau Ministerin", "Frau Bundeskanzlerin" zu sagen. Und die Riesenfortschritte, die wir da in der Sache wie in der Bezeichnung haben – das ist ja überhaupt keine Frage, und ich wüsste eigentlich keinen einigermaßen bei Trost seienden Menschen, der dagegen polemisieren würde. Wenn das dann aber in Bereiche geht, wo man jetzt kein Sprachästhet sein muss, um den Kopf zu schütteln oder zu lachen, ist eine Grenze erreicht. Ich habe schon erlebt, dass ...

Heise: Bei "Vorständin" schütteln Sie noch nicht den Kopf?

Hörisch: Doch. Bei "Mitgliedin", das habe ich in aller Ernsthaftigkeit schon gehört, obwohl das Mitglied ja nun neutral ist, weder männlich noch weiblich – ich will mich jetzt nicht in Männerscherzen drüber ergehen, was nun das Glied ist und ob das Glied mit dem Mitglied was zu tun hat – da ist wirklich eine Grenze erreicht. Und "Vorständin" ist einfach hässlich. Die Franzosen, die nehmen sich selbst das Recht in Anspruch, dass ihre Sprache schön sein muss. Sie haben ein ästhetisches Verhältnis zu ihrer Sprache. In Deutschland ...

Heise: Aber rechtfertigt Sprachästhetik Geschlechterdiskriminierung?

Hörisch: Ja. Frauen sind ein schönes Geschlecht, und warum sie dann mit hässlichen Ausdrücken bezeichnet werden sollen, will mir nicht einleuchten.

Heise: Denkbar wäre ja auch, statt immer korrekt die männliche und weibliche Form zu nennen, einfach nur die weibliche Form beispielsweise, und trotzdem die Gesamtheit, also auch die Männer zu meinen. Beispiel "Studentinnen", damit eben auch die Studenten ansprechen, ohne jetzt das große "I" irgendwie ins Wort zu mogeln oder diesen beliebten Schrägstrich – wäre doch eigentlich auch ästhetisch und anregend, eben nur die weibliche Form.

Hörisch: Wäre ästhetisch und ein in sich konsistenter Vorschlag. Dass man sagt, es gibt mehr Frauen als Männer, und politische Korrektheitsgründe sprechen dafür. Sie hätten das Ästhetikproblem einigermaßen gelöst. Wenn man sagt, wir nennen immer die weibliche Form und die männliche Form ist mitgedacht. Ein Riesenproblem kriegen Sie, wenn Sie superkorrekt sein wollen: "der Kandidat/die Kandidatin, dessen/deren Arbeit vom Prüfer/von der Prüferin zu ihrer/zu seiner Freude korrigiert ... " – grauenhaft!

Heise: Haben Sie so eine Arbeit schon einmal korrigieren müssen?

Hörisch: Ja, dann lehne ich das ab und sage, schreib das neu.

Heise: Apropos anregend: Ich habe aus diesem Gewerkschaftsmerkblatt ja zitiert. Da ist noch was ganz Interessantes zu lesen. Die haben mal einen Versuch gemacht und eine Versuchsgruppe nach berühmten Politikern, Sportlern, Künstlern, Malern gefragt und eine andere Gruppe nach berühmten Politikerinnen und Politikern, Sportlerinnen und Sportlern und so weiter. Und siehe da, Gruppe zwei hat deutlich mehr Frauen gesammelt. Also wie schätzen Sie die Macht der Sprache ein?

Hörisch: Die Macht der Sprache – Sie reden mit einem Philologen – ist riesengroß. Sie haben ja übrigens einen gewissen Sexismus schon in dem Ausdruck "Philologie": Das ist die Liebe zum Logos, die da eine große Rolle spielt, und dass natürlich die Sprache suggestiv funktioniert. Und wenn Sie nach weiblichen Formen fragen, man dann eben schneller auf Sportlerinnen, auf Politikerinnen, auf Königinnen kommt, das ist vollkommen klar.

Ein großes Problem ist, wenn man sozusagen a priori sagen will, die weibliche Form ist die bessere, ist die gerechtere. Die Bibel in gerechter Sprache heißt ja, wenn man aus Gottes Sohn Gottes Kind macht oder Gottes Tochter macht oder aus dem Gott "das Gott" oder "die Göttin" macht. Dann ist das ja eine manifeste Verschiebung sozusagen in den Traditionen der Assoziationen, die mit Sprache gegeben sind.

Mein Haupteinwand wäre, wenn wir so superkorrekt sind, merkt man ja das ganze Unrecht, das es in der Tat gegeben hat, nicht mehr. Wenn man nicht mehr "Neger" vorlesen darf, wenn das Wort in einem Kinderbuch vorkommt, wie sollen Kinder dann erfahren, was für schreiendes Unrecht schon in den Bezeichnungen zwischen den Rassen und im Rassismus wirklich stattgefunden hat? Dann wird so eine Art Zuckerpuder über die ganze Welt gelegt, der die Härte der Verhältnisse verdeckt. Und das kann nicht eigentlich der Sinn von feministischer Sprachpolitik sein.

Heise: Sprache und Diskriminierung, darüber spreche ich mit dem Germanisten Jochen Hörisch. Sie haben jetzt gerade die momentan laufende Debatte angesprochen über eben ganz andere Bereiche als jetzt nur Geschlechterfragenbereiche der Diskriminierung: Behinderung, Hautfarbe, Bildung, die alle sich in Sprache ja abbilden und da eben diese Diskussion, ob jetzt "das kleine Negerlein" aus der "Kleinen Hexe" von Otfried Preußler gestrichen werden soll, wie der Verlag das ja angekündigt hat. Das, was Sie jetzt vorgeschlagen haben, ist aber eine ständige Erklärung, ein ständiger Erklärungsbedarf den Kindern gegenüber, oder?

Diskriminierung durch Hyperkorrektheit
Hörisch: Ja. Man muss nicht gerade eine historisch-kritische Ausgabe machen, wie die Philologen das nennen, und sagen, das Wort hat sich so verschoben in seiner Bedeutung. Nehmen Sie als manifestes Beispiel die Dirne. Das war ein völlig harmloses Wort für kleine, größere Mädchen, für jüngere Frauen – "komm mal rüber, leev Deern, ich gib dir ne Birn" heißt das bei Fontane, das haben viele von uns noch im Kopf.

Wenn man also jetzt einfach ein Sternchen anbringt und sagt, hier steht Neger bei Astrid Lindgren, das war damals noch üblich, so ging man, selbst, wenn man eine aufgeklärte Autorin war, in der Bezeichnung noch um, lernen neugierige Kinder sehr, sehr viel. Dass da ein Problem liegt, können sie ja gar nicht erkennen, wenn das Problem sozusagen mit Sprachkosmetik an den Rand gebracht worden ist. Also mein Argument wäre gerade, die Superkorrektheit sorgt dafür, dass man ganz inkorrekt grauenhafte Vergangenheiten verschönt. Und das kann ja nicht der Sinn der Angelegenheit sein.

Heise: Eine knappe Mehrheit der Deutschen fände es übrigens auch gut, wenn diskriminierende Begriffe wie "Neger" und "Zigeuner" aus Kinderbüchern entfernt werden würden, also anders, als Sie jetzt argumentieren. Müssen es eigentlich immer so offensichtlich unkorrekte Worte wie "Neger" sein, die diskriminieren, oder könnten vielleicht auch viel harmlosere Worte, Begriffe, Formulierungen eine Diskriminierung beinhalten?

Hörisch: Nun ja, es kann natürlich eine Diskriminierung gerade auch in der Hyperkorrektheit liegen. Ich erzähle Ihnen eine Anekdote aus meiner Sphäre, der Uni-Sphäre. Ausschreibungstext einer Professur, und da steht drin: "Die Fakultät ist bestrebt, den Anteil der Frauen unter den Professoren zu verstärken." Und dann hat sich eine gemeldet und gesagt, das wäre doch inkorrekt, das müsste eigentlich heißen: "Die Fakultät ist bestrebt, den Anteil der Frauen unter den Professorinnen zu verstärken", und sie haben natürlich den übelsten Männerwitz in der Form der politischen Korrektheit drin.

Und ich habe das Gefühl, wir nähern uns bei bestimmten Dimensionen eben solchen Sphären von Wahnsinn. Der Wahnsinn, wenn er epidemisch wird, heißt Vernunft. Was anzustreben wäre, wäre, denke ich, so eine Art postfeministische Heiterkeit und Gelassenheit, die übrigens ja sehr viele Kolleginnen schon haben. Es hilft einfach weiter, wenn man über bestimmte Dinge lacht. Es gibt andere Verhältnisse, da ist nicht viel zu lachen, aber die rhetorisch zuzukleistern und zu beschönigen, hielte ich für das eigentlich problematische Verfahren.

Heise: Na ja, wobei – jemand, der nicht betroffen ist, kann da vielleicht eher auch mit einem zwinkernden Auge drüber weg lesen. Jetzt gerade in den Wochenendausgaben der Zeitungen habe ich beispielsweise über den Begriff "Negerlein" in Kinderbüchern gelesen, dass schwarze Leser sich permanent ausgeschlossen gefühlt haben, also deutsche schwarze Leser.

Hörisch: Ja, das wird man dann absolut zur Kenntnis nehmen müssen und nicht weginterpretieren müssen. Aber dieses Unrecht ist ihnen ja widerfahren. Es gibt ja Leute, die etwa jetzt Quentin Tarantinos Film "Django unchained" – der entfesselte, der nicht mehr gefesselte Django – deshalb kritisieren, weil die grauenhafte Unterdrückung von Schwarzen da in einer Art und Weise gezeigt wird, die zum Teil sadistische Freude und dergleichen macht. Also die Frage ist aber, soll man es deshalb ausblenden? Soll man es nicht mehr thematisieren.

Ich hielte es für einen riesengroßen Problemfall, wenn man das gerade in Kinderbüchern macht. Kinder sind sehr auf das Fremde, auf das Überraschende, auf das, was zu ihrem bisherigen Weltbild nicht passt, angewiesen. Und ich glaube, das Beste, was Eltern tun können, den Text vorzulesen und zu sagen, wo ein Problem in der Begriffsverwendung liegt. Dann kommen Kinder, aufmerksame, wache Kinder, die mit den Konflikten in dieser Welt vertraut werden wollen, weiter. Nicht, wenn man sie in eine Soße steckt oder in ein Tintenfass und sie selbst zu einem "pechrabenschwarzen Mohren" macht wie in der bekannten Geschichte.

Heise: Kann man eigentlich oder kann Sprache auch Vorreiter gesellschaftlicher Veränderung sein? Wie rigoros sollte da vorgegangen werden?

Hörisch: Ist sie am laufenden Band. Wir müssen ja wirklich gucken, welche Theorien, welche Sprachverwendungsweisen einfach nur denominierend sind, deskriptiv sind, also sich sozusagen abbildend verhalten zu dem, was sie beschreiben, und welche eben Rückkoppelungsschleifen haben. Eine theologische Sprache oder eine politische Korrektheitssprache oder eine feministische Sprache ist ja eben ganz bewusst keine Sprache, die auf ihren Beschreibungsaspekt hin ausgerichtet ist, sondern eine, wie Linguisten sagen, performative, also etwas selbst anstellende Sprache.

Und natürlich verändern wir unser Verhältnis zu der Sachkonstellation, wenn wir unser Verhältnis zu der Sprache verändern. Es macht also einen großen Unterschied, ob wir von "Sinti und Roma" sprechen oder von "Zigeunern", weil wir bei dem Wort "Zigeuner" eben die ganzen Klischees, die uns durch die Rübe rauschen, automatisch dabei haben. Bei "Sinti und Roma" nicht. Es ändert dann unser Verhältnis, und das soll es auch ändern, zu dem Sachverhalt, den das Wort eben nicht nur beschreibt, sondern in der Beschreibung auch schafft.

Heise: Jochen Hörisch, Professor an der Universität Mannheim, zur Macht der Sprache. Ich danke Ihnen, Herr Hörisch, für dieses Gespräch und wünsche noch einen schönen Tag!

Hörisch: Ich danke Ihnen!

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